Für ein Visum müssen ausländische Ehepartner in vielen Fällen "einfache deutsche Sprachkenntnisse" nachweisen. Diese deutsche Regelung ist EU-Recht-konform. Eine bemerkenswerte Entscheidung des EuGH, meint Daniel Thym.
Aus guten Gründen sind die Sprachanforderungen für den Ehegattennachzug umstritten. Politik lebt von der symbolischen Zuspitzung von Streitigkeiten, die die im Detail überaus komplexen Grundfragen der gegenwärtigen Migrationspolitik sichtbar machen. Die gesetzliche Forderung nach "einfachen deutschen Sprachkenntnissen", ohne die Ehegatten ein Visum für die Einreise nach Deutschland grundsätzlich verweigert werden kann, ist ein solches Symbol, anhand dessen in Politik und Zivilgesellschaft über die Ausrichtung des deutschen Ausländerrechts gestritten wird.
Eben dieser Streit ist ein hilfreicher Gradmesser für den Zustand und die Zukunft der deutschen Migrationspolitik. Bei der Auseinandersetzung um die Sprachkenntnisse geht es nicht in erster Linie um die Frage, ob "mehr" oder "weniger" Zuwanderung stattfinden soll, sondern um das Selbstverständnis der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Die Sprachkenntnisse stehen aus Sicht ihrer Befürworter für einen Ansatz, der den sozialen Zusammenhalt in einem Zeitalter zunehmender Migrationsbewegungen fördern will. Eben dieser Zielrichtung erteilt der EuGH seine Zustimmung.
Europarecht als Wunderwaffe
Dass es hierzu kommen würde, war keineswegs ausgemacht. In der deutschen Debatte wurde häufig die Meinung vertreten, dass die Bundesregierung spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg einen Schiffbruch erleiden werde – und auch die Europäische Kommission in Brüssel hatte bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Forderung nach Sprachkenntnissen eingeleitet. Es war wie häufig in rechtspolitischen Debatten: Der Rückgriff auf das Europarecht erscheint Kritikern gleichsam als Wunderwaffe, wenn sie im politischen Meinungsstreit unterliegen.
Das aktuelle Urteil vom Donnerstag beweist, dass solche Behauptungen nicht immer zutreffen. Es steht keineswegs fest, dass die EU-Kommission und die Kritiker nationaler Regelungen vor dem EuGH immer gewinnen müssen (dasselbe gilt auch für die PKW-Maut). Der Gerichtshof bildet sich eigenständig eine Meinung und wiegt die Argumente mit richterlicher Unabhängigkeit. Dass im aktuellen Verfahren die Forderung nach Sprachkenntnissen akzeptiert würde, hatten frühere Urteile angedeutet, doch erst jetzt wurde es offiziell ausgesprochen.
Das Urteil zur niederländischen Vorlage gilt auch für Deutschland
Ausgangspunkt des aktuellen Urteils war ein niederländischer Fall, aber dennoch gelten die Aussagen des EuGH auch für Deutschland. Grund hierfür ist die sogenannte Familienzusammenführungs-Richtlinie 2003/86/EG, über deren Auslegung zu entscheiden war und die für Deutschland ganz genauso gilt.
Tatsächlich verlangen die Niederlande von ausländischen Ehegatten eine noch strengere Integrationsprüfung, die mündliche Sprachkenntnisse ebenso umfasst wie Grundkenntnisse der niederländischen Gesellschaft. Eine breitere Bekanntheit in den Medien erlangte diese niederländische Vorgabe vor zehn Jahren, weil in einem offiziellen Begleitvideo als Teil der Lehrmaterialen küssende Schwule und barbusige Badende gezeigt wurden. Letzteres gab und gibt es in Deutschland nicht, wohl jedoch die Forderung nach "einfachen Sprachkenntnissen" (ohne Landeskunde), was konkret das Niveau A1 meint und damit auf alltägliche Ausdrücke und einfache Sätze abzielt.
Im konkreten Fall hatten die Aserbaidschanerin "K" sowie die nigerianische Staatsangehörige "A" den niederländischen Test nicht bestanden. Sie beriefen sich jedoch auf körperliche bzw. psychische Leiden, aufgrund derer ihnen die Teilnahme an dem Test nicht zuzumuten sei, auch wenn das vorlegende Gericht nicht näher ausführte, um welche Form von Leiden es konkret ging. Auf Einzelheiten kommt es auch gar nicht an, weil der EuGH unabhängig hiervon die Grundsatzfrage zu entscheiden hatte, ob Sprachtests überhaupt verlangt werden können. Eben diese Festlegung traf er nun.
Auslegung der Familienzusammenführungs-Richtlinie
Entscheidend für den Ausgang des Verfahrens war die Auslegung des Artikels 7 Absatz 2 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten von ausländischen Ehegatten "verlangen [können], dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen". Dies wurde teilweise so verstanden, dass nur "Maßnahmen" nach der Einreise verlangt werden könnten, etwa der Besuch eines Sprachkurses in Deutschland, während "Bedingungen" vor der Einreise verboten sein sollten. Jedenfalls aber standen aus Sicht der Kritiker die Grundrechte, die Verhältnismäßigkeit und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie der Forderung nach einfachen Sprachkenntnissen entgegen.
