Klagen gegen Überwachungsprogramme: Kaum eine Chance vor inter­na­tio­nalen Gerichten

von Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard)

28.06.2013

2/2: Menschenrechte gelten auch online

Das Internet stellt den Menschenrechtsschutz nicht vor grundlegend neue Herausforderungen: In einer Resolution aus dem Jahr 2011 hat der UN-Menschenrechtsrat einstimmig festgehalten, dass alle Menschenrechte, die offline gelten, dies auch online tun.

Umgesetzt haben die Staaten dieses Bekenntnis noch nicht. Wie der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Meinungsäußerungsfreiheit, Frank La Rue, in seinem aktuellen Bericht zeigt, erlauben viele nationale Gesetze eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung. Neben den USA kritisiert La Rue auch die Kompetenzen des deutschen Bundesnachrichtendienstes. Er erinnert daran, dass jede Überwachungsmaßnahme gesetzlich vorgesehen zu sein hat, ein legitimes Ziel verfolgen muss und verhältnismäßig sein muss: keine weniger eingriffsintensive Techniken dürften zur Verfügung stehen.

Für höchst problematisch hält der Experte den fehlenden Rechtsweg für Betroffene gegen Überwachungsmaßnahmen fremder Staaten. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist im internationalen Kontext tatsächlich noch unterentwickelt. Schon jene Personen, die sich auf den Anti-Terror-Listen des Sicherheitsrates wiederfanden, mussten lange auf ihre Rechte warten.

Anliegen der Grünen hat keine Chance

Rechtspolitisch wichtig ist es, die Bedingungen klarzustellen, unter denen US-Unternehmen Daten von europäischen Bürgern in die USA transferieren können. Eine entsprechende "Anti-FISA"-Klausel haben US-Vertreter aber aus Entwürfen zu neuen EU-Datenschutzregeln herausverhandelt. Hier ist mehr europäische Datenschutzbewusstsein gefragt – und ein besserer rechtlicher Schutz für die Daten europäischer Bürger, die von US-Unternehmen auf amerikanischen Servern gespeichert werden. Gerade Deutschland als Geburtsland des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sollte Stellung beziehen.

Der Entschließungsantrag der grünen Bundestagsfraktion hat keine Chance. Weder der Internationale Gerichtshof noch der Europäische Gerichtshof werden sich in absehbarer Zeit mit PRISM oder Tempora beschäftigen. Aber warum nicht vor der eigenen Haustür kehren: Wie der Rechtsanwalt Niko Härting und der Juraprofessor Andrew Hammel ausgeführt haben, tagt auch in Deutschland das Gremium zur Überwachung der nachrichtendienstlichen Internetüberwachung im Geheimen.

Im Bericht dieses Parlamentarischen Kontrollgremiums für das Jahr 2011 heißt es zur Massenerfassung von E-Mails: "Das dem Parlamentarischen Kontrollgremium gründlich und plausibel erläuterte Verfahren gab keinen Anlass zur Beanstandung durch das Gremium." Sollte uns das reichen? Oder wäre es gerade anlässlich PRISM und Tempora nicht an der Zeit, den Scheinwerfer auf jene Internetüberwachung zu richten, die ganz unzweifelhaft der Kontrolle der deutschen Öffentlichkeit unterliegt, nämlich jener des BND? Das schulden wir dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Der Autor Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), ist Universitätsassistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz (Österreich) und ab Herbst Post-Doc Fellow am Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich mit dem Menschenrechtsschutz im Internet und ist Co-Chair der Internet Rights & Principles Coalition. Er bloggt unter http://internationallawandtheinternet.blogspot.com.

Zitiervorschlag

Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), Klagen gegen Überwachungsprogramme: Kaum eine Chance vor internationalen Gerichten . In: Legal Tribune Online, 28.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9034/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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