EuGH zu Recht auf Vergessenwerden: Einfach löschen ist auch bequem

von Prof. Niko Härting

13.05.2014

Google hat am Dienstag vor dem EuGH verloren, aber in gewisser Weise auch die Informationsfreiheit, meint Niko Härting. Die Luxemburger Richter haben den Bürgern einen Anspruch darauf gegeben, dass das Unternehmen Suchergebnisse löscht, die Persönlichkeitsrechte verletzen. Google wird dem im Zweifel nachkommen – keine gute Sache für das Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

Wenn es um die Abwägung zwischen Informationsfreiheit und Persönlichkeitsschutz geht, gilt für Google in Zukunft: "Privacy by Default" – "Standardeinstellung: datenschutzfreundlich". Der europäische Gerichtshof (EuGH) räumte in seinem Urteil von Dienstag nämlich den Persönlichkeitsrechten "im Allgemeinen" gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit den Vorzug ein (Urt. v. 13.05.2014, Az. C-131/12).

Das Urteil ist dem Spanier Mario Consteja González zu verdanken. Er verlangte von Google, Links zu Berichten in einer spanischen Tageszeitung zu entfernen. Die Artikel stammten aus dem Jahr 1998, und es ging um die Zwangsversteigerung eines Grundstücks des Klägers wegen einer Pfändung aufgrund von Forderungen der Sozialversicherung. Google weigerte sich, die spanische Datenschutzbehörde verpflichtete das Unternehmen schließlich zur Löschung, wogegen dieses wiederum klagte. Das spanische Gericht legte das Verfahren nun dem EuGH vor.

Für Google gilt europäisches Datenschutzrecht

Die Luxemburger Richter mussten zunächst feststellen, dass das europäische Datenschutzrecht überhaupt für Google gilt. Der Suchmaschinenanbieter wollte sich nämlich mit dem Argument aus der Verantwortung ziehen, dass seine Server, die die Daten verarbeiten, in den USA stehen und nicht in Spanien oder sonst wo in der EU.

Das überzeugte den EuGH nicht: Google werde in Europa tätig und übe dort eine Werbetätigkeit aus, die mit den Suchergebnissen eng verknüpft sei. Das führe nach Art. 4 Abs. 1a der EU-Datenschutzrichtlinie zur Anwendbarkeit des europäischen Datenschutzrechts.

Diese Auffassung hatte bereits der Generalanwalt vertreten (Schlussanträge v. 25.06.2013). Dass der EuGH dieser Ansicht folgt, überrascht nicht. Google & Co. sind also zur Einhaltung des europäischen Datenschutzrechts auch dann verpflichtet, wenn die Datenverarbeitung in den USA oder einem anderen Staat außerhalb der EU erfolgt.

Für die laufende Diskussion um ein neues EU-Datenschutzrecht bedeutet dies, dass es nicht erst einer Neuregelung bedarf, damit das europäische Datenschutzrecht gegenüber amerikanischen Unternehmen anwendbar wird.

Suchergebnis-Liste: ein detailliertes Personenprofil

Inhaltlich nimmt der EuGH Google mit dem Urteil in die Pflicht, Suchergebnisse zu löschen, wenn diese Persönlichkeitsrechte europäischer Bürger verletzen. Eine Löschpflicht kann sogar dann bestehen, wenn es um Informationen geht, die rechtmäßig im Internet verbreitet werden und unter dem Schutz der Kommunikationsfreiheit stehen. Auf das datenschutzrechtliche Medienprivileg kann sich Google nicht berufen.

Der EuGH vertritt damit eine andere Auffassung als der Generalanwalt, der in seinen Schlussanträgen eine Verantwortlichkeit von Google für die Suchergebnisse grundsätzlich verneint hatte. Google sollte danach nur haften, wenn Webseiten entgegen den Anweisungen der Betreiber noch über die Suchmaschine auffindbar sind. Rechtsansprüche von EU-Bürgern gegen Google wegen Suchergebnissen, die Persönlichkeitsrechte verletzen, hatte der Generalanwalt verneint.

Die Richter weisen nun dagegen darauf hin, dass die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten durch eine Suchmaschine erheblich beeinträchtigt werden können. Diese Belastung komme zu der Verbreitung von Informationen auf den einzelnen Webseiten noch hinzu. Die Eingabe eines Namens könne zu einer Ergebnisliste führen, die "potenziell zahlreiche Aspekte des Privatlebens" betreffe und zu einem "mehr oder weniger detaillierten Profil der gesuchten Person" führen könne.

Medienprivileg gilt nicht für Google

Wenn somit künftig über strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Politiker berichtet wird, können sich zwar die Medien selbst auf Art. 9 der EU-Datenschutzrichtlinie ("Medienprivileg") berufen, nicht jedoch die Betreiber von Suchmaschinen.

Prominente, die sich gegen eine missliebige Berichterstattung wehren möchten, werden sich somit in Zukunft als erstes an Google wenden, das die Suchergebnisse, die auf die Berichte verlinken, im Zweifel wird löschen müssen, da Persönlichkeitsrechte grundsätzlich Vorrang vor den Informationsinteressen der Öffentlichkeit haben.

Nur "in besonders gelagerten Fällen" lässt der EuGH eine andere Beurteilung zu, bleibt dabei jedoch mehr als vage und nennt als Legitimationsgrund nur pauschal das "Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information …, das u. a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren kann."

Nichts Grundlegendes zum "Recht auf Vergessenwerden"

Google wird durch das Urteil in eine Situation gebracht, in der das Löschen stets die bequemste Lösung ist. Wenn unliebsame Suchergebnisse moniert werden, ist es für Google in Zukunft stets riskant, die Löschung abzulehnen – es drohen nämlich Bußgelder, die nach der Datenschutzreform noch empfindlicher ausfallen sollen. Die Öffentlichkeit, die an einem Zugang zu den Informationen interessiert ist, hat dagegen keine Anwälte und vor dem EuGH kein Klagerecht.

Wer sich von dem Urteil Grundlegendes zu einem "Recht auf Vergessenwerden" versprochen hat, wird enttäuscht sein: Im letzten Teil des Urteils befasst sich der EuGH nur kurz mit dieser Frage und kommt – sehr allgemein – zu dem Ergebnis, dass es möglich ist, dass ein ursprünglich rechtmäßiges Suchergebnis nach dem Ablauf einer gewissen Zeit rechtswidrig wird.

Ob dies im konkreten Fall zu bejahen ist, müsse zwar das nationale Gericht prüfen. Es spreche jedoch vieles dafür, dass nach dem Ablauf von 16 Jahren "keine besonderen Gründe vorliegen", die ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen könnten.

Der Autor Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.

Zitiervorschlag

Niko Härting, EuGH zu Recht auf Vergessenwerden: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11960 (abgerufen am: 07.10.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen