Die Steuerbefreiung der katholischen Kirche in Spanien kann eine verbotene staatliche Beihilfe darstellen, so der EuGH am Dienstag. Der Fall zeigt, wie eingeschränkt der steuergesetzgeberische Spielraum vielfach ist. Von Dennis Klein.
Am Dienstag hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem spanischen Vorabentscheidungsersuchen über eine Steuerbefreiung einer von der katholischen Kirche bei Madrid betriebenen Schule zu befinden (Urt. v. 27.06.2017, Az. C-74/16). In Spanien erheben Gemeinden auf Bauwerke eine Steuer, die katholische Kirche ist aber aufgrund eines Staatsvertrages von dieser Immobilienbesteuerung befreit.
Die betroffene katholische Schule erbringt dabei teilweise staatlich reglementierten Primar- und Sekundarunterricht, teilweise aber auch gebührenfinanzierten freien Unterricht. Für die hierzu genutzten Gebäude beanspruchte der Schulträger die Immobiliensteuerbefreiung. Da keine strikt religiösen Zwecke vorliegen, kann die Steuerbefreiung aus Sicht des EuGH eine verbotene staatliche Beihilfe darstellen – jedenfalls soweit mit dem freien gebührenfinanzierten Unterricht eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art vorliegt.
Denn nach Art. 107 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitswiese der Europäischen Union (AEUV) sind selektive Beihilfen grundsätzlich verboten. Der EuGH prüft das Vorliegen einer solchen nach vier Kriterien:
Es muss sich um eine staatliche Maßnahme oder Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Diese muss wiederum geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Sie muss dem Begünstigten auch einen selektiven Vorteil gewähren und schließlich den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Den selektiven wirtschaftlichen Vorteil und die Verringerung staatlicher Einnahmen hatte der EuGH in diesem Fall unmittelbar bejaht, die Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und die Wettbewerbsverzerrung konnte er zumindest nicht ausschließen.
Kleiner Fall für die Kirche, große Reichweite für Deutschland
Die Kirche könnte noch einmal glimpflich davon kommen: Im konkreten Fall ist der katholischen Schule evtl. durch die sog. "De-minimis-Regel" zu helfen, wonach Beihilfen bis zu einem Gesamtbetrag von 200.000 Euro innerhalb von drei Jahren ausgenommen sind. Da sich die Immobiliensteuer lediglich auf 24.000 Euro belief, sollen hierüber nun die zuständigen spanischen Verwaltungsgerichte entscheiden, befanden die Luxemburger Richter.
Der Fall zeigt aber, dass das europäische Beihilfeverbot generell eine enorme steuerliche Sprengkraft entfaltet - und dies weit über die Frage hinaus, inwieweit Religionsgemeinschaften steuerbefreit sind. So hat aus Deutschland etwa unlängst der Bundesfinanzhof (BFH) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine deutsche Grunderwerbsteuerbefreiung für Umwandlungsvorgänge innerhalb von Konzernen nach § 6a Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) eine unzulässige Beihilfe darstellt.
Danach sind nämlich nur Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz begünstigt, nicht aber unternehmerische Umstrukturierungen schlechthin.
Ein anderes Beispiel ist der seit Jahren schwelende Konflikt um die sog. "Sanierungsklausel" in § 8c Körperschaftsteuergesetz (KStG), bei der es allein um einige Milliarden Euro geht. Gemeinsam ist den Fällen, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite sinnvolle Umstrukturierungen oder Sanierungen nicht durch Steuerbelastungen erschweren möchte. Auf der anderen Seite will er aber zugleich unwillkommene steuerliche Mitnahmeeffekte vermeiden.
2/2: Das Beispiel des "Verlustmantelkaufs"
Mustergültig lässt sich dies am Schicksal von § 8c KStG nachvollziehen. § 8c KStG schränkt für Kapitalgesellschaften die steuerliche Verrechnung von Verlusten aus der Vergangenheit ein, wenn bzw. soweit Anteile an der Kapitalgesellschaft übertragen werden. Diese Regelung soll den sog. "Verlustmantelkauf" verhindern. Dabei geht es um wirtschaftlich inaktive Kapitalgesellschaften, die noch aus der Vergangenheit erhebliche Verlustvorträge aufweisen. Diese Verlustvorträge können sich Investoren steuerlich zu Nutze machen, indem sie statt einer Neugründung die bestehende Kapitalgesellschaft günstig erwerben und ihre eigenen Gewinne mit den früheren Altverlusten verrechnen. Dieses Überstreifen des "Verlustmantels" will der Gesetzgeber als unerwünschten steuerlichen Mitnahmeeffekt durch die Sonderbestimmung in § 8c Abs. 1 KStG verhindern.
