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EuGH-Generalanwältin zur Messung von Abgaswerten: Schon ein ein­ziger Grenz­ver­stoß zählt

Gastbeitrag von Prof. Dr. Ekkehard Hofmann

28.02.2019

Umwelt-Messstation

(c) mitifoto - stock.adobe.com

Ob es in Deutschland weitere Fahrverbote geben wird, hängt auch davon ab, wo die Messstationen für Schadstoffe stehen und wie die Grenzwerte überprüft werden. Die EuGH Schlussanträge fordern strenge Vorgaben, erläutert Ekkehard Hofmann.

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Eins zeigen die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott am Europäischen Gerichtshof (EuGH) gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit: Wie selbstverständlich es im Europarecht mittlerweile geworden ist, dass auch Individualklägern ein Recht auf gerichtliche Kontrolle öffentlich-rechtlicher Vorschriften haben, wenn es um die Verletzung von Grundrechten geht.

In der Rechtssache C-723/17 klagten Bürger der Region Brüssel, sie hielten die praktische Umsetzung des von der Luftqualitätsrichtlinie vorgegebenen Messverfahrens für ungenügend. Die EuGH-Schlussanträge gehen ohne jede nähere Begründung – aber in völliger Übereinstimmung mit der bisherigen Linie des EuGH – davon aus, dass nicht nur dem ebenfalls klagenden belgischen Verband "Client Earth" eine Klagebefugnis zusteht, sondern eben auch den Privatpersonen.

Wo ist der richtige Ort für die Messstationen?

Ein Brüsseler Gericht hatte sich zunächst die Frage zu stellen gehabt: Sind die Vorgaben der Richtlinie justiziabel? Zweifel daran hatte das Gericht in zweierlei Hinsicht. Erstens wollte es wissen, ob die Luftqualitätsrichtlinie die Gerichte dazu ermächtige, Anordnungen gegenüber den Behörden zu treffen.

Im Sinne der Subsidiarität argumentiert Frau Kokott hier zunächst, dass das Europarecht grundsätzlich keine zusätzlichen Rechtsbehelfe im nationalen Recht zur Verfügung stelle, sondern dessen Wirksamkeit voraussetze. Sollte es im Ausnahmefall keinen geeigneten nationalen Rechtsbehelf geben, um das Recht der Union zu wahren, müsste ein Rückgriff auf das Unionsrecht erwogen werden. Das sei aber weder in Belgien noch in Deutschland der Fall. Die Schlussanträge weisen jedoch auf den anhängigen Vorlage des VGH München zur Verhängung von Zwangshaft für staatliche Amtsträger aus Bayern hin.

Zweitens – und in der Hauptsache – ging es dem vorlegenden Gericht um die gerichtlichen Maßstäbe bei der Prüfung der Einrichtung von Messstationen. Das belgische Gericht war der Auffassung, es sei nicht näher geregelt, wie die Bereiche zu ermitteln seien, in denen die höchsten Konzentrationen auftreten. Die Schlussanträge geben dem Gericht zunächst zu, dass die Positionierung der sogenannten Probenahmestellen kein triviales Unterfangen ist.

Die Richtlinie gibt vor, dass die Messstationen in den Bereichen von Gebieten und Ballungsräumen aufzustellen sind, wo die höchsten Belastungen der Bevölkerung über einen signifikanten Zeitraum zu erwarten sind (Art. 7 Abs. 1 und Anhang III Abschnitt B Nr. 1 Buchst. a erster Spiegelstrich der Richtlinie 2008/50). Wo genau dies im Einzelnen der Fall sei, könne und müsse anhand von Modellrechnungen, objektiven Schätzungen und/oder orientierenden Messungen bestimmt werden.

Strenger Maßstab bei der gerichtlichen Kontrolle

Trotz der den Mitgliedstaaten grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie und der naturwissenschaftlichen Komplexität der Materie seien die Gerichte aber dazu angehalten, die Wahl der herangezogenen Methode zur Bestimmung der Standorte der Messstationen zu kontrollieren. Schließlich gehe es bei der Luftqualitätsrichtlinie um Schutzgüter, die die Schutzpflichten der Union aus dem Grundrecht auf Leben nach Art. 2 Abs. 1 der Charta und die Verpflichtung auf ein hohes Maß an Umweltschutz berühre (Art. 3 Abs. 3 EUV, Art. 37 der Charta und Art. 191 Abs. 2 AEUV).

Nach Auffassung der Generalanwältin Kokott müssen die Behörden im gerichtlichen Verfahren begründen, nach welchem Konzept sie die Standorte für die Messstationen ausgewählt haben. Sie müssten weiter darlegen, dass diejenige Methode herangezogen wurde, die mit den geringsten vernünftigen wissenschaftlichen Zweifeln unter Berücksichtigung des mit ihr verbundenen Umsetzungsaufwands konfrontiert ist.

Das ist ein sehr strenger Maßstab, wie auch daran zu sehen ist, dass die Schlussanträge weiter klarstellen, dass sich die Gerichte sich nicht darauf beschränken dürften, offensichtliche Fehler zu identifizieren. In der Konsequenz heißt das, dass mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten ein Anspruch darauf geltend gemacht werden kann, zu überprüfen, ob das gewählte Messverfahren einschließlich der Standortwahl von Messstationen den Vorgaben des Europarechts entspricht – und wenn das nicht der Fall sein sollte, auf das Ergreifen gerichtlicher Maßnahmen zur Sicherstellung der europarechtlichen Anforderungen.

Bereits ein Grenzwertverstoß verletzt die Richtlinie

Die zweite Vorlagefrage betraf die Einhaltung der Grenzwerte: Genügt bereits die Überschreitung an einer Messstation zur Begründung eines Grenzwertverstoßes, oder geht die Richtlinie von einem Wert aus, der über die Bildung eines Mittelwerts verschiedener Messwerte gewonnen wird? Die Richtlinie gibt darauf keine auf der Hand liegende Antwort. Die Schlussanträge analysieren im Einzelnen den Wortlaut, den Regelungszusammenhang und die Zielsetzung der Richtlinie, und gelangen zu dem Ergebnis, bereits die Überschreitung eines Grenzwerts an einer korrekt eingerichteten Messstation begründe eine Verletzung der Richtlinie.

Das überzeugt, auch weil Frau Kokott keinen Anlass hatte, die eigentlich naheliegende weitere und durch das Bundesverwaltungsgericht nicht beantwortete Frage zu klären, wie Maßnahmen zu beurteilen wären, die wie manche streckenbezogene Fahrverbote die Immissionen nur umverteilen.

Deutsche Gerichte dürfen sich vor komplexen Fragen nicht zurückziehen

Sollte der Gerichtshof den Schlussanträgen folgen, so hieße das zunächst, dass auch über den Weg von Individualklagen der gerichtliche Zugriff auf das gewählte Messverfahren eindeutig eröffnet wäre. Dass die Messstationen in Deutschland in systematischer Weise rechtswidrig platziert wären, ist nicht ersichtlich. Die in Nordrhein-Westfalen in jüngerer Vergangenheit durchgeführte Überprüfung aller Messstellen legt jedenfalls für dieses Bundesland das Gegenteil nahe. Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfmaßstabs in Bezug auf das Messverfahren gilt, dass Frau Kokott eine strenge Ermessensprüfung für angemessen hält.

Der gerichtliche Respekt gegenüber schwierigen naturwissenschaftlichen und verwaltungstechnischen Fragen darf nach ihren Schlussanträgen nicht so weit gehen, dass sich die Gerichte auf eine Evidenzprüfung zurückziehen. Auch das wäre eine hilfreiche Präzisierung. Schließlich wäre es für die rechtssichere Handhabung und für die Wirksamkeit der Luftqualitätsgrenzwerte zielführend, würde sich der Gerichtshof den Schlussanträgen in deren Würdigung anschließen, bereits die Überschreitung des Grenzwerts an einer Messstation sei eine Verletzung der Richtlinie.

Der Autor Prof. Dr. Ekkehard Hofmann lehrt öffentliches Recht an der Universität Trier und ist dort Direktor des Instituts für Umwelt- und Technikrecht (IUTR).

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EuGH-Generalanwältin zur Messung von Abgaswerten: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34157 (abgerufen am: 08.11.2025 )

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