In zwei kürzlich ergangenen Urteilen hat der EuGH entschieden, dass Umweltverbände nur unter engen Voraussetzungen gegen EU-Institutionen klagen dürfen. Dies hält Felix Ekardt für verfehlt, denn für Klagen gegen Mitgliedsstaaten lasse der Gerichtshof einen deutlich weiteren Maßstab genügen. Die schwache Argumentation verberge er hinter unklarer Sprache und unsystematischem Aufbau.
Die Frage, wer im Umweltrecht gegen Behördenentscheidungen klagen kann, ist seit vielen Jahren ein Hauptstreitpunkt dieses Rechtsgebiets. Traditionell sind in Deutschland Klagen von Unternehmen gegen behördlich angeordnete Umweltschutzmaßnahmen immer möglich. Umgekehrt waren Klagen von Bürgern, die sich gegen umweltrelevante Bauprojekte wie Straßen oder Fabriken wehren wollten, nach Meinung der Gerichte oft unzulässig, da es an der unmittelbaren persönlichen Betroffenheit fehle. Erst recht hatten Umweltverbände früher meist keine Klagebefugnis.
Besonders unter dem Einfluss des Europa- und Völkerrechts hat sich das inzwischen geändert. Sowohl die Klagemöglichkeit als auch der inhaltliche Prüfungsumfang wurden mehr und mehr zugunsten der Bürger und Verbände erweitert.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die umweltvölkerrechtliche Aarhus-Konvention (AK) von 1998, die auch die EU sowie ihre Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Sie regelt beispielsweise für Umweltverbände in Art. 9 Abs. 2 ein verbindliches Klagerecht gegen bestimmte Großprojekte. Eine weitergehende Bestimmung in Art. 9 Abs. 3 AK sieht vor, dass auch darüber hinaus Bürger und Verbände klagen können, sofern sie bestimmte, nach innerstaatlichem Recht festgelegte Kriterien erfüllen.
Bis vor wenigen Jahren wurden an diese Kriterien keine inhaltlichen Anforderungen gestellt; die Klagebefugnis nach Art. 9 Abs. 3 AK stand somit im freien Ermessen der einzelnen Staaten. Diesem sehr weitgehenden Verständnis hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in den letzten Jahren mit einigen Urteilen widersprochen. Danach sollen Umweltverbände auch außerhalb der Fälle des Art. 9 Abs. 2 AK immer dann ein Klagerecht haben, wenn dies zur effektiven Durchsetzung des europäischen Umweltrechts nötig ist.
Mit zwei neuen Urteilen vom 13. Januar 2015 hat der EuGH diese Klagebefugnis sowie den damit verbundenen weiten inhaltlichen Kontrollumfang nun jedoch anscheinend relativiert (Urt. v. 13.01.2015, Az. C-401/12P sowie C-404/12P).
Verbände vor EuG siegreich, vor EuGH unterlegen
In beiden Fällen ging es um Widersprüche von Umweltverbänden gegen umweltbezogene Maßnahmen der EU. Rechtlich geregelt ist die Möglichkeit des Widerspruchs gegen Verwaltungsakte – und nur gegen solche – in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006. Sie führt zu einer internen Überprüfung durch die erlassende Behörde, an deren Ende die Maßnahme entweder beibehalten oder aufgehoben werden kann.
Konkret betroffen war einerseits eine Entscheidung von 2008, mit der die Kommission den Niederlanden ausnahmsweise eine längere Frist zur Erreichung bestimmter Zielvorgaben bei der Stickstoffdioxidbelastung gewährt hatte. Im zweiten Verfahren wendeten sich die Verbände gegen die Gültigkeit einer Verordnung, die Aussagen über Pestizide in der Landwirtschaft trifft. Beide Widersprüche lehnte die Kommission mit dem Argument ab, dass die Sache die Verbände nichts anginge. Beide Male wurde daraufhin Klage vor dem Europäischen Gericht (EuG) erhoben, und in beiden Fällen waren die Verbände siegreich – die Kommissionsentscheidung wurde für nichtig erklärt.
Diese Urteile des EuG hat der EuGH am 13. Januar 2015 in zweiter Instanz auf ein Rechtsmittel mehrerer EU-Institutionen hin aufgehoben und damit das Handeln der EU-Kommission gebilligt. Denn Verbände könnten nur gegen Verwaltungsakte vorgehen, und solche lägen in den beiden Streitfällen nicht vor. Die angegriffenen Maßnahmen der EU hätten generelle Gültigkeit und würden nicht – wie dies für einen Verwaltungsakt Voraussetzung ist – lediglich einen Einzelfall regeln.
2/2: Urteile inhaltlich unklar
Die Urteile des EuGH, wie zuvor schon jene des EuG, die die Ablehnung des Widerspruchs durch die EU-Kommission kassiert hatten, behandeln allein die Frage, ob ein Umweltverband gegen die Ablehnung der Überprüfung einer Verordnung sowie gegen die Schadstoffgrenzwert-Ausnahme überhaupt mit Widerspruch und Klage vorgehen darf. Woher der materielle Anspruch eines Umweltverbands auf Überprüfung einer Verordnung kommen könnte, wird nicht erörtert. Ebenso wenig wird geklärt, unter welchen Voraussetzungen die EU-Kommission Ausnahmen von Umweltgrenzwerten, die in EU-Richtlinien angelegt sind, tatsächlich genehmigen darf. Beides wären sehr interessante und komplizierte Rechtsfragen gewesen.
Die Erkenntnisse der Urteile konzentrieren sich letztlich darauf, ob der umstrittene Art. 9 Abs. 3 AK den Umweltverbänden trotz Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 eine Widerspruchs- und Klagemöglichkeit gibt. Es geht also darum, ob das Völkerrecht das Europarecht zwingt, eine Widerspruchs- und Klagemöglichkeit der Verbände auch dann zu akzeptieren, wenn es nicht um Verwaltungsakte geht, denn einen Verwaltungsakt verlangt Art. 9 Abs. 3 AK nicht ausdrücklich. Und in der Tat dürfte weder die verweigerte Überprüfung einer Verordnung noch die Bestätigung einer generellen Richtlinienausnahme ein Verwaltungsakt sein.
Die Urteile in erster und zweiter Instanz sind diesbezüglich und insgesamt recht unklar verfasst. Erwägungen zur Zulässigkeit und zur Begründetheit scheinen durcheinanderzugehen. Teilweise klingt es gar so, als sei Art. 9 Abs. 3 AK ein inhaltlicher Maßstab für das behördliche Handeln, obwohl die Norm definitiv nur den Zugang zu Rechtsbehelfen regelt, also eine prozessuale Frage klärt. Klar wird eigentlich nur: Der EuGH hält Art. 9 Abs. 3 AK für zu unbestimmt, um Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten gegen EU-Institutionen zu erzwingen, auch wenn die EU die AK ratifiziert hat.
EuGH benachteiligt Mitgliedsstaaten gegenüber EU-Institutionen
Die Feststellung des EuGH, dass Art. 9 Abs. 3 AK offen formuliert sei, trifft durchaus zu. Das erklärt aber nicht das seltsam widersprüchliche Verhalten des EuGH, der Umweltschutzklagen von Verbänden und Bürgern gegen einzelne Mitgliedsstaaten immer weiter zulässt, zugleich aber bei Klagen gegen die EU-Institutionen enge Grenzen zieht. Wenn der EuGH in seinen neuen Urteilen in wenig klaren Worten ausführt, dass man gerade beim Völkerrecht die Reichweite innerhalb des EU-Rechts immer genau durch Auslegung bestimmen müsse, so ist das sicher richtig. Doch warum führt dies bei unterschiedlichen Klagegegnern zu unterschiedlichen Ergebnissen?
Bei Klagen gegen die Mitgliedstaaten wie im Braunbär-Fall hat der EuGH die Klagebefugnis aus Art. 9 Abs. 3 AK über ein Zusammenspiel mit dem EU-primärrechtlichen Effektivitätsprinzip gerechtfertigt: Das Umweltrecht der EU müsse wirksam werden und daher einklagbar sein (Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09). Doch warum sollte diese Überlegung nicht auch gegenüber der EU-Kommission zutreffen? Denn nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Kommission selbst versucht zuweilen, bestimmte als zu streng erlebte Vorgaben der EU-Gesetzgebung im Nachhinein zu unterlaufen.
Hier macht sich, wie so oft, der vor allem am Ergebnis orientierte Charakter der EuGH-Rechtsprechung bemerkbar. Hilfreich wäre es für die Zukunft, die Klagebefugnis weniger von der Staatlichkeitsebene als vielmehr von den Schutzzielen her zu interpretieren. Beispielsweise kommen die grundrechtlichen Umweltschutzgarantien für Leben und Gesundheit bisher in Gesetzgebung und Verwaltung oft schlechter zum Tragen als die Wirtschaftsgrundrechte. Dies könnte ein systematisches Argument sein, um Umweltkläger zu stärken, seien es Individuen oder Verbände, die stellvertretend Umweltbelange wahrnehmen.
Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., ist Jurist, Philosoph und Soziologe an der Universität Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Er ist politikberatend zu Nachhaltigkeitsfragen tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen deutsches, europäisches und internationales Energie-, Klimaschutz-, Landnutzungs- und Verfassungsrecht sowie transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.
Felix Ekardt, EuGH begrenzt Klagerecht von Umweltverbänden: Mit zweierlei Maß gemessen . In: Legal Tribune Online, 22.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14447/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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