EU-Mitgliedstaaten können Notaren die Vornahme von Beglaubigungen auf Urkunden vorbehalten, die Grundlage für Eintragungen im Grundbuch sind, so der EuGH. Leif Böttcher zur aktuellen Entscheidung, die er konsequent und richtig findet.
In zahlreichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Beglaubigung von Unterschriften auf Urkunden, die für die Begründung oder Übertragung von Rechten an Grundstücken erforderlich sind, Notaren und Gerichten vorbehalten. Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom Donnerstag klargestellt hat, wird durch einen solchen Vorbehalt die Dienstleistungsfreiheit von Rechtsanwälten nicht verletzt (Urt. v. 09.03.2017, Az. C-342/15).
In dem vom EuGH zu entscheidenden Verfahren hatte sich die Eigentümerin einer österreichischen Liegenschaft in die Tschechische Republik begeben, um dort die Echtheit ihrer Unterschrift auf einer Grundbuchbewilligung von einem tschechischen Rechtsanwalt bestätigen zu lassen. Nach tschechischem Recht darf ein Rechtsanwalt Beglaubigungen vornehmen. Das österreichische Grundbuchgericht wies den Antrag auf Grundbucheintragung zurück, weil die Unterschrift der Antragstellerin entgegen den Anforderungen österreichischen Rechts nicht notariell oder gerichtlich beglaubigt worden war.
Das Landesgericht Linz bestätigte diese Entscheidung. Der mit dem Rechtsmittel befasste Oberste Gerichtshof Österreichs legte den Fall im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH vor, der die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Grundbuchregelungen mit dem Unionsrecht zu beantworten hatte.
EuGH: Allgemeinwohlinteresse an funktionierendem Grundbuchsystem
Wenig überraschend kommt der EuGH zunächst zu dem Ergebnis, dass anwaltliche Beglaubigungstätigkeiten unter die Anwaltsrichtlinie 77/249/EWG fallen und deshalb auch grenzüberschreitend in Anspruch genommen werden können. Welche Rechtswirkungen ein Mitgliedstaat zu solchen anwaltlichen Beglaubigungen im Rahmen seines jeweiligen Rechts- und Grundbuchsystems zubilligt, ist jedoch keine Frage der Anwaltsrichtlinie, sondern wird vom EuGH im grenzüberschreitenden Kontext allein an der primärrechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemessen.
Der EuGH sieht in der österreichischen Grundbuchvorschrift somit auch eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), hält diese Beschränkung jedoch aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses für gerechtfertigt.
Die Luxemburger Richter stützen sich in ihrer Entscheidung dabei auf zwei ineinandergreifende Allgemeinwohlgründe, nämlich die Gewährleistung eines ordnungsgemäß funktionierenden Grundbuchsystems und die Sicherung der "Rechtmäßigkeit und der Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen". Der Gerichtshof ist der Auffassung, "dass dem Grundbuch vor allem in bestimmten Mitgliedstaaten, die das lateinische Notariat kennen, u. a. im Rahmen von Grundstückstransaktionen entscheidende Bedeutung" zukomme.
Konstitutive Wirkung verlangt sichere Kontrollen
Im österreichischen Recht haben Grundbucheintragungen konstitutive Wirkung, das heißt, Rechte an Grundstücken entstehen erst mit ihrer Eintragung im Grundbuch. Die Führung des Grundbuchs stelle insofern einen "wesentlichen Bestandteil der vorsorgenden Rechtspflege dar, als sie die ordnungsgemäße Rechtsanwendung und Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen gewährleisten soll", so der EuGH. Er erkennt in diesem Zusammenhang an, dass "nationale Bestimmungen, die vorschreiben, dass die Richtigkeit von Eintragungen in ein Grundbuch durch vereidigte Berufsangehörige wie Notare überprüft werden muss, zur Gewährleistung der Rechtssicherheit von Grundstückstransaktionen und zur Funktionsfähigkeit des Grundbuchs" beitragen.
Diese Beschränkung sei auch verhältnismäßig, denn das Tätigwerden des Notars sei für die Eintragung im Grundbuch "wichtig und notwendig". Er prüfe nämlich nicht nur die Identität des Unterzeichners, sondern auch die Rechtmäßigkeit der geplanten Transaktion und die Geschäftsfähigkeit des Antragstellers. Um die beiden Ziele Funktionsfähigkeit des Grundbuchsystems und Rechtssicherheit von Grundstückstransaktionen zu erreichen, stelle es eine geeignete Maßnahme dar, die Beglaubigung einer bestimmten Berufsgruppen vorzubehalten, die "öffentliches Vertrauen genießt und über die der betreffende Mitgliedstaat eine besondere Kontrolle ausübt."
Der Gerichtshof argumentierte zudem, dass die von tschechischen Rechtsanwälten vorgenommene Bestätigung der Echtheit von Unterschriften nicht mit der Tätigkeit der Beglaubigung durch die Notare vergleichbar sei. Für das notarielle Beglaubigungswesen seien strengere Regeln zu beachten.
2/2: "Beglaubigungsvermerke" tschechischer Rechtsanwälte keine öffentliche Urkunden
Schließlich heben die Luxemburger Richter hervor, dass der von einem tschechischen Rechtsanwalt angebrachte "Beglaubigungsvermerk" selbst in der Tschechischen Republik keine öffentliche Urkunde darstelle. Infolgedessen würde eine Verpflichtung der österreichischen Behörden, die Echtheitsbestätigung des tschechischen Rechtsanwalts als öffentliche Urkunde anzuerkennen, der Urkunde in Österreich eine andere Beweiskraft verleihen als ihr in der Tschechischen Republik zukommt.
