Juliane Kokott hält unterschiedliche Mehrwertsteuersätze auf gedruckte und digitale Inhalte für rechtmäßig. Schlösse der EuGH sich dem an, wäre die Vielfalt der Verlagslandschaft in Gefahr, meint Johannes Klostermann.
Die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) sieht im Ausschluss elektronisch gelieferter digitaler Bücher, Zeitungen und Zeitschriften vom ermäßigten Mehrwertsteuersatz keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie schließt für alle elektronischen Dienstleistungen Reduzierungen des Mehrwertsteuersatzes aus, in Deutschland gilt der reduzierte Satz nur für gedruckte Werke. Ihre Schlussanträge vom Donnerstag, mit denen Kokott diese Differenzierung für zulässig hält, stützt sie auf zwei zentrale Erwägungen, die angreifbar erscheinen.
In einem Akt der Kapitulation vor der Komplexität der Wettbewerbssituation drückt sich die Generalanwältin vor einer Analyse. Sie bewertet das Interesse der Steuerbehörden an einer einfachen Handhabung des Steuerrechts höher als die Förderung von Bildung und des Lesens. Im Ergebnis erhielte, würde der Gerichtshof ihr folgen, eine Regelung höhere Weihen, die Europa im digitalen Wettbewerb zurückwirft.
Das Ziel der Mehrwertsteuerrichtlinie ist es, die steuerlichen Regelungen in Europa anzugleichen und damit den Wettbewerb sicherzustellen. Daher geht die Generalanwältin intensiv darauf ein, ob ein Wettbewerb zwischen der privilegierten Form des gedruckten Werks und der nicht privilegierten Form des digital vertriebenen Werks besteht. Sie verzichtet aber darauf, die Untersuchung der Wettbewerbssituation zu Ende zu führen und verweist stattdessen auf den Normgeber. Dabei wäre eine Analyse der Wettbewerbssituation nicht nur möglich, sondern auch dringend erforderlich gewesen.
Verlage im Wandel
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die klassischen Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsmärkte stetig schrumpfen, während zugleich das Digitalgeschäft immer weiter zunimmt. Auch wenn diese Entwicklung nicht so rapide vonstatten ging, wie es teilweise vorausgesagt wurde, besteht an der Richtung doch kein Zweifel. Es gibt einen Wechsel weg von gedruckten Werken hin zu digitalen Inhalten.
Die unterschiedliche steuerliche Behandlung führt dazu, dass kleinere Verlage bei der Neuausrichtung der Märkte gerade im digitalen Zukunftsgeschäft Wettbewerbsnachteile erleiden. Es kommt zu einer Konzentration im Verlagswesen und Leser müssen mit einer geringeren Vielfalt leben.
Die Generalanwältin selbst führt in ihren Schlussanträgen aus, dass sie keine Beeinträchtigung der Leser sehe. Immerhin gelinge es den Verlagen doch auch mit den höheren Steuersätzen, die elektronische Fassung von Büchern billiger anzubieten als die gedruckte. Sie übersieht dabei den Preis, den die Verlage dafür zahlen. Diese müssen einen – in Deutschland – mehr als zehn Prozent betragenden Abschlag auf ihr Ergebnis in Kauf nehmen.
Das Ende der Vielfalt?
Die meisten der kleineren Verlagshäuser arbeiten an der Schwelle der Rentabilität und nicht wenige können sich nur dank eines Sponsors oder Mäzens am Leben halten. Die geringere Gewinnmarge führt für sie zu einer schon lebensbedrohlich zu nennenden Situation. Denn es ist, anders als von der Generalanwältin angenommen, nicht einfach so, dass die entfallenden Versandkosten den Verlust der Verlage wettmachen würden.
Die kleineren Verlagshäuser können sich außerdem regelmäßig keine eigene digitale Vertriebsplattform leisten. Sie sind vielmehr darauf angewiesen, die Plattformen großer Marktteilnehmer zu nutzen. Ganz abgesehen davon, dass sie für die Nutzung eine nicht unerhebliche Gebühr entrichten müssen, begeben sie sich dort in eine gefährliche Nachbarschaft. Auf einem Marktplatz wie Amazon finden sich neben den Verlagswerken auch unzählige Self Publishing-Inhalte, die die Konkurrenzsituation erheblich verschärfen. . Von diesen können sich die Verlage in nur geringerem Maße als bei gedruckten Werken durch Werbung abgrenzen, da ihre Marge durch die fehlende Mehrwertsteuerprivilegierung existenziell angegriffen wird.
Nur größere Verlagshäuser können dieser Situation durch eigene digitale Vertriebsplattformen entgehen. Für deren Betrieb haben sie allerdings erhebliche Investitionen zu tätigen, welche die Einsparung bei Versand- und Produktionskosten mehr als wettmachen. Letztlich zahlen Verlage mit einer eigenen Vertriebsplattform im digitalen Geschäft genauso wie im Print einen Preis für den Vertrieb, nur dass dieser nicht mehr so individuell sichtbar gemacht werden kann. Auch bei den größeren Häusern drückt daher die fehlende Mehrwertsteuerprivilegierung das Ergebnis und macht das Publizieren von Inhalten schwieriger.
Johannes Klostermann, Steuerrechtliche Privilegierung von Printprodukten: . In: Legal Tribune Online, 09.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20540 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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