Der EuGH hat die Klagen der Slowakei und Ungarns gegen die Regelung zur Verteilung von Flüchtlingen abgewiesen, die Mitgliedstaaten müssten in Notlagen reagieren können. Der slowakische Regierungschef sprach von einem "ungerechten" Urteil.
Der Beschluss der Europäischen Union (EU), wonach eine bestimmte Anzahl Asylbewerber innerhalb der EU verteilt werden soll, ist rechtmäßig. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden (Urt. v. 06.09.2017, Az. C-643/15 u. C-647/15). Mit der Entscheidung folgt das Gericht den Schlussanträgen des Generalanwaltes Yves Bot vom Juli.
Die Slowakei und Ungarn hatten gegen einen Beschluss geklagt, den der Rat der EU im Sommer 2015 gefasst hatte. Dieser sieht vor, dass 120.000 Menschen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, über einen Zeitraum von zwei Jahren aus Italien und Griechenland in die anderen Mitgliedstaaten der Union umgesiedelt werden. Mit dieser Regelung sollten die beiden Mittelmeer-Länder bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms unterstützt werden. Die Regelung ist zeitlich vom 25. September 2015 bis zum 26. September 2017 begrenzt. Bereits kurz zuvor hatte der Rat eine Regelung zur Umsiedelung von 40.000 Menschen beschlossen.
Drei gegen viele
Die Slowakei und Ungarn sowie die Tschechische Republik und Rumänien hatten gegen die Regelung gestimmt, Finnland hatte sich der Stimme enthalten, die anderen 23 Mitgliedstaaten hatten sich für dieses Vorgehen ausgesprochen.
Die Slowakei und Ungarn klagten daraufhin gegen den Beschluss. Er sei für nichtig zu erklären, da er verfahrensfehlerhaft sei, auf eine ungeeigneten Rechtsgrundlage beruhe und als Reaktion auf die Flüchtlingsströme weder geeignet noch erforderlich sei. Außerdem habe der Rat nach dem Erlass weitere wesentliche Änderungen an dem Beschluss vorgenommen, sodass erneut hätte abgestimmt
werden müssen.
Polen ist dem Rechtsstreit beigetreten, während Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung des Rates beitraten.
Regelung ist kein Gesetz
Der EuGH wies die Klage umfassend ab. Die Richter erklärten, in dieser Situation sei kein Gesetzgebungsverfahren notwendig gewesen. Entscheidend sei die Regelung aus Art. 78 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach könne der Rat auf Vorschlag der Kommission durchaus vorläufige Maßnahmen erlassen, um Mitgliedstaaten bei einem plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen zu helfen.
Diese Regelung enthalte aber keinen Verweis auf ein Gesetzgebungsverfahren – und nur dann sei ein solches auch erforderlich. Der Beschluss habe daher schlichtweg keinen Gesetzescharakter. Es habe weder der Beteiligung der nationalen Parlamente noch der Einhaltung des Öffentlichkeitsgebots bedurft.
Die beschlossenen Maßnahmen dürften auch von Gesetzgebungsakten abweichen – hier der Regelung aus den Dublin-Verordnungen -, wenn sie hinsichtlich ihres sachlichen und zeitlichen Geltungsbereichs begrenzt sind und weder bezwecken noch bewirken, dass solche Rechtsakte dauerhaft ersetzt oder geändert werden. Letzteres sei durch die zeitliche Begrenzung zweifellos gegeben.
2/2: Das Problem der Einvernehmlichkeit
Tatsächlich aber hat der Rat auch nach Auffassung des EuGH noch wesentliche Änderungen an dem Beschluss vorgenommen. Über diese Änderungen sei das EU-Parlament vor der Abstimmung am 17. September 2015 indes ordnungsgemäß informiert worden, sie hätten den Kern des Kommissionsvorschlags auch nicht beeinträchtigt.
Zudem habe die Kommission den geänderten Vorschlag durch zwei ihrer Mitglieder, die vom Kollegium hierzu ermächtigt worden seien, gebilligt. Auch eine Einstimmigkeit der Entscheidung sei nicht erforderlich gewesen. Das habe der Rat zwar bei dem ersten Beschluss zur Umsiedelung von 40.000 Flüchtlingen ursprünglich mal so gesehen, das Erfordernis würde aber nicht generell gelten.
Gute Idee, wenig Wirkung
Die Intention der Regelung enthalte auch keine Beurteilungsfehler, entschied der EuGH. Mit der Umverteilung könne die EU dem Flüchtlingsstrom begegnen – so habe es zumindest im Sommer 2015 ausgesehen. Die Maßnahme müsse nur nach den Umständen des Moments beurteilt werden, in dem sie zu treffen gewesen sei, so die Luxemburger Richter. Und damals habe der Rat alle zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt.
Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Zahl der Umsiedlungen gering geblieben sei. Denn dies ließe sich durch mehrere Faktoren erklären, so die Richter, die zum damaligen Zeitpunkt nicht vorhersehbar gewesen seien. Dazu zähle auch "namentlich die mangelnde Kooperation bestimmter Mitgliedstaaten".
Und jetzt?
Die Slowakei will die Ablehnung ihrer Klage gegen die verpflichtende Aufteilung von Flüchtlingen in der EU – wenn auch zähneknirschend - akzeptieren. Das erklärte Regierungschef Robert Fico am Mittwoch in Bratislava. Die Slowakei wolle zum Kern der Europäischen Union gehören und solidarisch sein, erklärte Fico. Das Urteil erachte er aber gleichwohl für "ungerecht".
Sollten Ungarn, die Slowakei oder andere EU-Staaten sich nun weiterhin gegen den Beschluss und die Aufnahme von Flüchtlingen sperren, könnte die EU-Kommission sogenannte Vertragsverletzungsverfahren vorantreiben, die letzten Endes in hohen Geldstrafen münden können. Gegen Ungarn, Polen und Tschechien hatte die Brüsseler Behörde bereits im Juni erste entsprechende Schritte eingeleitet.
Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte (OVG) in Deutschland hatten in Bezug auf Ungarn immer wieder festgestellt, dass es dort sogenannte systemische Mängel gebe. Das Asylverfahren in Ungarn weise erhebliche Mängel auf und Flüchtlingen drohe die Inhaftierung ohne Prüfung von Gründen, stellte etwas das OVG Lüneburg fest (Urt. v. 29.11.2016, Az. 8 LB 92/15). Sie hatten daher keine Flüchtlinge nach Ungarn verwiesen, auch wenn das Land nach der Dublin-Verordnung zuständig gewesen wäre. Die EU scheint indes gegen eine Umverteilung von Flüchtlingen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, keine Bedenken zu haben.
Die ungarische Regierung kündigte bereits an, trotz der Luxemburger Entscheidung auch künftig keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. "Dieses Urteil ist empörend und verantwortungslos", sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. "Es ist ein politisches Urteil, dass das europäische Recht und die europäischen Werte vergewaltigt."
Mit Material von dpa
Tanja Podolski, EuGH zur Verteilung von Flüchtlingen: Ungerecht – aber für wen? . In: Legal Tribune Online, 06.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24349/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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