Ein junger Afghane sollte keine Leistungen mehr erhalten, weil Rumänien für seinen Asylantrag zuständig sei. Der Generalanwalt am EuGH hält das Vorgehen für europarechtswidrig. Der junge Mann müsse einen angemessenen Lebensunterhalt bekommen.
Wenn ein anderes EU-Land zuständig ist, sollen Asylsuchende in Deutschland auch keine Leistung erhalten – so ist die aktuelle politische Agenda. Ein junger Afghane klagte gegen den entsprechenden Bescheid des Kreises Schweinfurt, inzwischen liegt der Fall beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Nun hat der Generalanwalt seine Schlussanträge vorgelegt (Anträge v. 23.10.2025, Az. C-621/24). Danach sei Menschen ein angemessener Lebensunterhalt zu gewähren, selbst wenn ein Überstellungsbescheid in den anderen Mitgliedstaat vorliegt. Sollte sich der EuGH diesen Anträgen anschließen, hätte dies massive Auswirkungen auf die Vorhaben zu Leistungskürzungen in Deutschland, auf die Bezahlkarte – und auf die Pläne im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS).
Die für das Verfahren relevanten deutschen Normen finden sich im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG). Das regelt unter anderem die Leistungen für asylsuchende und ausreisepflichtige Personen. Hinzu kommt die europäische Aufnahmerichtlinie (aktuell: RL 2013/33/EU), danach sind asylsuchenden Personen "Unterkunft, Verpflegung und Kleidung in Form von Sach- oder Geldleistungen oder Gutscheinen oder einer Kombination davon sowie Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs" zu gewähren, um für diese Personen "einen "angemessenen Lebensstandard" zu gewährleisten (Art. 17 Abs. 5 AufnahmeRL). Diese Verpflichtung gilt auch in sog. Dublin-Verfahren also in Verfahren, in denen aufgrund der Dublin-Verordnung ein anderer Staat als Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder sein könnte.
In Deutschland wird diese Verpflichtung schon länger für Personen in Zweifel gezogen, für die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in einem Bescheid ("Dublin-Bescheid") festgestellt hat, dass ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Zwischen August 2019 und Oktober 2024 galt gem. § 1a Abs. 7 AsylbLG eine automatische Leistungseinschränkung für asylsuchende Personen, denen ein Dublin-Bescheid zugestellt wurde. Seit Oktober 2024 sind diese Personen ab Zustellung des Bescheids von Leistungen nach dem AsylbLG ganz ausgeschlossen (§ 1 Abs. 4 AsylbLG), wenn das BAMF im Bescheid feststellt, dass die (selbstorganisierte) Ausreise in den zuständigen Staat "rechtlich und tatsächlich möglich ist". Die Folgen von Leistungsabsenkung und Leistungsausschluss sind in der Praxis weitreichend, da bestimmte Leistungen nicht mehr oder nur reduziert gewährt werden.
Vorlage vom BSG im Verfahren gegen den Kreis Schweinfurt
Dem EuGH vorgelegt hat das Verfahren das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Das hatte in einem Verfahren eines jungen Afghanen gegen den Landkreis Schweinfurt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der – damals noch geltenden - automatischen Leistungseinschränkungen. Das BSG legte dem EuGH daher zwei Fragen zur Vereinbarkeit der Regelung mit dem Europarecht – konkret mit Art. 17 und 20 Aufnahmerichtlinie – vor. Für den Mann waren die Leistungen des Grundbedarfs (§ 3 AsylbLG) teilweise und die Leistungen nach den Verhältnissen im Einzelfall (§ 6 AsylbLG) komplett entfallen.
Der EuGH wird zu entscheiden haben, ob die abgesenkten Leistungen nach dem Dublin-Bescheid europarechtskonform sind und ob dies eventuell – in sog. Wiederaufnahmeverfahren, in denen die Person schon in einem anderen Land als Deutschland einen Asylantrag gestellt hat – damit gerechtfertigt werden kann, dass bei sog. Folgeanträgen eine Leistungsabsenkung generell möglich ist.
