VG Wort und GEMA dürfen zukünftig wohl nur noch die Urheber, jedoch nicht mehr die Verleger an den aus Vergütungsansprüchen erzielten Einnahmen beteiligen. Der EuGH kippt eine jahrzehntelange Praxis. Günter Poll über die Entscheidung.
Die europäischen Verwertungsgesellschaften (VG), die neben Urhebern auch Verleger vertreten, stehen seit Donnerstag vor einem Scherbenhaufen. Verantwortlich hierfür ist der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), der in einem belgischen Rechtsstreit die Beteiligung der Verleger an den aus Vergütungsansprüchen erzielten Einnahmen der VG in der bisherigen Form nicht nur grundsätzlich in Frage gestellt, sondern schlicht verboten hat (Urt. v. 12.11.2015, Az. C 572/13).
Bislang waren deutsche Verleger mit bis zu 50 Prozent an den Einnahmen von VG Wort beteiligt - in Zukunft könnte es sein, dass sie überhaupt keine Vergütungsansprüche mehr erhalten, sondern diese ausschließlich den originären Rechteinhabern zustehen. Das wird nicht nur ein Verfahren zur VG Wort betreffen, über das der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hat, sondern auch ca. 10.000 deutsche Verlage und darüber hinaus möglicherweise auch die GEMA. Schließlich wird der Gesetzgeber ein vor zwei Tagen verkündetes Gesetz überarbeiten müssen.
Verwertungsgesellschaften zahlten bislang auch an Verleger
Verwertungsgesellschaften haben die Aufgabe, die Urheberrechte bzw. verwandte Schutzrechte für eine große Anzahl Rechteinhabern zur gemeinsamen Auswertung treuhänderisch wahrzunehmen. Zu diesem Zweck ziehen sie von denjenigen, welche die geschützten Werke nutzen, die tariflich festgesetzten Vergütungen ein. Außerdem betreiben sie das Inkasso der gesetzlichen Vergütungsansprüche; hierzu gehört in erster Linie die sog. Reprographievergütung, also die Geräte- und Leerkassettenvergütung.
Nach geltendem europäischem Urheberrecht, das von den Mitgliedsstaaten anzuwenden ist, stehen die Erlöse, welche die VG aus den Vergütungsansprüchen erzielen, eigentlich ausschließlich den originären Rechteinhabern zu. Das sind neben den Urhebern wie Autoren, Journalisten, Komponisten und Textdichtern auch die ausübenden Künstler, die Musik- und Filmproduzenten sowie die Sendeunternehmen.
Verleger gehören nicht zu den originären Rechteinhabern. Dennoch sind sie traditionell in erheblichem Umfang an den Erlösen aus dieser Einnahmequelle beteiligt. Bei der VG Wort sind es 50 Prozent, bei der GEMA immerhin 40 Prozent bzw. ein Drittel der Einnahmen.
Nun hat der EuGH jedoch festgestellt, dass diese Praxis nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. In Zukunft dürfen die Verleger also nicht mehr an dem Aufkommen aus der Reprographievergütung beteiligt werden; dieses steht vielmehr ausschließlich den originären Rechteinhabern zu.
Was ist ein "gerechter Ausgleich"?
Auslöser für diese bahnbrechende Entscheidung war ein in Belgien geführter Rechtsstreit zwischen dem Drucker-Hersteller Hewlett-Packard (HP) und Reprobel, der in Belgien für das Inkasso in diesem Bereich zuständigen VG.
HP hatte sich gegenüber der Verwertungsgesellschaft auf den in Art. 5 Abs. 2 der EU-Richtlinie 2001/29 (Info-RL) enthaltenen Grundsatz berufen, wonach den Rechteinhabern im Falle gesetzlich zulässiger Privatkopien ein "gerechter Ausgleich" zusteht und geltend gemacht, der von Reprobel aufgestellte Tarif sei überhöht und damit nicht "gerecht". Außerdem fehle es an der vom belgischen Gesetzgeber geforderten empirischen Untersuchung des Nutzerverhaltens im Reprographiebereich als Maßstab für die Bemessung des "gerechten Ausgleichs".
Nachdem das belgische Gericht dieser Argumentation im Wesentlichen gefolgt war, hatten beide Parteien Berufung eingelegt. Der Cour d`Appel de Bruxelles hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Wichtig war vor allem die Frage, ob das europäische Urheberrecht in Art. 5 Abs. 2 Info-RL es den Mitgliedstaaten gestatte, "die Hälfte des den Rechtsinhabern zustehenden gerechten Ausgleichs den Verlegern der von den Urhebern geschaffenen Werke zu gewähren, ohne dass die Verleger in irgendeiner Art und Weise verpflichtet wären, die Urheber auch nur indirekt in den Genuss des ihnen vorenthaltenen Teils des Ausgleichs kommen zu lassen."
