Druckversion
Freitag, 16.05.2025, 15:48 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/eugh-urteil-c-138-13-ehegattennachzug-tuerkisch-deutschtest
Fenster schließen
Artikel drucken
12527

Deutschtest für zuwandernde Ehegatten: Was der EuGH (nicht) sagt

von Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M.

10.07.2014

Deutschtest

© tauav - Fotolia.com

Deutsche Sprachtests für türkische Ehepartner verstoßen gegen Unionsrecht – diese Schlussfolgerung aus dem Urteil des EuGH von Donnerstag ist zu kurz, meint Daniel Thym. Die Luxemburger Richter erlauben die Tests durchaus, dabei muss der deutsche Gesetzgeber lediglich individuelle Interessen in einen ausgewogenen Ausgleich mit staatlicher Integrationsförderung bringen.

Anzeige

Deutschtests für Ehegatten gehören zu den umstrittensten Regeln des deutschen Aufenthaltsgesetzes: Ausländische Ehepartner müssen in vielen Fällen "einfache deutsche Sprachkenntnisse" nachweisen, bevor eine deutsche Botschaft ein Visum für den Familiennachzug ausstellt.

Hierzu befand der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausweislich des Titels der Pressemitteilung vom Donnerstag, dass die deutsche Regelung "gegen das Unionsrecht verstößt" (Urt. v. 10.07.2014, Az. C-138/13 ). Schnell übernahmen Online-Medien dieses pauschale Fazit, obgleich der Inhalt des Urteils weniger eindeutig ausfällt. Im Kern stößt sich der EuGH an der Strenge der aktuellen Rechtslage; die Luxemburger Richter verlangen mehr Flexibilität, aber keineswegs einen generellen Verzicht auf Sprachtests.

Einschränkungen nur für türkische Staatsangehörige

Bemerkenswert ist die Entscheidung zuerst einmal für ihre Selbstbeschränkung. Der EuGH umgeht ganz bewusst eine Festlegung zu der Frage, ob die europäischen Grundrechte den Deutschtests allgemein entgegenstehen. Ein solches Ergebnis wäre rechtlich auch schwer zu begründen gewesen, da der EU-Gesetzgeber selbst in der Familienzusammenführungs-Richtlinie ausdrücklich niedergelegt hatte, dass die Mitgliedstaaten "gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen (können), dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen" (Art. 7 Abs. 2). Die Forderung nach Sprachtests ist mithin kein deutscher Sonderweg. Vergleichbare Regelungen gibt es auch in anderen EU-Staaten.

Zur Auslegung dieser Richtlinie schweigt der EuGH ebenso wie zu der Frage, ob die Richtlinie und/oder ihre deutsche Umsetzung mit europäischen Grundrechten vereinbar sind. Stattdessen konzentrieren sich die Richter auf das Assoziierungsabkommen, das die frühere Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1963 mit der Türkei schloss und im Jahr 1970 um ein Zusatzprotokoll ergänzte. Einzelheiten über die Einreise von Arbeitskräften oder Familienmitgliedern sind dort bis heute nicht geregelt. Allerdings umfasst das Zusatzprotokoll in Art. 41 eine sogenannte Standstill-Klausel, die "neue Beschränkungen" der Niederlassungsfreiheit verbietet und damit letztlich den Rechtszustand des Jahres 1973 einfriert, als das Zusatzprotokoll für Deutschland in Kraft trat.

Auf diese Regelung stützt sich der EuGH, wenn er feststellt, dass der Ehemann der Klägerin selbstständig tätig ist und die Verweigerung des Ehegattennachzugs daher eine Beschränkung seiner Niederlassungsfreiheit im Sinn der Standstill-Klausel ist. Hieraus folgt einschränkend, dass das Urteil nur türkische Staatsangehörige betrifft, die entweder selbst in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen oder die zu ihrem Ehepartner ziehen wollen, der dies tut. Zu anderen Herkunftsländern trifft der EuGH keine Aussage; das Urteil betrifft nur die Türkei. Rechtspolitisch dürfte diese Abstufung dennoch keine entscheidende Rolle spielen, weil der Familiennachzug speziell aus der Türkei immer im Zentrum der deutschen Diskussion um die Sprachtests stand.