Der damit verbundene Verzicht auf staatliche Kontrollfunktionen und eine wirksame Gewährleistung der Kontrolle der Grundbucheintragungen würde zu einer Störung der Funktionsfähigkeit des Grundbuchsystems sowie der Rechtssicherheit von Rechtsgeschäften zwischen Privatpersonen führen.
Urteil fügt sich nahtlos in Linie des EuGH ein
Der EuGH folgt in den entscheidenden Punkten der Ansicht des Generalanwalts Maciej Szpunar. Dieser hatte in seinen Schlussanträgen vom September vergangenen Jahres ebenfalls betont, dass ein Mitgliedstaat, der mit der Schaffung eines Grundbuchs und den mit ihm verbundenen Garantien zum Schutz des Immobilieneigentums ein System vorsorgender Rechtspflege vorsieht, auf staatliche Kontrollfunktionen und eine wirksame Gewährleistung der Kontrolle der Grundbucheintragungen nicht verzichten kann.
Das Urteil liegt damit ganz auf der Linie der so genannten Notar-Entscheidung vom 24. Mai 2011 (Az. C-54/08) zum Staatsangehörigkeitsvorbehalt, in der der EuGH in einem obiter dictum bereits diverse Strukturmerkmale des Notariats anerkannt hatte. Noch deutlicher als damals ordnet der EuGH nun den Notar gleichsam als "Gatekeeper" (sinngemäß "Vorsteher") für die Eintragungs-Kontrolle des Grundbuchs dem Bereich der staatlich organisierten "vorsorgenden Rechtspflege" zu, die er jetzt auch terminologisch erstmals ausdrücklich anerkennt. Obwohl auch hier nicht entscheidungserheblich, segnet der EuGH quasi nebenbei noch einmal die Strukturprinzipien der kontinentaleuropäischen und deutschen Notariatsverfassung ab. Damit erklärt er die Beschränkung der Zahl der Notare und ihrer Zuständigkeiten ebenso für unionsrechtlich unbedenklich wie besondere persönliche und fachliche Anforderungen bei ihrer Bestellung oder ein zwingendes Gebührenrecht.
Der Gerichtshof betont ausdrücklich den Wert eines funktionierenden Grundbuchwesens im System der vorsorgenden Rechtspflege, in das Notare in vielen Mitgliedstaaten eng eingebunden sind. Da Eintragungen im österreichischen und auch deutschen Grundbuch konstitutive Wirkungen haben und zudem weitreichende Gutglaubens- und Publizitätswirkungen besitzen, kommt der Richtigkeit und Vollständigkeit des Grundbuchs besondere Bedeutung zu. Jeder kann sich auf die Eintragungen im Grundbuch verlassen. Hierdurch werden Grundstückstransaktionen erheblich erleichtert. Bei falschen Eintragungen besteht umgekehrt die Gefahr, dass der wahre Berechtigte sein Eigentum an "gutgläubige Dritte" verliert.
Um die Richtigkeit der Grundbucheinträge zu gewährleisten, müssen die Daten für das Grundbuch streng kontrolliert werden und zwar durch eine Berufsgruppe, die ihrerseits einer strengen Aufsicht und Kontrolle unterliegt. Notare gehören als öffentliche Amtsträger zu einer Berufsgruppe, die aufgrund ihrer staatlichen Bestellung und Beaufsichtigung – wie der EuGH es ausdrückt – "öffentliches Vertrauen" genießt. Die von Notaren errichteten Urkunden besitzen einen hervorgehobenen Beweiswert und unterscheiden sich dadurch von Privaturkunden. Die Bestätigung des tschechischen Rechtsanwalts, welcher bereits nach tschechischem Recht nicht der Beweiswert einer öffentlichen Urkunde zukommt, hat eben nicht den gleichen Beweiswert wie eine notarielle Urkunde.
Notarielles System auch in Deutschland weiter gefestigt
Die Entscheidung überzeugt und entspricht vollständig der Kernaussage der Notar-Entscheidung aus 2011: Der Gerichtshof stellt zwar noch einmal klar, dass die notarielle Beglaubigung – die hinsichtlich der Kontrollfunktion ohnehin schwächer ausgestaltet ist als die Beurkundung – nicht zum Kernbereich der Ausübung öffentlicher Gewalt gehört und deshalb auch nicht von vornherein dem Anwendungsbereich der Personenverkehrsfreiheiten gemäß Art. 51, 62 AEUV entzogen ist.
Gleichzeitig lässt der EuGH auf Rechtfertigungsebene jedoch eine deutlich bewahrende Tendenz erkennen und billigt den Mitgliedstaaten sowohl bei der Festlegung notarieller Vorbehaltsaufgaben als auch bei der Ausgestaltung ihrer Notariats- und damit auch Zivilrechtssysteme einen weitreichenden Organisationsspielraum zu.
Es bleibt also dabei: Ins Grundbuch kommt man nur mit notariell beglaubigten oder beurkundeten Dokumenten. Dank notarieller Eintragungs-Kontrolle bleibt die Zuverlässigkeit des Grundbuchs und die Sicherheit und Leichtigkeit des Grundstücksverkehrs mit dem Urteil auch in Deutschland in Zukunft gewährleistet.
Der Autor Dr. Leif Böttcher, LL.M. (Miami) ist Notar in Brühl.
Dr. Leif Böttcher, LL.M. (Miami) , EuGH zu Beglaubigungen im Grundstücksverkehr: Notarvorbehalt europarechtskonform . In: Legal Tribune Online, 10.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22342/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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