Keines dieser Argumente vermochte den EuGH zu überzeugen. Mit Blick auf die Wortwahl hatte die Generalanwältin Juliane Kokott sehr viel überzeugender als die knappen Ausführungen des Gerichtshofs dargelegt, dass die sprachliche Abstufung zwischen "Maßnahmen" und "Bedingungen" den Streit nicht zu überzeugen vermag. Dies leuchtet durchaus ein, weil in einer mehrsprachigen Rechtsordnung wie dem EU-Recht derartige Feinheiten der Sprachwahl selten den Ausschlag geben. Stattdessen geht es eher um eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Rechtslage.
2/2: Kein Anspruch auf Familienzusammenführung
Insoweit hatten die Mitgliedstaaten durchaus gute Argumente auf ihrer Seite, weil speziell die EU-Grundrechte den Familiennachzug nur sehr begrenzt determinieren. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, dass aus dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens nach Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in der Regel kein individuelles Recht auf Einreise für die Zwecke des Familiennachzugs folgt. Dies mag manchen Kritikern hart erscheinen, ist jedoch seit Jahren gefestigte Rechtsprechung: Aus den Grundrechten folgt kein Anspruch auf Familienzusammenführung.
Hiernach fällt die Entscheidung letztlich bei der Auslegung des einfachen Richtlinienrechts. Auch hier folgt der Gerichtshof nicht den Kritikern. Kern seiner Argumentation ist das Verständnis des Integrationsbegriffs, den der EuGH ganz im Sinn der deutschen und niederländischen Regelung darauf gerichtet sieht, ein möglichst produktives Zusammenspiel von Einwanderer und Aufnahmegesellschaft zu bewirken.
Damit wird ein Integrationsverständnis zurückgewiesen, das Integration als Gewährleistung gleicher Rechte ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Realitäten versteht. So deutlich wie nie spricht der Gerichtshof aus, dass Integration durch Sprachkenntnisse erleichtert wird, weil es "die Verständigung ... deutlich erleichtert und darüber hinaus die Interaktion und die Entwicklung sozialer Beziehungen ... begünstigt. Auch kann nicht bestritten werden, dass [sie] den Zugang ... zu Arbeitsmarkt und Berufsausbildung erleichter[n]." Damit steht fest: Sprachtests vor der Einreise dienen der Integration und stehen daher im Einklang mit der Familienzusammenführungs-Richtlinie.
Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung
Nun folgt aus dem Vorstehenden nicht, dass die Mitgliedstaaten immer und ausnahmslos auf Sprachkenntnissen bestehen dürfen. Vielmehr verlangt der EuGH auch im aktuellen Urteil eine Ausnahme, die auf die individuellen Umstände des Einzelfalls Rücksicht nimmt. Soweit hiernach das Bestehen auf Sprachkenntnissen als unzumutbar erscheint, muss der Familiennachzug dennoch gewährleistet werden. Eben dies hatte der Gerichtshof zuvor bereits für türkische Staatsangehörige entschieden.
Dies läuft auf die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung hinaus, in der geprüft wird, ob einzelne Personen "ihre Bereitschaft zur erfolgreichen Ablegung der Prüfung und ihre dafür unternommenen Anstrengungen" gezeigt haben, aber aufgrund individueller Umstände "wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesundheitszustand" letztlich nicht in der Lage waren, die Sprachkenntnisse nachzuweisen. Hinzu kamen im Fall der Niederlande zu hohe Kurs- und Prüfungsgebühren, die speziell in Entwicklungsländern eine prohibitive Wirkung entfalteten. Das darf nicht sein. Der Test muss eine reale Chance bieten, bei zumutbaren Anstrengungen auch bestanden zu werden.
EuGH bleibt Einzelheiten schuldig
Weitere Einzelheiten, wann konkret eine Ausnahme zu erteilen ist, bleibt der EuGH wieder einmal schuldig, sodass der deutsche Gesetzgeber und das Bundesverwaltungsgericht insoweit einen gewissen europarechtlichen Spielraum besitzen dürften, wie die Ausnahmeregelung im Detail auszugestalten ist. Speziell der Bundestag hat diese Aufforderung zum Tätigwerden bereits aufgegriffen. Im Innenausschuss einigten sich die Vertreter der Großen Koalition vor wenigen Wochen auf einen Änderungsantrag zu einem aktuellen Gesetzesvorhaben, der im deutschen Aufenthaltsgesetz eine Ausnahmeregelung für "besondere Umstände des Einzelfalls" vorsieht. Sobald dieses Gesetz in Kraft tritt, steht fest, dass die deutsche Rechtslage europarechtskonform ist.
Einen Schlusspunkt setzt das EuGH-Urteil nur für die rechtspolitische Debatte um die europarechtliche Zulässigkeit der Forderung nach Sprachkenntnissen. Die breitere gesellschaftliche und politische Diskussion um das Selbstverständnis der deutschen Einwanderungsgesellschaft wird weitergehen. Nach meiner Überzeugung ist hierbei gerade die Forderung nach Sprachkenntnissen ein Ausdruck der Einsicht, dass Migranten zunehmend als gleichberechtigte Bürger anerkannt werden. Die volle Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ist das Ziel einer erfolgreichen Integrationspolitik, die durch die Sprachkenntnisse vor der Einreise vorangetrieben wird. Eben dies anerkennt auch der EuGH.
Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).
Daniel Thym, EuGH zu Sprachkenntnissen bei Ehegattennachzug: Ende der Debatte . In: Legal Tribune Online, 09.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16169/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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