Der EuGH hat die Ankündigung der EZB, notfalls Staatsanleihen kriselnder EU-Staaten aufzukaufen, gebilligt. In einem salomonischen Urteil trägt er zugleich den Bedenken des BVerfG Rechnung. Von Joachim Wieland.
Die EZB ist ein so mächtiger Akteur, dass bereits die Ankündigung ihres OMT-Programms am 6. September 2012 zur Beruhigung der Finanzmärkte ausgereicht hat. Eine Umsetzung des Programms war nicht erforderlich. Vor allem in Deutschland ist das Programm aber kritisch gesehen worden, weil eine unzulässige Staatsfinanzierung befürchtet wurde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem historischen ersten Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) deutlich seine Zweifel zum Ausdruck gebracht, ob nicht das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verletzt sei. Es hat dem EuGH zugleich ein Kompromissangebot gemacht: Wenn er die Kompetenzen der EZB in seiner Entscheidung klar begrenze, könne das ein verfassungswidriges, von ihren Kompetenz nicht gedecktes Handeln der EZB ausschließen. Darauf ist Generalanwalt Cruz Villalón in seinen klugen Schlussanträgen vom 14. Januar 2015 eingegangen. Er hat aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Grenzen der Handlungsbefugnisse der EZB abgeleitet und damit dem EuGH den Weg zu einer für das BVerfG akzeptablen Entscheidung gewiesen. Dieser Wegweisung ist der EuGH gefolgt.
Währungspolitik, keine Wirtschaftspolitik
Grundlage der Entscheidung des EuGH ist die Qualifizierung des OMT-Programms als Instrument der erlaubten Geld- und Währungspolitik, das nur indirekt wirtschafspolitische Auswirkungen habe. Das Programm solle die Einheitlichkeit der Geldpolitik und durch deren Transmission zugleich die Preisstabilität gewährleisten. Dahinter tritt die mögliche Folge des Programms zurück, zugleich zur Stabilität des Euro-Währungsgebiets beizutragen.
Der Ankauf von Staatsanleihen auf den Finanzmärkten zählt laut EuGH zu den bewährten, unionsrechtlich zulässigen geldpolitischen Instrumenten der EZB. Mittelbare Auswirkungen auf die Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele können sich zwar aus den Stabilitätsvorgaben ergeben, die mit dem Programm verbunden sind. Das System der Europäischen Zentralbanken solle aber nach den Unionsverträgen gerade auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union unterstützen.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Wie der Generalanwalt sieht auch der EuGH, dass den geldpolitischen Befugnissen der EZB Grenzen gezogen werden müssen, damit sie nicht doch zur Wirtschaftspolitik mutieren. Dazu dient der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der EuGH räumt bei dessen Anwendung der EZB einen weiten Beurteilungsspielraum ein: Sie konnte im September 2012 unter den damaligen wirtschaftlichen Bedingungen zu der Beurteilung gelangen, dass ihr Programm zur Gewährleistung der Preisstabilität geeignet sei.
Das OMT-Programm ging auch "nicht offensichtlich" über das hinaus, was zur Verfolgung dieses Ziels erforderlich war. Schließlich hat die EZB nach Auffassung des EuGH die beteiligten Interessen in einer Weise gegeneinander abgewogen, die vermieden habe, dass die Programmdurchführung zu offensichtlich unverhältnismäßigen Nachteilen führe. Die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolle auf einen Evidenzmaßstab lässt der EZB viel Spielraum für eigenständige Einschätzungen. Sie wird nur in extremen Ausnahmefällen eine gerichtliche Beanstandung des Handelns der EZB rechtfertigen.
Verbot der monetären Staatsfinanzierung
Den Bedenken des BVerfG gegen das OMT-Programm trägt der EuGH durch die nachdrückliche Betonung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung Rechnung. Der Erwerb von Staatsanleihen auf den Finanzmärkten darf das Verbot der Staatsfinanzierung nicht umgehen. Deshalb darf dieser Erwerb nicht die gleiche Wirkung haben wie der direkte Ankauf der Anleihe eines Mitgliedstaates.
Das setzt voraus, dass die Marktteilnehmer nicht schon im Voraus die Gewissheit haben, dass die EZB ihnen die Anleihen abkaufen wird. Dem trägt das Programm dadurch Rechnung, dass es keinen Automatismus des Ankaufs gibt und dass Mindestfristen zwischen der Ausgabe einer Anleihe und deren Ankauf auf den Finanzmärkten durch die EZB eingehalten werden. Das hatte die EZB in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH ausdrücklich zugesichert. Auf diesem Wege sieht es der EuGH als ausgeschlossen an, dass das Programm den Mitgliedstaaten den Anreiz zur Verfolgung einer gesunden Haushaltspolitik nehme.
Mit seinem Urteil gibt der EuGH der EZB die für ihre Geldpolitik erforderliche Rechtssicherheit, zeigt ihr aber zugleich auch die Grenzen ihrer Befugnisse auf. Es ist zu erwarten, dass das BVerfG diese Grenzen in einigen Monaten in seiner Entscheidung besonders betonen, das Urteil aber grundsätzlich akzeptieren und auf die Annahme einer Kompetenzüberschreitung verzichten wird.
Für die Finanzmärkte sendet das Urteil das Signal, dass eine Spekulation gegen die EZB in einer künftigen Finanzkrise wenig Aussicht auf Erfolg haben wird. Das kann schon bald von Bedeutung sein, falls die Griechenlandkrise sich weiter zuspitzen sollte.
Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, OMT-Programm der EZB zulässig: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15868 (abgerufen am: 10.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag