EuGH zu Sprachkenntnissen bei Ehegattennachzug: Ende der Debatte

2/2: Kein Anspruch auf Familienzusammenführung

Insoweit hatten die Mitgliedstaaten durchaus gute Argumente auf ihrer Seite, weil speziell die EU-Grundrechte den Familiennachzug nur sehr begrenzt determinieren. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, dass aus dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens nach Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in der Regel kein individuelles Recht auf Einreise für die Zwecke des Familiennachzugs folgt. Dies mag manchen Kritikern hart erscheinen, ist jedoch seit Jahren gefestigte Rechtsprechung: Aus den Grundrechten folgt kein Anspruch auf Familienzusammenführung.

Hiernach fällt die Entscheidung letztlich bei der Auslegung des einfachen Richtlinienrechts. Auch hier folgt der Gerichtshof nicht den Kritikern. Kern seiner Argumentation ist das Verständnis des Integrationsbegriffs, den der EuGH ganz im Sinn der deutschen und niederländischen Regelung darauf gerichtet sieht, ein möglichst produktives Zusammenspiel von Einwanderer und Aufnahmegesellschaft zu bewirken.

Damit wird ein Integrationsverständnis zurückgewiesen, das Integration als Gewährleistung gleicher Rechte ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Realitäten versteht. So deutlich wie nie spricht der Gerichtshof aus, dass Integration durch Sprachkenntnisse erleichtert wird, weil es "die Verständigung ... deutlich erleichtert und darüber hinaus die Interaktion und die Entwicklung sozialer Beziehungen ... begünstigt. Auch kann nicht bestritten werden, dass [sie] den Zugang ... zu Arbeitsmarkt und Berufsausbildung erleichter[n]." Damit steht fest: Sprachtests vor der Einreise dienen der Integration und stehen daher im Einklang mit der Familienzusammenführungs-Richtlinie.

Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung

Nun folgt aus dem Vorstehenden nicht, dass die Mitgliedstaaten immer und ausnahmslos auf Sprachkenntnissen bestehen dürfen. Vielmehr verlangt der EuGH auch im aktuellen Urteil eine Ausnahme, die auf die individuellen Umstände des Einzelfalls Rücksicht nimmt. Soweit hiernach das Bestehen auf Sprachkenntnissen als unzumutbar erscheint, muss der Familiennachzug dennoch gewährleistet werden. Eben dies hatte der Gerichtshof zuvor bereits für türkische Staatsangehörige entschieden.

Dies läuft auf die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung hinaus, in der geprüft wird, ob einzelne Personen "ihre Bereitschaft zur erfolgreichen Ablegung der Prüfung und ihre dafür unternommenen Anstrengungen" gezeigt haben, aber aufgrund individueller Umstände "wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesundheitszustand" letztlich nicht in der Lage waren, die Sprachkenntnisse nachzuweisen. Hinzu kamen im Fall der Niederlande zu hohe Kurs- und Prüfungsgebühren, die speziell in Entwicklungsländern eine prohibitive Wirkung entfalteten. Das darf nicht sein. Der Test muss eine reale Chance bieten, bei zumutbaren Anstrengungen auch bestanden zu werden.

EuGH bleibt Einzelheiten schuldig

Weitere Einzelheiten, wann konkret eine Ausnahme zu erteilen ist, bleibt der EuGH wieder einmal schuldig, sodass der deutsche Gesetzgeber und das Bundesverwaltungsgericht insoweit einen gewissen europarechtlichen Spielraum besitzen dürften, wie die Ausnahmeregelung im Detail auszugestalten ist. Speziell der Bundestag hat diese Aufforderung zum Tätigwerden bereits aufgegriffen. Im Innenausschuss einigten sich die Vertreter der Großen Koalition vor wenigen Wochen auf einen Änderungsantrag zu einem aktuellen Gesetzesvorhaben, der im deutschen Aufenthaltsgesetz eine Ausnahmeregelung für "besondere Umstände des Einzelfalls" vorsieht. Sobald dieses Gesetz in Kraft tritt, steht fest, dass die deutsche Rechtslage europarechtskonform ist.

Einen Schlusspunkt setzt das EuGH-Urteil nur für die rechtspolitische Debatte um die europarechtliche Zulässigkeit der Forderung nach Sprachkenntnissen. Die breitere gesellschaftliche und politische Diskussion um das Selbstverständnis der deutschen Einwanderungsgesellschaft wird weitergehen. Nach meiner Überzeugung ist hierbei gerade die Forderung nach Sprachkenntnissen ein Ausdruck der Einsicht, dass Migranten zunehmend als gleichberechtigte Bürger anerkannt werden. Die volle Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ist das Ziel einer erfolgreichen Integrationspolitik, die durch die Sprachkenntnisse vor der Einreise vorangetrieben wird. Eben dies anerkennt auch der EuGH.

Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).

Zitiervorschlag

Daniel Thym, EuGH zu Sprachkenntnissen bei Ehegattennachzug: Ende der Debatte . In: Legal Tribune Online, 09.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16169/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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