Schon in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH am 4. September 2025 wurde deutlich, dass die Position der deutschen Regierung, die Regelung sei mit europäischen Recht vereinbar, einen schweren Stand hat – was auch allen beteiligten Parteien inklusive der Bundesregierung angesichts der klaren Rechtsprechung des EuGH zur Versorgung von Schutzsuchenden schon vorher klar gewesen sein müsste und dürfte.
Identische Bedürfnisse mit und ohne Dublin-Bescheid
Entsprechend lauteten die Schlussanträge des Generalanwalts Richard de la Tour, dass eine nationale Regelung zum automatischen Ausschluss von bestimmten Leistungen nach der Zustellung eines Dublin-Bescheids gegen die Vorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie verstößt. Dieses Vorgehen garantiere den Menschen keinen angemessenen Lebensstandard, rechtlich tragfähige Gründe für eine Leistungsabsenkung erkannte er nicht.
Denn die AufnahmeRL biete keine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von asylsuchenden Personen vor und nach dem Dublin-Bescheid, weder im Wortlaut noch im Kontext oder in der Zweckbestimmung“. Insbesondere sei eine auf der Dublin-VO basierende Überstellungsentscheidung keine endgültige Entscheidung über den Asylantrag. Daher seien die "grundlegenden und unmittelbaren Bedürfnisse" der asylsuchenden Personen unabhängig vom Erhalt eines Dublin-Bescheides bis zur Überstellung zu erfüllen. Die Leistungen müssten angemessene sein, also "den Lebensunterhalt des Antragstellers und den Schutz seiner physischen und psychischen Gesundheit sicherstellen". Dies umfasse zwar nur die Grundbedürfnisse, gehe "aber über das bloße Recht auf Überleben hinaus". Die Mindestschwelle seien nach der EuGH-Rechtsprechung die Integrität und die Würde der Menschen, damit dürften Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Kleidung sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts nicht gestrichen werden.
Zerrissene Kleidung als sichtbarer Aspekt der Entbehrung
Völkerrechtlich umfasse das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard den Zugang zu angemessener Verpflegung, angemessener Unterkunft, notwendige medizinischen Versorgung, notwendige soziale Leistungen und angemessener Kleidung die trage zur Achtung der Menschenwürde bei. Das Tragen zerrissener und schmutziger Kleidung sei der "sichtbarste und berechnendste Aspekt der Entbehrung". Das Recht umfasse aber auch den Zugang zu anderen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, die in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit unverzichtbar sind, wie beispielsweise das Recht auf Bildung oder das Recht auf Arbeit.
Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs seien ein wesentlicher Bestandteil der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen. Sie ermöglichten ein Mindestmaß an Unabhängigkeit. Das habe die Kommission selbst in der mündlichen Verhandlung dieses Falles mehrfach betont. Die deutsche Regelung sei daher "umso problematischer, als sie auf einem automatischen Entzug dieser Leistungen beruht". Dabei werde das Regel-Ausnahmeverhältnis umgekehrt, da die Gewährung individuell angemessener Leistungen nur auf Antrag möglich sei.
Daher ist die deutsche Regelung nach Ansicht des Generalanwalts unionsrechtswidrig, weil sie eine Person automatisch von wichtigen Teilaspekten dieser Grundbedürfnisse nach einer Überstellungsentscheidung ausschließt. Sie sei daher nicht von den Vorgaben des Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 und Abs. 5 AufnahmeRL, der die Versorgung regelt, gedeckt.
Aktuelle deutsche Regelung erst recht unionsrechtswidrig
Nach Ansicht des Generalanwalts sind also schon die früheren Leistungseinschränkungen europarechtswidrig. Dies gilt – angesichts der Ausführungen zum Recht auf einen angemessenen Lebensstandard – damit erst recht für den aktuell geltenden umfassenden Leistungsausschluss bei der Möglichkeit zur Selbstausreise: Die Versorgung der Personen – da sind sich alle handelnden Behörden einig –darf nicht komplett eingestellt werden.