Kein generelles Verbot von Sprachkenntnissen

Es mag dem Wunsch der Journalisten nach klaren Aussagen geschuldet sein, dass die Medien das Urteil schnell zu einer Generalabrechnung mit den Deutschtests erhoben. Das Kleingedruckte des knappen Urteilstexts trägt ein solch generelles Fazit jedoch nicht. Dies liegt daran, dass die EU-Richter die Standstill-Klausel in einer im Detail durchaus bemerkenswerten Rechtsprechungswende zu einem Beschränkungsverbot umbauen, das nicht anders als der Warenverkehr oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt eine ungeschriebene Rechtfertigungsmöglichkeit umfasst. Danach sind die Sprachtests zwar eine Beschränkung der Rechte, die das Assoziierungsabkommen gewährt. Diese Beschränkung kann aber gerechtfertigt sein und der EuGH erkennt die Ziele der deutschen Regelungen, Zwangsheiraten zu vermeiden und die Integration zu fördern, auch als Gemeinwohlziele an, die eine Beschränkung rechtfertigen können.

Allerdings halten die Richter die aktuelle Regelung nicht für verhältnismäßig, weil "der fehlende Nachweis des Erwerbs hinreichender Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung des Antrags auf Familienzusammenführung führt, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden". Dies ist gerade kein generelles Verbot von Sprachtests, sondern die Forderung, Ausnahmen in besonderen Umständen zuzulassen.

Dieses Ergebnis hat den Charme, dass der EuGH einen unausgesprochenen Gleichklang mit den Grundrechten ermöglicht. Formal betrifft das Urteil zwar nur das Assoziierungsabkommen, in der Sache gilt für die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Charta der Grundrechte aber ähnliches. Nach der etablierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) folgt aus dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens kein generelles Einreiserecht, weil die Familieneinheit auch im Ausland gelebt werden kann und die Zielstaaten darüber hinaus entgegenstehende Gemeinwohlbelange berücksichtigen dürfen.

Aus diesen Vorgaben der Grundrechte folgerten das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.03.2010, Az. 1 C 8.09), das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 25.03.2011, Az. 2 BvR 1413/10) und der britische High Court of Justice (Urt. v. 16.12.2011) vollkommen zu Recht, dass die Forderung nach Sprachkenntnissen vor der Einreise grundrechtskonform sei, solange es Ausnahmen für besondere Umstände gibt. Eben dies übernimmt der EuGH in der Sache nun für das Assoziierungsrecht.

Balance aus individuellen Interessen und gesellschaftlicher Integrationsförderung

Mit guten Gründen sind die Sprachtests rechtspolitisch umstritten. Sie eignen sich in besonderer Weise dafür, eine Grundfrage der Migrationspolitik in zugespitzter Form sichtbar zu machen: Welches Gewicht besitzen persönliche Interessen der Migranten und inwiefern kann die Aufnahmegesellschaft restriktive Vorgaben treffen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sonstige Gemeinwohlbelange fördern? Speziell die Sprachkenntnisse verweisen hierbei auf ein Grunddilemma moderner und pluralistischer Gesellschaften, wenn die Kriterien für die kollektive Identitätsbildung und die Voraussetzungen der sozialen Kohäsion brüchig werden und umstritten bleiben.

Der EuGH und der EGMR sind als überstaatliche Gerichte gut beraten, solche Fragen einer grundrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen und anschließend in den nationalen Diskursraum zurückzuverweisen – wie es das aktuelle Urteil macht. Auf dieser Grundlage muss nun die deutsche Politik entscheiden. Wenn die Mehrheit an den Sprachtests festhalten möchte, verlangt eine Minimalumsetzung des Urteils einzig die Einführung einer Ausnahme, die die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ermöglicht.

Tatsächlich kennt das Aufenthaltsgesetz schon heute Ausnahmen von den Deutschtests, etwa für Personen mit Hochschulabschluss, bei Krankheit oder Behinderung sowie für Flüchtlinge. Eine weitere Ausnahme für Härtefälle folgerte das Bundesverwaltungsgericht schon früher aus den Grundrechten (Urt. v. 30.03.2010, Az. 1 C 8.09) – ganz ähnlich wie es der EuGH nun explizit einfordert. Wenn eine solche erweiterte Ausnahme eingeführt wird, können weiterhin Sprachtests als Regelvoraussetzung verlangt werden. Es wäre dies eine Balance aus individuellen Interessen und gesellschaftlicher Integrationsförderung, wie sie das aktuelle EuGH-Urteil im Ergebnis einfordert.

Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Daniel Thym, Deutschtest für zuwandernde Ehegatten: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12527 (abgerufen am: 16.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • Ehe
    • Europa
    • Fremdsprachen
    • Türkei
    • Visum
Bundespolizisten gehen am Hauptbahnhof in München 13.05.2025
Schengen-Abkommen

BayVGH zu Kontrolle nach Österreich rechtskräftig:

Bund ver­stößt an Grenzen gegen gel­tendes Recht

Schon lange vor der jüngsten Weisung des neuen Innenministers wurde an der Grenze zu Österreich kontrolliert. Zumindest in einem Fall hat die Bundesregierung damit gegen geltendes Recht verstoßen.

Artikel lesen
Ein Schild mit der Aufschrift Bundesrepublik Deutschland 09.05.2025
Hintergründe

Der Dobrindt-Erlass über Zurückweisungen an der Grenze:

Von der "Herr­schaft des Unrechts" ins "Not­lagen-Chaos"?

Die Diskussion um den Dobrindt-Erlass über Grenz-Zurückweisungen krankt an vielen Missverständnissen. Neben die "Merkel-Rechtsbruch-Theorie" tritt nun Wirrwarr um die Ausrufung einer Notlage. Daniel Thym klärt das juristische Durcheinander.

Artikel lesen
Bundespolizisten stehen am Grenzübergang zwischen dem Ort Freilassing (Deutschland) und der Stadt Salzburg (Österreich) auf der Saalachbrücke und kontrollieren die Einreise. 08.05.2025
Flüchtlinge

Schreiben an die Bundespolizei:

Sind Dobrindts Zurück­wei­sungen recht­lich mög­lich?

Auch Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, sollen nicht mehr nach Deutschland einreisen können. Nur für vulnerable Gruppen soll es Ausnahmen geben, so die Pläne von Innenminister Dobrindt. Was sagt das Europarecht dazu?

Artikel lesen
Die Statue verkörpert Gerechtigkeit mit Schwert und Waage, symbolisiert das Streben nach Gleichbehandlung vor Gericht und im Rechtsstaat. 06.05.2025
Nachrichten

Studie der Arag zum Vertrauen in den Rechtsstaat:

Hälfte der Deut­schen glaubt an Gleich­be­hand­lung vor Gericht

Wie viel Vertrauen bringen Menschen ihrer Justiz und ihrem Rechtsstaat entgegen? Dieser Frage ist der Rechtsschutzversicherer Arag in einer internationalen Studie nachgegangen. Bei der Effizienz der Gerichte sind die Deutschen skeptisch.

Artikel lesen
BAMF-Präsident Sommer 02.04.2025
Beamte

Sommer zur Abschaffung des Asylrechts:

Ver­stieß der BAMF-Prä­si­dent gegen die Zurück­hal­tungspf­licht?

BAMF-Chef Sommer forderte bei einer CDU-nahen Veranstaltung die Abschaffung des individuellen Asylrechts – und erntete Kritik. SPD und Grüne sehen ein Dienstvergehen, Experten halten das für fraglich. Ist ein Rücktritt gerechtfertigt?

Artikel lesen
Ein Vater mit einem Baby auf der Brust (Symbolbild). 01.04.2025
Elternzeit

LG Berlin II sieht EU-Recht umgesetzt:

Vater schei­tert mit Klage wegen feh­lenden "Vater­schafts­ur­laubs"

In Deutschland können Väter nach der Geburt Elternzeit nehmen, aber nicht den von der EU vorgesehenen "Vaterschaftsurlaub". Laut LG hat Deutschland die Richtlinie aber hinreichend umgesetzt – es weist eine Klage auf Schadensersatz ab.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rechts­an­walt (w/m/d) für Fi­nan­cial Li­nes

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rechts­an­walt (w/m/d) für Fi­nan­cial Li­nes

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Mün­chen

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Hengeler Mueller
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich deut­sches und eu­ro­päi­sches...

Hengeler Mueller , Mün­chen

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für al­le Rechts­be­rei­che

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Moovijob Day Luxembourg in Trier

23.05.2025, Trier

Plötzlich doch selbständig? Wie aus einer Scheinselbständigkeit von Lehrkräften eine selbständige Tätigkeit werden kann

26.05.2025, Bonn

Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fachanwaltslehrgang Erbrecht im Fernstudium/ online

23.05.2025

Konfliktvermeidung durch Vertragsgestaltung und Vertragsgestaltung zur Konfliktlösung

26.05.2025, Frankfurt am Main

Matchwinner Verfahrensrecht

26.05.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH