Wenn Honig nicht verkauft werden kann, weil er gentechnisch veränderte Pollen enthält und damit ohne Zulassung nicht verkehrsfähig ist, hat der betroffene Imker Anspruch auf Entschädigung. Die Kehrseite des EuGH-Urteils: Sollten derart veränderte Pflanzen in nennenswertem Umfang angebaut werden, droht vielen Kleinimkern wegen hoher Analysekosten das Aus. Von Wolfgang Voit.
In dem konkreten Fall hatte ein Imker aus der Nähe von Augsburg auf Entschädigung geklagt, weil er in der Nähe eines Grundstücks Honig produzierte, auf dem gentechnisch veränderter Mais angebaut worden war. Als diese gentechnisch veränderten Pollen in seinen Honig gelangten, vernichtete der Mann seine Ernte und forderte einen finanziellen Ausgleich.
Der Imker beantragte zunächst vor dem Verwaltungsgericht, dann von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Feststellung, dass der Honig ohne Zulassung nicht verkehrsfähig ist, um dann mit dieser Feststellung einen Entschädigungsanspruch durchzusetzen.
Der VGH rief seinerseits den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, so dass die Luxemburger Richter Gelegenheit hatten, einige Grundsatzfragen zur Gentechnik-Verordnung (VO) zu klären. Dabei modifizierten sie insbesondere den Begriff der Zutat (EuGH, Urt. v. 06.09.2011, Az. C-442/09).
EuGH: Keine bewusster Einsatz von "Zutaten" erforderlich
Zunächst ging es darum, ob der Mais als Organismus, der zwar gentechnisch verändert wurde, aber nicht mehr die Fähigkeit hat, in ihm enthaltenes genetisches Material zu übertragen, rechtlich überhaupt als gentechnisch veränderter Organismus gewertet werden kann.
Der Bayerische VGH hatte in seinem Vorlage-Beschluss die Befürchtung geäußert, bei einer derartigen Auslegung könne der Schutzzweck der Verordnung unterlaufen werden: Selbst wenn ein Lebensmittel überwiegend oder vollständig aus gentechnisch veränderten Organismen besteht, würde es nicht unter die Regelung fallen, wenn es die Fähigkeit zur Übertragung mit wissenschaftlicher Sicherheit verloren hat (Beschl. v. 26.10.2009 Az . 22 BV 08.1968).
Der EuGH sieht diese Gefahr nicht. Zwar sei der Begriff des gentechnisch veränderten Organismus in diesem Fall nicht erfüllt, dennoch bestünde keine Schutzlücke. Der Honig enthalte zwar keine gentechnisch veränderten Organismen, weil der Pollen inaktiv sei. Allerdings sei er aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt, weil es sich bei diesen Pollen um eine Zutat handele. Damit unterfalle der Honig der Gentechnikverordnung.
Mit dieser Auslegung des Begriffs der Zutat gehen die Luxemburger Richter sehr viel weiter als das bisherige Verständnis. Sie fassen darunter auch solche Stoffe, die nicht bewusst im Herstellungsprozess eingesetzt wurden, aber im Lebensmittel in veränderter oder unveränderter Form enthalten sind. Zur Begründung verweist der EuGH darauf, dass die veränderten Pollen zusammen mit den unveränderten Pollen im Herstellungsprozess "hinzugefügt" wurden und im Endprodukt enthalten seien.
Letztlich schließt der EuGH somit aus dem Befund, dass die Pollen im Endprodukt enthalten sind, auch auf ihre Verwendung im Rechtssinne – dabei stehen nach der Definition der Zutat gerade das Verwenden und das Enthaltensein im Lebensmittel als zwei selbständige Voraussetzungen nebeneinander.
Die Europäische Kommission hatte dagegen eine Herstellung des Honigs aus gentechnisch veränderten Organismen verneint, und dies zu Recht damit begründet, dass es sich beim Honig um ein natürliches Produkt handele, bei dem Einträge nicht vermeidbar sind. Unabsichtlich und unerwünscht im Honig enthaltene Pollen sind aber keine Zutat im lebensmittelrechtlichen Sinne. Dies entspricht auch der bisherigen Auffassung in der Kommentarliteratur.
Verkehrsfähigkeit trotz der veränderten Pollen?
Angesichts der Begriffsverwirrung durch den EuGH muss sich nun auch bei anderen, unbeabsichtigt beigefügten Stoffen die Frage stellen, ob sie als Zutat anzusehen sind. So sind etwa Schädlingsbekämpfungsmittel, die sich als Reste in einem Produkt befinden, nach bisherigem Verständnis keine Zutaten. Auch die neue Lebensmittelinformations-Verordnung nimmt ausdrücklich Rückstände vom Zutatenbegriff aus. Auch natürliche Bestandteile eines Stoffes, etwa das Koffein im Kaffee, werden bislang nicht als Zutat angesehen.