Doch welche Leistungen müssen gewährt werden? Hamburg und Brandenburg haben für die Versorgung der Menschen sog. Dublin-Zentren eingerichtet, deren Funktionsweise noch weitgehend unklar ist und die jedenfalls haftähnlichen Charakter haben. Die Unterbringung in solchen Zentren ist angesichts der klaren Ausführungen des Generalanwalts zum Gleichbehandlungsgrundsatz wohl auch als europarechtswidrig anzusehen.
Spätestens mit dem anstehenden EuGH-Urteil müssen die deutschen Behörden und Gerichte die Regelung des § 1 Abs. 4 AsylbLG unangewendet lassen, da die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Vorgaben von den Mitgliedstaaten jederzeit sichergestellt werden muss, ggf. aus eigener Entscheidungsbefugnis. Sie dürfen nicht ein gerichtliches Verfahren oder das Handeln des Gesetzgebers abwarten (EuGH, Urt. v. 09.03.1978, Az. 106/77 Simmenthal II). Teilweise gilt dies schon jetzt, da der Generalanwalt etwa zu Leistungseinschränkungen ausführt, dass nach der Rechtsprechung des EuGH selbst bei individuell vorwerfbarem Verhalten, sich die Leistungshöhe an der genannten Mindestschwelle der Achtung der Menschenwürde orientieren muss (EuGH, Urt. v. 01.08.2022, C-422/21, TO, Rn. 43 ff.).
Auch Bezahlkarte steht mit den Schlussanträgen in Frage
Als Konsequenz der Ausführungen des Generalanwalts ergeben sich weitere Fragen hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit der aktuellen deutschen Rechtslage, etwa beim Einsatz der Bezahlkarte und der Ungleichbehandlung von asylsuchenden Personen aus sicheren Herkunftsländern beispielsweise bei der Unterbringung und beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch die Rechtmäßigkeit der mit dem Anpassungsgesetz zum GEAS geplanten Zentren für Sekundärmigration steht in Frage, da diese zu einer systematischen Ungleichbehandlung asylsuchender Personen führen würden.
Darüber hinaus sind die Ausführungen des Generalanwalts zum angemessenen Lebensstandard deswegen besonders relevant, weil mit der Reform des GEAS und nach Art. 18 AMMVO und Art. 21 der neuen AufnahmeRL grundsätzlich die Leistungsberechtigung ab der Zustellung des Dublin-Bescheids entfallen soll. Diese Regelung steht allerdings unter dem Vorbehalt "der Notwendigkeit, einen Lebensstandard im Einklang mit dem Unionsrecht, einschließlich der Charta, und internationalen Verpflichtungen sicherzustellen" – und dürfte damit nicht mehr umsetzbar sein, wenn sich das Gericht den Schlussanträgen anschließt. Denn bei einem Leistungsausschlusses ist der angemessene Lebensstandard nicht sichergestellt. Die geplante Regelung müsste aus unionsrechtlicher Sicht also entweder gestrichen oder so angepasst werden, dass der angemessene Lebensstandard zukünftig in jeder Situation gewährleistet ist.
Zu der zweiten Vorlagefrage des BSG äußerte sich der Generalanwalt nur kurz: Seiner Ansicht nach liegt kein "Folgeantrag" iSd Art. 2 Bst. q AufnahmeRL vor, wenn ein Antragsteller in einem zweiten Mitgliedstaat einen neuen Antrag stellt, bevor der erste Mitgliedstaat eine bestandskräftige Entscheidung über einen dort zuvor gestellten Antrag getroffen hat. Darüber seien sich in der mündlichen Verhandlung alle einig gewesen. Damit könnte die Leistung für diesen Menschen dann auch nicht eingeschränkt oder eingestellt werden, die entsprechende Sanktionsmöglichkeit des Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c AufnahmeRL sei also nicht anwendbar.

Dr. Constantin Hruschka ist Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg.
Angemessener Lebensstandard in Dublin-Verfahren: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58511 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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