Bilaterale Investitionsschutzverträge sind mit dem EU-Recht vereinbar. Mit dieser Einschätzung widerspricht der Generalanwalt der EU-Kommission. Und könnte eine kleine Revolution der Schiedsgerichtsbarkeit einleiten, meint Alexandra Diehl.
Schon lange sind sie der EU-Kommission ein Dorn im Auge: die sog. Intra-EU-BITs, d.h. bilaterale Investitionsschutzverträge (Bilateral Investment Treaties) zwischen EU-Staaten. Ihre Bemühungen, den Stachel zu entfernen, sind jetzt erschwert worden: Melchior Wathelet plädierte am Dienstag in seinen Schlussanträgen im Vorlageverfahren Achmea dafür, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Frage, ob Schiedsklauseln in Intra-EU-BITs unionsrechtskonform sind, mit einem klaren "Ja" beantwortet.
Der Generalanwalt fand starke Worte für seine Rechtsauffassung und wies darauf hin, dass die Streitbeilegungsklauseln in Intra-EU-BITs das Machtgefüge der europäischen Verträge nicht verschöben. Wathelet stärkt damit der innereuropäischen Investitionschiedsgerichtsbarkeit und ihren Befürwortern Deutschland, Finnland, Frankreich, Niederlande und Österreich den Rücken.
Vorlageverfahren: Liberalisierung der Versicherungsbranche
Der Vorlage liegt der Aufhebungsantrag der Slowakei bezüglich des Endschiedsspruchs im Investitionsschiedsverfahren Achmea (vormals Eureko) gegen Slowakei zugrunde. Auf Basis eines BITs zwischen der Slowakei und den Niederlanden hatte das niederländische Finanz- und Versicherungsunternehmen 2008 gegen die Slowakei eine Klage angestrengt. Anlass dafür war, dass Achmea bzw. dessen Vorgängerunternehmen Eureko B.V. nach der Liberalisierung des slowakischen Marktes für private Krankenversicherungen im Jahr 2004 ein Tochterunternehmen in der Slowakei gegründet hatte.
Nach einem Regierungswechsel im Jahr 2006 machte die Slowakei die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes teilweise wieder rückgängig: Sie verbot u.a. mit Gesetz vom 12. Dezember 2006 den Einsatz von Versicherungsmaklern und mit Gesetz vom 25. Oktober 2007 die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Im Januar 2011 erklärte das slowakische Verfassungsgericht das gesetzliche Verbot von Gewinnausschüttungen für verfassungswidrig.
Das Schiedsverfahren endete mit einem Schiedsspruch in Höhe von EUR 22,1 Mio. plus Zinsen zugunsten von Achmea. Sitz des Schiedsgerichts war Frankfurt. Deswegen musste die mit dem Schiedsspruch unzufriedene beklagte Slowakei auch deutsche Gerichte anrufen, um eine Aufhebung des Schiedsspruches zu beantragen. Sie biss dabei auf Granit: Sowohl das Oberlandesgericht Frankfurt als auch der Bundesgerichtshof (BGH) lehnten jegliche Kollision mit dem Unionsrecht ab.
Kommission sieht Einheitlichkeit des EU-Rechts gefährdet
Ganz anders die Rechtsauffassung der EU-Kommission: Sie betonte, dass Schiedsklauseln in Intra-EU BITS Art. 344 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verletzten. Nicht private Schiedsgerichte, sondern der EuGH solle über Klagen von EU-Investoren gegen EU-Staaten entscheiden, da ansonsten die einheitliche Anwendung des Unionsrechts gefährdet sei.
Art. 344 AEUV sieht vor, dass Streitigkeiten über die Auslegung der Unionsverträge nur durch die in diesen Verträgen geregelten Verfahren beigelegt werden sollten. Die Unionsverträge enthalten aber kein Verfahren zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Investoren aus EU-Ländern. Generalanwalt Melchior Wathelet befand daher: Was nicht existiert, kann auch keinen Vorrang haben.
Dem stehe auch nicht Art. 267 AEUV entgegen, demzufolge nationale Gerichte Rechtsfragen betreffend die Auslegung der europäischen Verträge dem EuGH vorlegen können und in manchen Fällen auch müssen: Denn Schiedsgerichte, so Wathelet, leiteten ihre Zuständigkeit aus wirksamen völkerrechtlichen Vereinbarungen her und fällten ihre Entscheidung unabhängig und unparteiisch auf gesetzlicher Grundlage. Sie seien daher genau wie staatliche Gerichte vorlageberechtigt.
Kleine Revolution der Schiedsgerichtsbarkeit
Die Selbstverständlichkeit, mit der Generalanwalt Wathelet Investitionsschiedsgerichte als vorlageberechtigt einstuft, kommt einer kleinen Revolution in der Schiedsgerichtsbarkeit gleich und könnte ihr positiven Aufwind verleihen: Die Frage, ob und vor allem unter welchen Umständen Schiedsgerichte den EuGH anrufen können, ist seit vielen Jahren umstritten.
