Technisch könnte eine Bibliothek ein E-Book mehrfach verleihen. Rechtlich erkennt der EuGH aber keinen Grund, zwischen digitalem und gedrucktem Lesestoff zu unterscheiden. Warum sich Büchereien freuen dürfen, erklärt André Niedostadek.
Die Digitalisierung berührt nicht nur das Kulturgut Buch, das sich über Jahrhunderte bewahrt hat, sondern auch die gesamte Bibliothekslandschaft. Infolge des digitalen Wandels sehen sich Bibliotheken mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert. So ging es nun in einem aktuellen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) um den Verleih von E-Books.
Dieser kann unter bestimmten Voraussetzungen dem Verleihen herkömmlicher Bücher gleichgestellt werden, entschieden die Luxemburger Richter. In einem solchen Fall findet die Ausnahme für das öffentliche Verleihwesen Anwendung, die unter anderem eine angemessene Vergütung für Urheber vorsieht (Urt. v. 10.11.2016, Az. C-174/15).
Das hat weitreichende Folgen. Wer beispielsweise ein herkömmliches Buch ausleiht, kennt das: Ist das Buch verliehen, steht es anderen Nutzern währenddessen nicht zu Verfügung. Man spricht hier auch vom "One-copy-one-user"-Modell. Lässt sich das auf E-Books übertragen, womit anderen Nutzern der Zugriff darauf während der Ausleihe ebenfalls verwehrt wäre? Technisch lässt sich das jedenfalls einrichten. Für Büchereien geht es bei dieser Frage aber rechtlich um mehr.
Knackpunkt: E-Book-Verleih kann aufwendig sein
Dem Verfahren liegt ein Fall aus den Niederlanden zugrunde. Bibliotheken, die dort E-Books verleihen, müssen dazu der gängigen Praxis entsprechend eine gesonderte Lizenzvereinbarung mit den Rechtsinhabern schließen. Nach Ansicht der Vereniging Openbare Bibliotheken (VOB), einem niederländischen Zusammenschluss öffentlicher Bibliotheken, ist das ein nicht hinnehmbarer administrativer Aufwand. Vielmehr dürfe der Verleih von E-Books von Urheber und Verlage bei einer angemessenen Vergütung nicht verweigert werden. Ganz anders sieht das die Stichting Leenrecht. Sie nimmt, wie hierzulande die VG Wort, die Vergütungsinteressen der Urheber wahr.
Das erstinstanzlich mit der Sache befasste Bezirkgsgericht in Den Haag sah hier europäisches Recht berührt. Tatsächlich gewährt eine Richtlinie aus dem Jahr 2006 (Richtlinie 206/115/EG) Rechtsinhabern, also Autoren und Verlagen, das ausschließliche Recht, den Verleih von Büchern zu erlauben oder zu verbieten. Bei der Umsetzung der europäischen Vorgaben in nationales Recht konnten die Mitgliedsstaaten jedoch Ausnahmen speziell für öffentliche Bibliotheken vorsehen, jedenfalls soweit es sich um herkömmliche Bücher handelt und eine angemessene Vergütung gezahlt wird.
Der EuGH hatte sich nun im Wege der Vorabentscheidung mit der Frage zu befassen, ob diese Ausnahme für das öffentliche Verleihwesen auch für das Verleihen von E-Books nach dem "One-copy-one-user"-Modell gilt.
Das "One-copy-one-user"-Modell für E-Books?
Nach Ansicht der Luxemburger Richter gibt es keinen zwingenden Grund, das Verleihen von digitalen Kopien pauschal aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herauszunehmen. Dies gelte umso mehr, da es gerade ein Anliegen der Richtlinie sei, das Urheberrecht an neue wirtschaftliche Entwicklungen anzupassen. Zudem sei ein prinzipieller Ausschluss des digitalen Verleihs nicht mit dem Grundsatz vereinbar, Urheber möglichst zu schützen.
Damit könne auch das öffentliche Verleihen einer digitalen Buchkopie nach dem "One-copy-one-user"-Modell unter Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie fallen. Die Richter betonten dabei die Bedeutung des öffentlichen Verleihens von E-Books sowie die kulturpolitische Zielsetzung. Letztlich sei das Verleihen digitaler und gedruckter Werke miteinander vergleichbar.
Zusätzlich bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, ergänzende Voraussetzungen festzulegen, um die Rechte von Urhebern zu verbessern. Im konkreten Fall sehen beispielsweise die niederländischen Vorgaben vor, dass öffentlichen Bibliothek ihre zur Verfügung gestellte digitale Kopie eines Buches entweder durch einen Erstverkauf oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung erhalten müssen. Kopien aus illegalen Quellen, so das Gericht weiter, unterliegen explizit nicht der Ausnahme für das öffentliche Verleihwesen. Schließlich ziele die Richtlinie auch auf die Bekämpfung von Piraterie ab.
2/2: Für Bibliotheken wird es nun einfacher
Mit der Entscheidung des EuGH können sich Bibliotheken nun auch beim Verleih von E-Books auf die Ausnahmeregelung berufen. Damit müssen sie nicht mehr für jeden Verleihvorgang eine extra Lizenzvereinbarung mit den Rechtsinhabern treffen, wodurch ihnen viel verwaltungstechnischer Aufwand erspart bleibt. Geld fließt weiterhin an die Autoren und Verlage, für Büchereien wird es aber wesentlich einfacher.
Im Ergebnis ist der EuGH damit auch den Schlussanträgen des Generalanwalts Maciej Szpunar gefolgt. Eine große Überraschung gibt es also nicht, die Entscheidung akzentuiert aber noch einmal deutlich die Zielsetzung des urheberrechtlichen Schutzes. Mit dem Vorabentscheidungsgesuch hat der EuGH die weiteren Weichen auch für andere nationale Gerichte gestellt, die mit ähnlichen Rechtsfragen konfrontiert sind.
E-Books weiterhin in der rechtlichen Debatte
Die heutige Entscheidung des EuGH ist ein weiterer Mosaikstein in einer Reihe von Urteilen. Schon 2014 hatten sich die Richter beispielsweise mit dem Steuersatz solcher Medien befasst und niedrigere Sätze – anders als bei Printexemplaren – für unzulässig erklärt. Antworten auf andere Fragen stehen noch aus, etwa bezüglich des Weiterverkaufs von E-Books. So stellt sich etwa die Frage, ob das Verbreitungsrecht an ihnen endet, wenn sie einmal auf den Markt gebracht wurden. Diesbezüglich lässt die heutige Entscheidung erste Akzente erkennen.
Bezüglich der Mehrwertsteuer für E-Books hatte die Europäische Kommission bereits einen Aktionsplan mit Maßnahmen zur Modernisierung des EU-Mehrwertsteuersystems vorgestellt. Danach ist auch mit einem verminderten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für E-Books zu rechnen, wie er bereits für gedruckte Bücher gilt.
Womöglich wird das auch die Preispolitik der Verlage beeinflussen und den Absatz von E-Books ankurbeln. Nach einer Verbraucherbefragung des IT-Branchenverband Bitkom im Vorfeld der diesjährigen Frankfurter Buchmesse stagniert hierzulande nämlich die Verbreitung elektronischer Bücher. Was den Verleih von E-Books durch öffentliche Bibliotheken betrifft, legt die heutige Entscheidung den Lesern jedenfalls keine Steine in den Weg.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz in Halberstadt. Sie können ihm auf Twitter folgen.
André Niedostadek, EuGH zum Verleih von E-Books: Digital oder analog? Egal! . In: Legal Tribune Online, 10.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21119/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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