Folgt man dem EuGH trotz dieser Bedenken bei der Auslegung der "Zutat", ist es nur konsequent, dass unabhängig von der Zulassung des gentechnisch veränderten Mais auch der Honig im Grundsatz zulassungspflichtig ist. Dies folgt zwingend daraus, dass die Verordnung nicht nur für die gentechnisch veränderten Organismen selbst, sondern auch für die daraus hergestellten Lebensmittel eine Zulassung verlangt.
Es wäre deshalb denkbar, dass zugleich mit der Genehmigung des gentechnisch veränderten Mais auch der Honig zugelassen wird, der veränderte Pollen enthält. Eine solche Zulassung gab es im vorliegenden Fall aber nicht. Wie der Generalanwalt beim EuGH Nicolae Bot in seinem Schlussantrag ausführt, gibt es aber durchaus Genehmigungen von gentechnisch verändertem Mais, die auch alle daraus hergestellten Lebensmittel einschließen. In diesem Fall hätte der Honig trotz des Eintrags verkauft werden dürfen. Dabei wäre eine Kennzeichnung nicht erforderlich, wenn der Anteil unter 0,9 Prozent beträgt und der Anteil zufällig oder technisch nicht zu vermeiden ist.
Als letzte Frage hatte der EuGH zu klären, ob wirklich jede noch so geringe Menge des veränderte Pollens die Zulassungspflicht auslöst. Das Gericht lehnt eine Übertragung der Grenzen von 0,5 oder 0,9 Prozent ab und kommt so zu dem Ergebnis, dass der Honig nicht ohne Zulassung und bei Überschreitung der Grenze mit entsprechender Kennzeichnung in den Verkehr gegeben werden darf.
Auf Grundlage dieser Auslegung durch den EuGH muss das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Honig nicht ohne Zulassung in den Verkehr gegeben werden durfte, so dass der Imker wesentlich beeinträchtigt ist. Damit steht ihm ein Entschädigungsanspruch nach dem Gentechnikgesetz zu.
Großimkereien werden von der Entscheidung profitieren
Sofern man einen umfassenden Schutz vor tatsächlichen und gefühlten Risiken der Gentechnik erreichen will, ist das Ergebnis des Luxemburger Gerichts nachvollziehbar. Ob dieser Schutz wirklich erforderlich ist, wenn die aufgefundene Menge gering ist und feststeht, dass die Organismen keine Fähigkeit zur Übertragung mehr haben, ist letztlich eine politische Entscheidung. Problematisch ist jedenfalls der Weg, den der EuGH durch die Erweiterung des Zutatenbegriffs einschlägt. Die Folgen dieser Ausweitung sind noch nicht abzusehen, denn bei sehr vielen Produkten sind Stoffe in den natürlichen Bestandteilen enthalten, die bislang nicht als Zutat verstanden wurden.
Sieht man allein auf den betroffenen Imker, so mag die Entscheidung im Ergebnis der Billigkeit zu entsprechen. Dabei darf man allerdings die Konsequenzen nicht aus dem Blick verlieren: Für viele Kleinimker dürfte das Urteil und die Aussicht auf eine Entschädigung einen Pyrrhussieg bedeuten. Ihr Honig ist auch bei dem geringsten Eintrag, den sie ohne Analyse kaum ausschließen können, nicht verkehrsfähig. Die Kosten der Analyse werden sie selbst tragen müssen, wenn sich im konkreten Fall nicht feststellen lässt, ob das Lebensmittel gentechnisch veränderte Pollen enthält. Ersatzansprüche gegen den Bauern, der mit Gentechnik arbeitet, können die Imker nur verlangen, wenn sie nachweisen, dass tatsächlich solche Pollen in ihrem Lebensmittel enthalten sind.
Von einem Sieg der kleinen Imker wird man deshalb kaum sprechen können. Sollten Anbauflächen in nennenswertem Umfang freigegeben werden, könnte das Urteil eher das Aus für viele von ihnen bedeuten, weil sie sich teure Analysemethoden nicht leisten können und ohne eine Analyse Gefahr laufen, eine Ordnungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen das Gentechnikrecht zu begehen.
Profitieren werden dagegen Großimkereien, die sich derartige Analysen leisten können – außerdem Unternehmen, die sich entschließen, eine entsprechende Zulassung zu beantragen, oder bei denen der Eintrag von Pollen stammt, deren Zulassung auch die daraus hergestellten Lebensmittel umfasst. Weil bei einem nur sehr geringen technisch nicht vermeidbaren Eintrag auch weiterhin keine Kennzeichnungspflicht besteht, kann man schließlich auch von einem Sieg der Verbraucher kaum sprechen. Verlierer ist jedenfalls die begriffliche Stringenz des Lebensmittelrechts.
Prof. Dr. Wolfgang Voit ist Sprecher der Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebens- und Futtermittelrecht an der Philipps-Universität Marburg.
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EuGH-Entscheidung zu Gen-Honig: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4279 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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