2/2: Jahrzehntelange Praxis nicht mit EU-Recht vereinbar
Der EuGH hat diese Frage mit seinem am 12. November 2015 verkündeten Urteil nicht nur eindeutig verneint, sondern ist noch weit hierüber hinausgegangen. In seiner Frage hatte der Cour d'Appel noch wissen wollen, ob es europarechtlich gerechtfertigt sei, die "Hälfte" des den Urhebern zustehenden gerechten Ausgleichs den Verlegern ohne Gegenleistung zukommen zu lassen. Der EuGH hat nun klargestellt, dass nicht einmal ein "Teil" der Reprographievergütung den Verlegern zugeordnet werden darf.
Etwas anderes käme allenfalls dann in Betracht, wenn eine zumindest teilweise Refundierung der Verlegerbeteiligung zugunsten der Urheber vereinbart wird. Das ist jedoch derzeit nirgendwo der Fall.
Im Übrigen hat er die in der Frage des belgischen Gerichts gewählte drastische Formulierung - "vorenthaltener Teil des Ausgleichs" - wortwörtlich übernommen, was darauf hindeutet, dass er die gesamte, seit Jahrzehnten bestehende Praxis der VG in diesem Bereich für nicht mit dem europäischen Recht vereinbar und damit für verwerflich hält.
Die Begründung ist ebenso lapidar wie überzeugend: Da die Verleger keine originären Rechteinhaber sind, d.h. nicht zu den durch Art. 2 der Info-RL geschützten, enumerativ aufgezählten Inhabern des Vervielfältigungsrechts gehören, denen nach Art. 5 Abs. 2 unter den dort genannten Voraussetzungen ein unentziehbarer Anspruch auf einen "gerechten Ausgleich" (Reprographievergütung) zusteht, scheidet ihr Beteiligungsanspruch der Verleger von vorneherein aus.
Der BGH hatte auf diese Entscheidung gewartet
Das Urteil hat unmittelbare Auswirkungen auf die Verteilungspraxis der deutschen Verwertungsgesellschaften. Diese ist - zumindest was die VG Wort betrifft - seit längerem im Streit. Der wissenschaftliche Autor Dr. Martin Vogel hat die VG Wort auf Änderung ihrer Verteilungspläne zu seinen Gunsten verklagt.
Bisher hatte er in zwei Instanzen Erfolg (Landgericht (LG) München I, Urt. v. 24.05.2012, Az. 7 O 28640/11 und Oberlandesgericht (OLG) München, Urt. v. 17. 10. 2013, Az. 6 U 2492/12).
Das OLG München hatte angenommen, dass die VG Wort nicht berechtigt ist, von den auf die Werke entfallenden Erlösen einen pauschalen Verlegeranteil abzuziehen. Verlage verfügten nach dem Urheberrechtsgesetz über kein eigenes Leistungsschutzrecht und könnten bei der Verteilung der Erlöse daher nur berücksichtigt werden, wenn der Urheber ihnen seine gesetzlichen Vergütungsansprüche abgetreten hätte. Nach dem Prioritätsprinzip war das hier aber nicht möglich, da der Autor seine Rechte bereits 1984 an die VG Wort abgetreten hatte und spätere Abtretungen an Verlage daher unwirksam waren.
Das Verfahren "hängt" seit längerer Zeit beim BGH, der es bis zu dieser Entscheidung des EuGH ausgesetzt hat, weil diese für seine Entscheidung vorgreiflich sei (Beschl. v. 18.12.2014, Az. I ZR 198/13).
VG Wort und GEMA müssen wohl ihre Praxis ändern
Da der BGH an die Entscheidung des EuGH gebunden ist, wird er die Revision der VG Wort gegen das Urteil des OLG München mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zurückweisen. Damit wäre rechtskräftig festgestellt, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Verlegerbeteiligung bei der VG Wort rechtswidrig war und ist.
Gleichzeitig wäre damit aber auch die Verlegerbeteiligung bei der GEMA zu hinterfragen, soweit es um die Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen wie der Reprographievergütung nach §§ 54 ff. Urheberrechtsgesetz (UrhG) geht.
Dies ist umso schwerwiegender, als die hierfür vor Jahrzehnten eingerichtete "Zentralstelle für private Überspielungsrechte" (ZPÜ) bei der GEMA angesiedelt ist, d.h. das Inkasso für alle übrigen VG wie die VG Wort von der GEMA durchgeführt wird.
Schließlich fragt sich, warum diese leicht voraussehbare Entwicklung nicht vom deutschen Gesetzgeber bei dem soeben verkündeten neuen Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) berücksichtigt worden ist. Hier muss im Hinblick auf das EuGH-Urteil bereits kurz nach Inkrafttreten nachgebessert werden.
Der Autor Dr. Günter Poll ist auf das Urheber- und Medienrecht spezialisierter Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter für das Urheberrecht an der Universität Regensburg sowie Justiziar des Bundesverbandes audiovisueller Medien. Er war bereits als stellvertretender Justiziar bei der GEMA tätig.*
* ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 14:56 Uhr
Dr. Günter Poll, EuGH zu urheberrechtlichen Vergütungsansprüchen: Verwertungsgesellschaften dürfen Verleger nicht mehr beteiligen . In: Legal Tribune Online, 13.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17540/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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