Auf der anderen Seite ist gerade bei Unternehmenssanierungen häufig ein Gesellschafterwechsel oder Anteilserwerb erforderlich. Die steuerliche Nutzung der Altverluste ist dabei nicht selten ein wesentliches Sanierungsinstrument, das der Gesetzgeber solchen Investoren nicht durch § 8c KStG aus der Hand schlagen möchte. Deshalb schuf er gewissermaßen als Ausnahme von der Ausnahme des § 8c Abs. 1 KStG sogenannte Sanierungsklauseln. Diese riefen freilich die Europäische Kommission auf den Plan, die darin einen Verstoß gegen das Beihilfeverbot sieht. Denn selektiv würden Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gegenüber den anderen bevorzugt. Die in § 8c Abs. 2 KStG a. F. vorgesehene Sanierungsklausel fand nicht die Genehmigung der Europäischen Kommission.
Wegen der dann in § 8c Abs. 1a KStG eingefügten Sanierungsklausel strengte sie gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren an. Den daraufhin folgenden deutschen Versuch eines Sanierungserlasses auf dem Verwaltungswege kassierte mangels gesetzlicher Grundlage unlängst der BFH. Nunmehr ist geplant, durch eine gesonderte Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns in einem neuen § 3a EStG Erleichterung zu verschaffen. An § 8c KStG traut sich der Gesetzgeber schon wegen des strengen Beihilferechts der EU schon gar nicht mehr heran.
Steuerbegünstigung nur in festen Bahnen
Alle diese Fälle und die Linie des EuGH verdeutlichen eines: Solange sich eine Steuerbefreiung sachlogisch in die steuerliche Belastungsentscheidung und die Besteuerungssystematik einfügt, ergeben sich keine Probleme. Die Ertragsbesteuerung und die Ausgestaltung der Steuertatbestände fällt in die Kompetenz der nationalen Gesetzgeber.
Sobald aber außersteuerliche Gründe zum Tragen kommen, droht im Hintergrund das Beihilfeverbot aus Art. 107 AEUV. So mag etwa in Spanien die katholische Kirche hinsichtlich der Religionsausübung im engeren Sinne steuerbefreit sein. Für die wirtschaftlichen Aktivitäten im Wettbewerb zu anderen (Privat-)Schulanbietern gilt dies aber nicht mehr. Deutschland darf mit § 8c KStG als Sondervorschrift durchaus den steuerlichen Mantelkauf verhindern. Dann aber bitteschön ausnahmslos für alle Unternehmen. Die jeweiligen Ausnahmen mögen anerkennenswerte Gründe haben, wie etwa die Unternehmenssanierung oder den Erhalt von Arbeitsplätzen. Als außersteuerliche Gründe sind solche selektiven Erleichterungen indes am Maßstab von Art. 107 AUEV zu messen.
Gewollt oder ungewollt erweist sich das Gemeinschaftsrecht damit als Schrittmacher einer Systematisierung und Vereinfachung des nationalen Steuerrechts. Vielfach sind dessen Widersprüche auf interessengeleitete Ausnahmen und Befreiungen zurückzuführen. Art. 107 AUEV schiebt zumindest den ärgsten Auswüchsen einen gewissen Riegel vor. Deutschland hätte sich etwa den langjährigen Ärger um die Sanierungsklausel sparen können, indem es schlicht und ergreifend § 8c KStG gestrichen hätte: Ohne die Sondervorschrift wäre auch keine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme erforderlich gewesen.
Der Autor Prof. Dr. Dennis Klein ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.
Prof. Dr. Dennis Klein, EuGH zu unzulässiger Beihilfe für spanische Kirche: Zwingt das Europarecht zu Steuerreformen? . In: Legal Tribune Online, 27.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23301/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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