Der EuGH nahm hierzu zuletzt im Jahr 2014 in Sachen Merck Canada Inc. gegen Accord Healthcare Ltd u.a. Stellung. Er fasste in diesem Fall die in seiner bisherigen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für das Bestehen der Eigenschaft eines Gerichts im unionsrechtlichen Sinn prägnant zusammen: Die vorlegende Einrichtung bedürfe einer gesetzlichen Grundlage und zwingenden Zuständigkeit, müsse dauerhaft bestehen und in einem streitigen Verfahren unter Anwendung des geltenden Rechts unabhängig eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter treffen. Im Achmea-Fall ist eines dieser Kriterien höchst problematisch.
2/2: War das Achmea-Schiedsgericht ein ständiges Gericht?
Das Schiedsgericht war ein Ad Hoc-Schiedsgericht, das nur für den konkreten Fall gebildet worden war. Ist es also ein dauerhaftes Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV?
Aus Sicht von Wathelet ist auch diese Frage zu bejahen, da sich die Slowakei und die Niederlande in dem anwendbaren BIT auf ein dauerhaftes Streitbeilegungssystem geeinigt hätten. Der BGH sah dies in seinem Vorlagebeschluss noch gänzlich anders: Das Schiedsgericht habe mangels Dauerhaftigkeit nicht die Möglichkeit gehabt, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Ein Verstoß gegen Art. 267 AEUV liege aber dennoch nicht vor, da Schiedsgerichte staatliche Gerichte um eine Vorlage ersuchen könnten.
Dies ist allerdings der einzige Punkt, in dem Generalanwalt Wathelet und BGH voneinander abweichen. Insbesondere sind beide der Auffassung, dass die Schiedsklausel im Slowakei-Niederlande-BIT nicht gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstoße, wonach jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Denn eine etwaige Diskriminierung könne dadurch beseitigt werden, dass die benachteiligte Person Anspruch auf die gleiche Behandlung wie die begünstigte Person habe. Anders formuliert: Den Slowaken und Niederländern dürfe man nichts nehmen, sondern besser allen anderen EU-Bürgern die gleichen Rechte gewähren.
EuGH an Vorschlag des Generalanwalts nicht gebunden
Der EuGH ist an den Vorschlag von Wathelet nicht gebunden. In mehr als 75 Prozent aller Vorlagefälle folgt der Gerichtshof aber dem Vorschlag des jeweiligen Generalanwalts. Tut er dies auch im Achmea-Fall, so wären die Bemühungen der EU-Kommission, Intra-EU BITs abzuschaffen, zunächst gescheitert.
Die Europäische Kommission unternimmt dazu aktuell verschiedene Anstrengungen. Schon im Juni 2015 initiierte sie Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, die Niederlande, Rumänien, Schweden und die Slowakei und forderte sie auf, ihre Intra-EU-BITs kündigen. Sollten diese nach dem EuGH jedoch unionsrechtskonform sein, bestünde kein Grund zur Kündigung.
Kommission will über Investitionsgerichtshof verhandeln
Der Achmea-Fall wird daher auch den Ausgang der anhängigen Vertragsverletzungsverfahren entscheidend prägen. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum der europäischen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aufregende Zeiten bevorstehen: Am 13. September 2017 erklärte die Kommission, Verhandlungen zur Einrichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs aufnehmen zu wollen. Mit wem man zuerst verhandeln möchte, ist unklar.
Klar ist hingegen die Marschroute innerhalb der EU-Kommission: Mehr Europa und weniger Einzelstaatlichkeit. Dies ist in Zeiten politischer Botschaften wie "America first" grundsätzlich das richtige und passende Signal.
Ob dieses Motto aber auch im Kontext der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zielführend ist, ist mehr als fraglich. Das bisherige, auf völkerrechtlichen Einzelverträgen beruhende System der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist zwar reformbedürftig, hat sich aber grundsätzlich bewährt. Die jetzt von der EU angestoßene Initiative zur Schaffung eines Investitionsgerichtshofs soll ausdrücklich nur prozessualer Natur sein. Die anwendbaren materiell-rechtlichen Schutzstandards sollen weiterhin in BITs und Handelsabkommen enthalten sein. Kritiker befürchten daher zu Recht eine Fragmentierung des ohnehin bereits zersplitterten Investitionsschutzes. Allerdings gilt auch: Was klein beginnt, kann groß enden.
Die Autorin Dr. Alexandra Diehl ist Rechtsanwältin im Bereich "Litigation & Dispute Resolution" bei Clifford Chance und unterrichtet Investitionsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Dr. Alexandra Diehl , Generalanwalt widerspricht EU-Kommission: Grünes Licht für Intra-EU-BITs . In: Legal Tribune Online, 19.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24599/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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