Muss eine Online-Plattform in einer Zeitungsanzeige, in der sie bei ihr erhältliche Produkte bewirbt, bereits im Printmedium die Verkäuferdaten der einzelnen Produkte angeben? Ingo Jung zur aktuellen EuGH-Entscheidung und ihrem Hintergrund.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen einer Vorlagefrage geantwortet, dass die Werbeanzeige einer Online-Versandplattform in einem Printmedium mit entsprechenden Angaben zu Produkten und Preisen als "Aufforderung zum Kauf" zu verstehen ist. Dabei obliege es den nationalen Gerichten in jedem Einzelfall zu prüfen, ob es aufgrund räumlicher Beschränkungen in dem Werbetext gerechtfertigt ist, Angaben zum Anbieter der beworbenen Produkte nur auf der Online-Verkaufsplattform zur Verfügung zu stellen (Urt. v. 30.03.2017, Az. C-146/16).
Anlass zur Vorlagefrage sah der BGH in einem Streit, an dem die Deutsche Post (DHL) beteiligt ist. Seit einiger Zeit macht diese Online-Versandhäusern wie Amazon Konkurrenz: Auf ihrer Online-Shoppingplattform www.meinpaket.de ("Mein Paket") ermöglicht es DHL Händlern, ihre Produkte anzubieten. Die Kaufabwicklung sowie die Versendung der Produkte erfolgt dann durch DHL.
Im Dezember 2012 schaltete DHL unter der Überschrift "5 Tipps für clevere Weihnachts-Shopper" eine Anzeige in einer Zeitung, in der verschiedene Produkte vorgestellt wurden, die über die Website von "Mein Paket" erhältlich waren. Die Anzeige enthielt jedoch keine Angaben zu den Namen und den Anschriften der jeweiligen Händler, die die einzelnen Produkte über die Verkaufsplattform anboten. An diese Informationen gelangte man erst, wenn man die Webseite aufrief und dort den in der Print-Werbeanzeige für das jeweilige Produkt abgedruckten Code eingab. Erst dann öffnete sich eine Internetseite mit Produkt- und Anbieterinformationen.
Irreführung aufgrund fehlender Informationen?
An dieser Print-Anzeige störte sich der Verband sozialer Wettbewerb e.V. (VSW) mit dem Argument, die Zeitunganzeige sei wettbewerbswidrig, weil sie weder den Namen noch die Anschrift der einzelnen Anbieter der beworbenen Produkte nenne und dem Leser damit wesentliche Informationen im Sinne von § 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vorenthalte.
Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts (LG) Bonn gab dem Verein Recht (Urt. v. 6.3.2014, Az. 14 O 75/13). Das Oberlandesgericht (OLG) Köln wies die Klage jedoch ab, weil es in der Anzeige keinen Wettbewerbsverstoß sah (Urt. v. 26.9.2014, Az. I-5 U 56/14). Im Rahmen des Revisionsverfahren hat der BGH nun angedeutet, dass in der betreffenden Werbung ein unlauteres Vorenthalten von wesentlichen Information gesehen werden könnte, hat diese Frage aber dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (EuGH-Vorlage v. 28.1.2016, Az. I ZR 231/14).
Nach § 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 UWG stellen Identität und Anschrift des Unternehmers eine wesentliche Information dar, deren Vorenthaltung je nach Umständen des Einzelfalls geeignet sein kann, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte.
Dabei dient § 5a Abs. 3 UWG der Umsetzung von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, im Folgenden: UGP-RL). § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG setzt dabei Art. 2 k der UGP-RL um. Insofern sind die Regelungen richtlinienkonform auszulegen und es obliege dem EuGH, über diese Auslegung zu entscheiden, so die Karlsruher Richter.
Für die Entscheidung des EuGH war die Frage zentral, ob die Vorenthaltung der Identität und der Anschriften der Händler – wie in der Anzeige von "Mein Paket" geschehen – geeignet ist, die geschäftliche Entscheidung der Verbraucher zu beeinflussen.
Aufruf einer Website als geschäftliche Entscheidung
Dafür könnte sprechen, dass der Verbraucher erst die Internetseite der Online-Verkaufsplattform besuchen muss, um an diese Informationen zu kommen, was er vielleicht nicht getan hätte, wenn er von vornherein gewusst hätte, um welche Anbieter es sich handelt. Ist also bereits das schlichte Aufrufen einer Website eine geschäftliche Entscheidung? Hieran könnten Zweifel bestehen, weil der Verbraucher alle wesentlichen Informationen zu den beworbenen Produkten über die Website erhält und er sich letztlich entscheiden kann, das Produkt zu kaufen oder hiervon noch Abstand zu nehmen.
Nach Auffassung des EuGH ist eine geschäftliche Entscheidung aber nicht nur die endgültige Entscheidung für oder gegen den Erwerb einer Ware oder den Bezug einer Dienstleistung, sondern jeder Zwischenschritt, der unmittelbar damit zusammenhängt (Urt. v. 19.12.2013, Az. C-281/12).
Vor diesem Hintergrund hatte der EuGH in derselben Entscheidung bereits entschieden, dass das Aufsuchen eines Ladenlokals im stationären Handel eine geschäftliche Entscheidung darstellen kann.
In Anlehnung an eben diese Rechtsprechung hat der BGH in seiner Vorlageentscheidung angedeutet, dass das Aufsuchen der Website einer Online-Verkaufsplattform mit dem Besuch eines Ladenlokals vergleichbar sein könnte und vor diesem Hintergrund eine geschäftliche Entscheidung darstellen könnte. Denn wie der Besuch eines stationären Geschäfts hänge auch das Aufsuchen eines Internetportals unmittelbar mit dem Erwerb der Ware zusammen. Durch das Vorenthalten der Informationen über den Anbieter und dessen Anschrift werde verhindert, dass der Verbraucher den Ruf des Anbieters des jeweiligen Produkts im Hinblick auf Qualität und Zuverlässigkeit sowie dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, Bonität und Haftung im Vorfeld einzuschätzen vermag.
Diese Informationen erreichten den Verbraucher zwar, wenn er die Webseite aufrufe. Dies aber zu spät, um ihm eine informationsgeleitete Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob er sich überhaupt näher mit dem angebotenen Produkt befassen will – und dafür das Internetportal aufsuchen möchte.
2/2: Wesentliche Produkteigenschaften erst online zur Verfügung stellen
Obwohl die Argumente des BGH nachvollziehbar sind, bleib strittig, ob das Aufsuchen einer Internetseite mit dem vom EuGH entschiedenen Fall, in dem es um das Aufsuchen eines Ladenlokals ging, vergleichbar ist. Wird hierdurch wirklich eine vergleichbare Drucksituation des Verbrauchers erzeugt? Daran könnten Zweifel bestehen, denn die Anonymität und Unverbindlichkeit des Internets erleichtern es einem Verbraucher – anders als im Ladenlokal, in dem er sich einer realen Verkaufsperson gegenüber sieht –, von einem Kauf Abstand zu nehmen.
Auch zieht der bloße Aufruf einer Website keine anderen negativen wirtschaftlichen Konsequenzen nach sich, weil der Verbraucher nicht etwa Zeit und Geld investieren muss, um sich zu einem Ladenlokal zu begeben. Allenfalls investiert er Zeit, um die Website aufzurufen.
Gegen die zwingende Annahme von umfassenden Informationspflichten in einer derartigen Anzeige spricht ein Urteil des EuGH vom 12.05.2011 (Az. C-122/10). Damals hatte der EuGH in Bezug auf eine Werbung in einer Tageszeitung ausgeführt, dass es im Einklang mit der UGP-RL stehe, wenn nur einige von mehreren kennzeichnenden Merkmalen eines Produkts in der Anzeige angegeben werden, soweit der Gewerbetreibende im Übrigen auf seine Webseite verweise und sich dort die notwendigen ergänzenden Informationen über die maßgeblichenen Merkmale des Produkts fänden.
Daran, dass die Vorenthaltung von wesentlichen Merkmalen des Produkts die Entscheidung des Verbrauchers beeinflusst, dessen Internetseite aufzurufen, hatte sich der EuGH jedoch in diesem Falle nicht gestört.
EuGH ermöglicht alternative Informationserteilung via Website
In seiner Entscheidung vom Donnerstag hat der EuGH das Vorliegen einer geschäftlichen Entscheidung gar nicht mehr näher thematisiert, sondern schon eher angesetzt und zweierlei in seinem Urteil klargestellt:
Zum einen lässt er keinen Zweifel daran, dass die Printanzeige von "Mein Paket" mit Produkt- und Preisangaben für sich genommen bereits eine klare Aufforderung zum Kauf darstellt. Entsprechend seien dort grundsätzlich alle wesentlichen Informationen im Sinne des Art. 7 Abs. 4 der UGP-RL anzugeben, insbesondere Anschrift und Identität des Anbieters. Das gilt nach Auffassung der Luxemburger Richter auch im Falle der Bewerbung von Angeboten verschiedener Anbietern in einer einzigen Printanzeige: Die Angaben seien für jeden Anbieter gesondert und vollständig erforderlich.
Allerdings betonte der EuGH gerade beim Zusammenspiel von Printwerbung und Online-Angebot die Bedeutung der Regelung des Art. 7 Abs. 3 der UGP-RL, wonach eine Verlagerung dieser Informationserteilung in das Online-Angebot erfolgen kann. Dazu müsse das für die Werbung verwendete Kommunikationsmedium – hier also die Printanzeige der DHL-Plattform - räumlichen Beschränkungen unterliegen.
Diese Ausnahme gilt, sofern die Verbraucher, die die beworbenen Produkte über die in der Werbeanzeige genannte Webseite erwerben können, die Produktinformation dann auf einfache Weise online auf der Seite des Versandhändlers erhalten können.
EuGH führt Rechtsprechung weiter – und fördert die Praxis
Mit dieser Entscheidung hat der EuGH seine Rechtsprechung konsequent weitergeführt. Ins Zentrum der Bewertung rückt damit die Definition einer "räumlichen Beschränkung", deren Bestimmung im Einzelfall der EuGH den nationalen Gerichten zuweist. Als Richtlinie gibt der EuGH insofern an die Hand, dass eine solche räumliche Beschränkung gerade bei der vorliegenden Konstellation bestehen könne, in welcher "Mein Paket" - quasi medienübergreifend - in einem Printmedium für seine Online-Verkaufsplattform geworben hat.
Auf die Verkäuferinformationen könne insbesondere verzichtet werden, wenn in einer Printanzeige seitens der Online-Plattform eine "große Anzahl" von Kaufmöglichkeiten bei verschiedenen Gewerbetreibende angeboten werde.
Der BGH hat also nun zu bewerten, ob die DHL-Printanzeige derart ausgestaltet war, dass eine Aufnahme der zusätzlichen Anbieterinformationen nicht verlangt werden konnte, oder ob bei den dort beworbenen fünf Produkten eben noch nicht von vom Vorliegen einer seitens des EuGH genannten "großen Anzahl" von Angeboten ausgegangen werden kann.
Der Autor Dr. Ingo Jung ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Partner bei CBH Rechtsanwälte im Bereich Geistiges Eigentum & Medien in Köln.
Ingo Jung, Informationspflichten im Online-Versandhandel: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? . In: Legal Tribune Online, 30.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22528/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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