EuGH und BGH zu Persönlichkeitsrechten im Netz: Anlei­tung zum Übe­rall­klagen - auch gegen Host­pro­vider

von David Ziegelmayer

25.10.2011

Gleich zwei der höchsten Gerichte entschieden am Dienstag über Persönlichkeitsrechte im Internet. Nun darf man zuhause, aber auch woanders klagen, der BGH gibt eine Anleitung, um Google und Konsorten zu verklagen und David Ziegelmayer erklärt auch, was der Sedlmayer-Mörder seit den Urteilen des EuGH mit Kylie Minogue-Ex Olivier Martinez gemeinsam hat.

Anonym oder aus dem Ausland lässt es sich einfach besser über die Stränge schlagen oder mit Dreck schmeißen. Die Suche nach Verantwortlichen für Rechtsverletzungen im Netz in Presse, Blogs oder Foren ist daher für Betroffene immer eine mühsame Sache.

Richtig kompliziert wird es aber, wenn nur der technische Betreiber rechtswidriger Angebote greifbar ist. Mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Bundesgerichtshof (BGH) haben sich am Dienstag gleich zwei hohe Gerichte mit der Thematik auseinandergesetzt. Erkennbar ist, dass beide nach  klaren Regeln streben. Viele Fragen werden aber weiter ungelöst bleiben.

Der 2008 aus der Haft entlassene Mörder von Walter Sedlmayr, Kylie Minogues Ex-Freund Olivier Martinez und ein im Netz beschimpfter Unternehmer haben eines gemeinsam: Sie wissen seit heute, dass sie sich im Ergebnis aussuchen können, wo sie klagen, wenn ihre Persönlichkeitsrechte im Internet verletzt werden.

Wo ein Wille ist, ist auch eine Zuständigkeit

Während sich der Sedlmayr-Mörder vor einem deutschen Gericht gegen seine volle Namensnennung auf einer österreichischen Website wandte, wollte Martinez den "Sunday Mirror" vor ein französisches Gericht bringen, weil die Zeitung über ein privates Treffen mit der berühmten Ex berichtet hatte.

Der EuGH entschied für beide Fälle, dass die Gerichtsstände bei Persönlichkeitsverletzungen ausgeweitet werden müssten  (Urt. v. 25.10.2011, C-509/09 und C-161/10).

Die Auswirkungen eines im Internet veröffentlichten Inhalts auf die Persönlichkeitsrechte einer Person könnten, so die Luxemburger Richter, nämlich am besten von dem Gericht des Ortes beurteilt werden, an dem das Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat. Das Wohnsitzgericht sei also dafür zuständig, über den gesamten Schaden zu entscheiden, der dem Betroffenen im Gebiet der Europäischen Union entstanden ist.

Freie Gerichtswahl für freie EU-Bürger

Damit nicht genug: Eine Klage kann der Verletzte nach Ansicht der Europarichter aber auch bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Gebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war.

Und schließlich soll der Geschmähte wegen des gesamten entstandenen Schadens auch die Gerichte des Mitgliedstaats anrufen können, in welchem der Urheber der im Internet veröffentlichten Inhalte niedergelassen ist. Künftig heißt es also: Freie Wahl für freie EU-Bürger.

Die deutsche Rechtsprechung kennt dieses Phänomen bisher vor allem im Inland als "fliegendem Gerichtsstand". Dieses Institut macht möglich, bei Internet-Rechtsverletzungen in aller Regel ein beliebiges deutsches Gericht anzurufen. Wie der BGH am Dienstag (Urt. v. 25.10.2011, Az. VI ZR 93/10) klargestellt hat, sind auch in Deutschland bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz mit Auslandsbezug auch deutsche Gerichte zuständig.

Der Geschädigte kann auch von seinem Recht Gebrauch machen, die Anwendung deutschen Rechts zu wählen ("Bestimmungsrecht" aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Andernfalls, so schon die Vorinstanz, ließen sich die in Deutschland geltenden persönlichkeitsrechtlichen Schutzvorschriften nur allzu leicht unterlaufen.

Auf der Suche nach der Verantwortlichkeit

Die Karlsruher Richter hatten sich bei ihrer mit Spannung erwarteten Entscheidung aber auch und vor allem mit der seit Jahren ungelösten und umstrittenen Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen ein Hostprovider in die Haftung genommen werden kann.

Der hier in Anspruch genommene war der Internetgigant Google in Kalifornien, der auch Internetblogs "beherbergt". Durch einen ebensolchen sah sich ein Unternehmer verschiedenen Beleidigungen und Falschbehauptungen über sein Geschäftsgebaren und seine privaten Vorlieben ausgesetzt. Ein anonymer Blogger behauptete unter anderem, der Geschäftsmann "nutze die Visa-Card zur Begleichung von Sex-Rechnungen". Weder war nun der anonyme Verfasser der Inhalte auffindbar noch der so genannte Domainverwalter des Blogs ("Admin C") haftbar zu machen.

Der Beleidigte nahm also auch Google in Anspruch: Der Hostprovider hafte als Störer auch für von ihm nicht verfasste oder gebilligte Äußerungen eines Dritten in einem Blog, so sein Argument. Sowohl auf den von Google gehosteten Blogseiten als auch in den Suchtreffern würden Persönlichkeitsrechte verletzt, für die das Internetunternehmen verantwortlich sei.

Rechtsverletzungen und ihr langer Weg durch die Instanzen

Wie sich aus § 10 S. 1 Nr. 2 des deutschen Telemediengesetzes (TMG) ergibt, gibt es einen Unterlassungsanspruch gegen den Hoster aber nur dann, wenn dieser trotz Kenntnis der rechtswidrigen Inhalte keine oder nur unzureichende Bemühungen unternimmt, diese aus dem Netz zu entfernen.

Die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Hamburg, hatte daher mit Urteil vom 02. März 2010 (Az. 7 U 70/09 ) entschieden, der Provider hafte nur dann für fremde Inhalte, wenn der Betroffene seinen Vorwurf gegenüber dem technischen Anbieter so genau darlegt, dass dieser den Wahrheitsgehalt der beanstandeten Äußerung überprüfen und daraufhin den Text gegebenenfalls löschen kann.

Das sei im konkreten Fall nicht geschehen, so die Hamburger Richter, weil man dem "unpräzisen Vorbringen" der Kläger nicht entnehmen könne, ob sie durch die Verbreitung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzt wurden.

Der OLG-Senat ließ aber die Revision zum BGH zu, weil noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, wie konkret der Host-Provider informiert werden muss. Der Streit ist allerdings noch immer nicht vorbei, denn Karlsruhe hat den Rechtsstreit seinerseits nun wieder an das OLG Hamburg zurückverwiesen.

Endlich ein Schema F

Das höchste deutsche Zivilgericht scheint aber nun dem Wunsch der Instanzgerichte nachzukommen und gibt ein scheinbar konkretes Verfahren vor, das bei Internetverletzungen einzuhalten ist:

Regelmäßig sei zunächst die Beanstandung des Betroffenen an den für den Blog Verantwortlichen zur Stellungnahme weiterzuleiten. Bleibt diese "innerhalb einer nach den Umständen angemessenen Frist" aus, kann der Hoster von der Berechtigung der Beanstandung ausgehen und muss den beanstandeten Eintrag zu löschen.

Bestreitet der für den Blog Verantwortliche, dass die Beanstandung berechtigt ist, und ergeben sich deshalb "berechtigte Zweifel", sei der Provider grundsätzlich gehalten, dies dem Betroffenen mitzuteilen. Gegebenenfalls muss er nach dem Willen des für Persönlichkeitsrechtsverletzungen zuständigen VI. Zivilsenats auch Nachweise verlangen, aus denen sich die behauptete Rechtsverletzung ergibt.

Legt der angeblich durch die Äußerungen Verletzte solche Nachweise nicht vor, muss der Provider nicht weiter prüfen. Wenn sich dagegen aus den Ausführungen des Betroffenen oder den vorgelegten Belegen eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts auch dann ergibt, wenn man die Stellungnahme des für den Blog Verantwortlichen berücksichtigt, ist der beanstandete Eintrag zu löschen.

Notice and take down – das neue Modell bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen?

Das Gericht greift damit die Grundsätze des notice and take down-Verfahrens nach dem Modell des amerikanischen Digital Millenium Copyright Act (DMCA) auf.

Auch wenn die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind, darf schon jetzt bezweifelt werden, dass das BGH-Urteil tatsächlich eine effektivere Rechtsdurchsetzung ermöglichen wird. Der Streit der Beteiligten wird durch wachsweiche Kriterien wie "berechtigte Zweifel" oder "angemessene Frist" eher weiter befeuert als geschlichtet werden.

Die Vorstellung, man könne einen "für einen Blog Verantwortlichen", so ein solcher denn überhaupt erreichbar ist, zu einer verlässlichen Prüfung der "Berechtigung der Beanstandung" veranlassen, ist eher romantisch.

In jedem Fall aber schafft der BGH mit der Entscheidung ein neues Haftungsmodell für Internetforen, an dem Provider in Zukunft nicht mehr vorbeikommen dürften – gleich ob sie hierzulande oder in Kalifornien residieren.

Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle am Standort Köln. Er ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und berät Personen und Unternehmen in äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen.

 

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Zitiervorschlag

David Ziegelmayer, EuGH und BGH zu Persönlichkeitsrechten im Netz: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4649 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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