EuGH zum Datenschutzrecht: Medi­en­pri­vileg auch für Blogger?

Gastbeitrag von Dr. Jonas Kahl, LL.M. und Franziskus Horn

27.02.2019

Filmaufnahmen aus der Polizeistation bei Youtube hochgeladen: Eine kaum beachtete EuGH-Entscheidung zum Datenschutz gibt auch Auslegungshinweise zur Reichweite des Medienprivilegs in Deutschland, erläutern Jonas Kahl und Franziskus Horn.

Wer auf Youtube Videos veröffentlicht, in denen Polizeibeamte bei ihrer Tätigkeit in einer Polizeistelle zu sehen sind, kann sich bei der Verarbeitung personenbezogener Daten nicht auf die sogenannte "Haushaltsausnahme" berufen. Zudem ist nicht per se jede Veröffentlichung im Internet, die personenbezogene Daten behandelt, eine journalistische Tätigkeit. Dies entschied die Zweite Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in ihrem – bislang kaum beachteten – Urteil vom 14. Februar 2019 (C-345/17).

Die dem Urteil zu Grunde liegende Situation spielte 2013 in einer Polizeidienststelle in Lettland. Dort filmte eine Person die eigene Aussage in einem Verfahren gegen sich und stellte das Video anschließend auf Youtube. Neben der eigenen Aussage waren auch Polizeibeamte bei ihrer Arbeit zu sehen. Für die lettische Datenschutzbehörde war das ein Verstoß gegen die Informationspflichten, die sich aus der damals geltenden Europäischen Datenschutzrichtlinie ("DSRL" - RL 95/46) ergaben.

Vom EuGH wollte das lettische Oberste Gericht auf Vorlage hin wissen, ob der Anwendungsbereich der DSRL eröffnet ist und ob die Verarbeitung zu "journalistischen Zwecken" im Sinne der Richtlinie geschah. Die DSRL spielt in der Entscheidung des EuGH deshalb noch eine Rolle, weil sie erst im Mai 2018 von der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) abgelöst wurde – der lettische Sachverhalt sich aber bereits vorher zugetragen hat. Gleichwohl können eine Reihe von Erwägungen des EuGH aus dieser Entscheidung auch auf die Rechtslage unter Geltung der DSGVO übertragen werden.

In Videoaufzeichnungen werden personenbezogene Daten verarbeitet

In Kohärenz mit seiner früheren Rechtsprechung entschied der EuGH, dass die Videoaufzeichnung einer Person eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Sinne europäischen Datenschutzrechts sei. Schon die Speicherung auf der Digitalkamera stelle eine automatisierte Verarbeitung dar, ebenso wie der anschließende Upload auf eine Plattform wie Youtube. Auch der Umstand, dass die Beamten bei ihrer beruflichen Arbeit gezeigt werden, erlaubt keine andere Auslegung. Die Berufsbezogenheit steht der Personenbezogenheit nicht entgegen. 

Den Aufzeichner träfe deshalb als Verarbeiter die volle Bandbreite an Pflichten, die sich aus europäischem Datenschutzrecht ergeben. Er könnte infolgedessen nur dann rechtskonform Daten verarbeiten, wenn er im Rahmen eines gesetzlichen Erlaubnistatbestands handelt, eine Einwilligung erteilt worden ist oder das Datenschutzrecht aufgrund einer Bereichsausnahme nicht zur Anwendung kommt.

Keine "Haushaltsausnahme" für öffentliche Youtube-Videos

Als eine solche Bereichsausnahme schloss das Gericht im hiesigen Fall die sogenannte "Haushaltsausnahme" aus. Diese Ausnahme soll verhindern, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch eine übermäßige Regulierung aufgrund des Datenschutzes gefährdet wird. Ob eine solche Ausnahme vorliegt, richtet sich nach den Eigenschaften der konkreten Datenverarbeitung. Das heißt es kommt auf den Zweck der Datenverarbeitung an und ihre räumlichen und sozialen Aspekte. 

Bei dem Upload eines Videos, welches der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird, verlässt die Aufnahme aber den abgegrenzten Privatbereich des Verarbeiters und tritt in den öffentlichen Raum. In der seit dem vergangenen Jahr geltenden DSGVO findet sich die "Haushaltausnahme" wortgleich in Art. 2 Abs. 2 lit. c. Auch nach heutiger Gesetzeslage wäre die Anwendung der Ausnahme daher abzulehnen.

EuGH: Nicht jeder Uploader im Internet ist Journalist

Allerdings kann eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten dann von datenschutzrechtlichen Pflichten ausgenommen sein, wenn sie "journalistischen Zwecken" dient (nach Art. 9 der DSRL bzw. nunmehr Art. 85 Abs. 2 DSGVO). Der EuGH stellte nun jedoch klar: nicht jede im Internet veröffentlichte Information ist eine journalistische Tätigkeit.

Damit spricht der EuGH ein Thema an, welches seit Geltung der DSGVO auch in Deutschland immer wieder debattiert wird: die Reichweite des datenschutzrechtlichen "Medienprivilegs". Dem Medienprivileg liegt der Gedanke zugrunde, dass die uneingeschränkte Anwendung von datenschutzrechtlichen Pflichten das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit beschränken könnten. Kurz gesagt: Journalisten könnten bei ihren Recherchen eine Art "Schere im Kopf" haben, wenn sie jederzeit an datenschutzrechtliche Aspekte denken müssten.

Was aber ist eine "journalistische Tätigkeit"?

Weil die Meinungsfreiheit auch für den EuGH ein so wichtiges Rechtsgut darstellt, legt er Begriffe, die mit ihr zusammenhängen, grundsätzlich weit aus. Dazu gehört auch der Begriff der Presse. Europarechtlich können Privilegierungen der Presse daher nicht nur für klassische Medienunternehmen gelten, sondern ebenfalls für Einzelne, die journalistisch tätig sind.

In seinem jüngsten Urteil bestätigt der EuGH nun einmal mehr seine Definition von "journalistischer Tätigkeit" als eine, die bezweckt, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Zwar ist es nicht Sache des EuGH, sondern jeweils der nationalen Gerichte, zu entscheiden, ob die konkrete Verarbeitung unter diese Definition fällt, in der Entscheidung gibt der EuGH jedoch eine Reihe von Auslegungshinweisen vor: Zunächst sei das konkrete Übertragungsmittel bzw. die gewählte Plattform dafür nicht relevant. 

Zudem komme es für die Bewertung als Journalismus nicht darauf an, ob die Tätigkeit von einem Berufsjournalisten herrührt. Der Zweck des Videos kann zu berücksichtigen sein und insofern auch, ob das Video "eine Öffentlichkeit sucht" bzw. auf etwas aufmerksam machen soll. Da die DSGVO in Erwägungsgrund 153 genauso von einer weiten Begriffsbestimmung ausgeht und auch dieser ohnehin im Lichte der EuGH-Rechtsprechung auszulegen ist, sind diese Grundsätze ebenso auf die Rechtslage unter der DSGVO übertragbar.

Ein datenschutzrechtliches Medienprivileg kann also, unabhängig ob nach alter oder neuer Rechtslage vorliegen, soweit es sich um eine journalistische Tätigkeit handelt. Sowohl die frühere DSRL (Art. 9), als auch die DSGVO (Art. 85) formulieren in diesem Zusammenhang aber ein Abwägungsgebot, welches vorsieht, dass Ausnahmen nur zur Lösung einer Grundrechtskollision zugelassen sind. Wann eine solche Ausnahmeregelung erforderlich ist, soll nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO der Abwägung der Mitgliedsstaaten überlassen sein. 

Wie ist das Medienprivileg in Deutschland ausgestaltet?

Eine Video-Aufzeichnung, wie die vorliegende, könnte unter dem Blickwinkel der DSGVO also vom Medienprivileg des Art. 85 Abs. 2 DSGVO profitieren, wenn sie zum Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Ebenso weit wie die Definition der journalistischen Tätigkeit ist zugleich aber auch der Spielraum, der den Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung des Medienprivilegs in den nationalen Regelungen gegeben ist. 

In Deutschland wurde dieses Medienprivileg in einer ganzen Reihe von Gesetzen umgesetzt: Es findet sich in den Regelungen des § 9c und § 57 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) sowie in den jeweiligen Landespressegesetzen. § 9c RStV privilegiert insoweit abschließend die "in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF, das Deutschlandradio, private Rundfunkveranstalter oder Unternehmen und Hilfsunternehmen der Presse". § 57 RStV privilegiert ergänzend alle Medienanbieter, die in Telemedien tätig sind und deren Hilfsunternehmen. Für die gedruckte Presse finden sich ganz ähnliche Regelungen – mit aber teils erheblichen Unterschieden in Details – in den einzelnen Landespressegesetzen.

Private Uploader einzelner Videos – wie im lettischen Fall – könnten sich nach deutscher Rechtslage hingegen wohl nicht auf eine entsprechende Privilegierung berufen. Nicht zuletzt der Umstand, dass die einschlägigen Regelungen oftmals eine "redaktionelle" Tätigkeit fordern und eine solche bei "Gelegenheitsjournalisten" wohl eher zu verneinen ist, spricht dafür, dass ihnen das Medienprivileg wohl versagt bleibt. Insofern treffen die mit der DSGVO einhergehenden Pflichten "die kleinsten" am härtesten. Das Medienprivileg bleibt ihnen verwehrt.

Ausweitung des Medienprivilegs auf Bürgerjournalisten

In Anbetracht der weiten Auslegung des Begriffs "journalistische Tätigkeit" durch den EuGH wäre es grundsätzlich möglich, auch die nationalen Regelungen zum Medienprivileg weiter zu fassen als dies bisher der Fall ist und die Privilegierung auch Bloggern als Bürgerjournalisten zu Gute kommen zu lassen. 

Denn auch die bürgerjournalistische Tätigkeit kann darauf angewiesen sein, personenbezogene Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zu erheben und zu verarbeiten. Auch in diesem Kontext ist es nötig, eine freie journalistische Recherche zu ermöglichen. Freilich bleibt es aber eine Herausforderung, dabei hinreichend zu nicht journalistischen, aber dennoch im Internet veröffentlichten Inhalten abzugrenzen.

Vor dem Hintergrund des weiten europäischen Begriffs scheint eine Beschränkung des Medienprivilegs auf "redaktionelle Tätigkeiten" zu eng. Die gesetzliche Wertentscheidung, dass die Form des Bürgerjournalismus zugunsten der Privatsphäre der Betroffenen nicht Teil des Medienprivilegs ist, scheint auch vor dem Hintergrund fraglich, dass der EGMR schon Bloggern, die den klassischen Presseorganen vergleichbare Funktion eines "Wachhundes" zugesprochen hat

Dr. Jonas Kahl, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in der Kanzlei Spirit Legal LLP in Leipzig. Er hat zu „Elektronischer Presse und Bürgerjournalismus“ promoviert. Franziskus Horn ist WissenschaftlicherMitarbeiter bei Spirit Legal LLP. 

Zitiervorschlag

EuGH zum Datenschutzrecht: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34109 (abgerufen am: 02.12.2024 )

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