EuGH zu deutscher Mitbestimmung: Kein Ver­stoß gegen Uni­ons­recht

von Dr. Thomas Gennert

18.07.2017

3/3: Keine Neuwahlen erforderlich

Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen und die Begründung seiner Entscheidung nachvollziehbar. Warum sollen Arbeitnehmer von Gesellschaften im EU-Ausland in ihrer Freizügigkeit behindert werden, weil sie nicht von den Mitbestimmungsrechten eines anderen Mitgliedstaats erfasst werden? Auch die bei der Tui offenbar nicht existierende Variante von (EU-) ausländischen Betrieben inländischer Gesellschaften hat der EuGH in Bezug auf den Geltungsbereich des MitBestG folgerichtig für mit dem Unionsrecht vereinbar gehalten.

Aufatmen können nun alle deutschen Unternehmen mit mitbestimmten Aufsichtsräten und Arbeitnehmern im Unionsausland, weil ihnen eine zeitraubende und kostspielige EU-weite Neuwahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat erspart bleibt. Auch ein vom Oberlandesgericht (OLG) München (Beschl. v. 20.02.2017, Az. 31 Wx 321/15) mit parallel gelagertem Sachverhalt ausgesetztes Verfahren sollte damit nun entschieden sein.

Mitwählen vs. Mitzählen

Für eine andere Gruppe von deutschen Umnehmen dürfte die Entscheidung des EuGH mit noch größerer Spannung erwartet worden sein: Für alle Gesellschaften, die derzeit noch nicht der Unternehmensmitbestimmung - oder jedenfalls noch nicht der paritätischen - unterliegen, weil die jeweiligen Schwellenwerte der Arbeitnehmerzahlen in den maßgeblichen Gesetzen noch nicht erreicht wurden, stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer im EU-Ausland bei Ermittlung dieser Schwellen auch mitzuzählen sind. Wäre dies der Fall, könnte einer Vielzahl von deutschen Unternehmen erstmals die Etablierung mitbestimmter oder paritätisch mitbestimmter Aufsichtsräte drohen.

Die Frage des "Mitzählens" war jedoch nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens der Tui und für diese im Hinblick auf 10.000 im Inland beschäftigte Arbeitnehmer auch nicht brisant. Es war jedoch zu lesen, dass dieses Thema auch in der mündlichen Verhandlung beim EuGH diskutiert worden ist. In seiner heutigen Entscheidung hat er sich hierzu jedoch nicht geäußert.

Das OLG Frankfurt a.M. hat ein ebenfalls durch einen Aktionär eingeleitetes Statusverfahren gegen die Deutsche Börse AG zu genau dieser Frage mit der Begründung ausgesetzt, ein Verstoß gegen EU-Recht käme allenfalls dann in Betracht, wenn der EuGH im Tui-Verfahren der Auffassung sei, dass den Arbeitnehmern im EU-Ausland ein passives Wahlrecht nach dem MitbestG zustehe.

Ungeachtet der Frage, inwiefern diese beiden Umstände im Lichte des Unionsrechts überhaupt zusammenhängen, ist nun zu erwarten, dass das OLG Frankfurt a.M. den Beschluss der Vorinstanz aufhebt und feststellt, dass bei Anwendung des MitbestG auch bei der Berechnung der maßgeblichen Schwellenwerte allein auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer abzustellen ist.

Der Autor Dr. Thomas Gennert ist Fachanwalt für Arbeitsrecht im Düsseldorfer Büro von McDermott Will & Emery Rechtsanwälte und Steuerberater LLP und Mitglied der deutschen Praxisgruppe Arbeitsrecht.

Zitiervorschlag

Dr. Thomas Gennert, EuGH zu deutscher Mitbestimmung: Kein Verstoß gegen Unionsrecht . In: Legal Tribune Online, 18.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23489/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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