Wie weit reichen die Löschpflichten von Host-Providern, wenn im Internet beleidigt wird? Der Generalanwalt hat seine Schlussanträge zu dieser Frage gestellt – und ist dabei ziemlich inkonsequent geblieben, meint Andreas Biesterfeld-Kuhn.
In einem Rechtsstreit zwischen der österreichischen Grünen-Politikerin Glawischnig-Piesczek und Facebook hat sich am Dienstag der zuständige Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seinen Schlussanträgen die Auffassung vertreten, dass Facebook gezwungen werden kann, sämtliche Kommentare, die mit einem ehrverletzenden Kommentar wortgleich- sind, zu eruieren und zu identifizieren. Gleiches gilt für sinngleiche Kommentare*, sofern diese von demselben Nutzer stammen und die Rechtswidrigkeit des Ursprungskommentars festgestellt wurde.
Der Generalanwalt sprach sich gleichzeitig aber auch klar dagegen aus, Facebook eine Pflicht aufzuerlegen, auch sinngleiche Kommentare anderer Nutzer zu löschen. Da sich der EuGH im Großteil aller Fälle den Schlussanträgen des Generalanwalts anschließt, kann Facebook wohl schon einmal aufatmen: Aus Sicht des Internetgiganten dürfte das Worst-Case-Szenario damit nämlich abgewendet worden sein.
Hintergrund des Rechtsstreits (Az.: C-18/18) ist ein Posting eines österreichischen Facebook-Nutzers in seinem öffentlich für jedermann sichtbaren Profil, in dem er einen Artikel des österreichischen Online-Nachrichtenmagazins oe24.at mit dem Titel "Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben" verlinkte und mit einem diffamierenden Kommentar über die Grünen-Politikerin Glawischnig-Piesczek versah. Zahlreiche weitere Facebook-Nutzer nutzten die Kommentarfunktion daraufhin und beschimpften die Politikerin unter dem Posting auf vielfältige Weise.
Die Politikerin nahm Facebook daraufhin auf Unterlassung in Anspruch und erwirkte vor dem Oberlandesgericht Wien eine Entscheidung, die Facebook dazu verpflichtete, nicht nur die Veröffentlichung von konkret beanstandeten Kommentaren zu unterlassen, sondern auch wort- und sinngleiche Inhalte zu löschen (OLG Wien, Beschl. v. 26.04.2017, 5 R 5/17t). Der anschließend mit der Sache befasste Oberste Gerichtshof (OGH) hegte jedoch Zweifel daran, ob dieses Unterlassungsverbot möglicherweise zu weit geht, und wandte sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH.
Seine Begründung: Art. 15 der Richtlinie 2000/31/EG (sog. E-Commerce-Richtlinie) sehe ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten Host-Providern keine allgemeine Verpflichtung auferlegen dürfen, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.
Wie weit reichen die Überwachungs- und Löschpflichten?
Der EuGH hat nun die Chance, Leitlinien aufzustellen, ob das Verbot in Art. 15 der E-Commerce-Richtlinie eine weite oder eine Auslegung erfahren soll. Denn die Frage, wo eine unzulässige aktive Überwachungspflicht anfängt, ist auf unionsrechtlicher Ebene noch nicht abschließend geklärt.
Geht es nach dem Generalanwalt, ist offenbar eine weite Auslegung geboten. Denn seiner Auffassung nach führt eine Abwägung aller relevanten Grundrechte unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dazu, dass von Facebook bereits unter Kostengesichtspunkten nicht verlangt werden könne, dass auch sinngleiche Kommentare Dritteridentifiziert und gelöscht werden müssen. Neben dem Kostenfaktor führt der Generalanwalt die Meinungs- und Informationsfreiheit als Begründung ins Feld. Die sei nämlich in Gefahr, wenn Facebook zur Löschung solcher Drittkommentare verpflichtet würde, heißt es in den Schlussanträgen.
Soweit es um wort- und sinngleiche Kommentare desselben Nutzers sowie wortgleiche Kommentare anderer Nutzer gehe, sieht der Generalanwalt diese Probleme indes nicht. Denn in diesem Fall bedürfe es keiner technischen Hilfsmittel, deren Entwicklung und Einsatz eine außergewöhnliche Belastung darstellen könnten. Gleichwohl erweise sich das Aufspüren und Löschen entsprechender Kommentare zur Sicherstellung eines wirksamen Schutzes des Privatlebens und der Persönlichkeitsrechte als notwendig, da Informationen im Bereich des Internets leicht reproduziert werden könnten.
Facebook wird zu Unrecht geschont
Diese Argumentation hinterlässt einen faden Beigeschmack. Denn es ist schon ein wenig verwegen, einem Konzern, welcher seine Nutzer bis ins kleinste Detail kennt, deren Internetverhalten auf Schritt und Tritt überwacht und mit der Erhebung, dem Speichern und dem Verkauf von Nutzerdaten ein Milliardenvermögen gemacht hat, unter Kostengesichtspunkten entgegenzukommen, wenn es um den Schutz von Persönlichkeitsrechten vor ehrverletzenden Äußerungen geht.
Auch das "Zensur"-Argument verliert auf den zweiten Blick an Schlagkraft, denn es geht schließlich nur um sinngleiche Replikationen durch Dritte nur von solchen Äußerungen, die bereits als rechtswidrig eingestuft worden sind. Diese Replikationen dürften damit per se immer ebenfalls rechtsverletzend und rechtswidrig sein, sodass sich auch die Dritten ohnehin nicht auf die Meinungs- und Informationsfreiheit berufen könnten.
Man mag hier einwenden, dass Facebook nicht der einzige Host-Provider auf dem Markt ist und somit eine auch für kleinere Plattformbetreiber praktikable Lösung gefunden werden muss. Dies ist grundsätzlich richtig, jedoch war die Rechtsprechung noch nie verlegen, unter Abwägung aller relevanten Umstände des konkreten Einzelfalls einzelfallgerechte Entscheidungen zu treffen. Dies wäre sicherlich auch möglich, wenn man hier Facebook auch in Bezug auf sinngleiche Kommentare von Dritten eine Löschpflicht auferlegen würde, wenn die Rechtswidrigkeit des Ursprungskommentars festgestellt ist.
Dem Platzhirschen der sozialen Medien aber zu vermitteln, dass selbst er nur zu einer sozusagen Löschung Light verpflichtet werden kann, erscheint hingegen fast schon als Kapitulation vor dem Hass und Zorn, der sich in sozialen Medien immer weiter ausbreitet. Sollte sich der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts anschließen, steht dementsprechend zu befürchten, dass Facebook im Hinblick auf ehrverletzende Äußerungen künftig kaum mehr Engagement zeigen wird als bislang.
Auch Rechtsprechung des BGH steht auf der Kippe
Im Falle eines entsprechenden Urteils müsste sich hierzulande auch der Bundesgerichtshof (BGH) fragen, ob er seine bisherige Rechtsprechung noch weiter aufrechterhalten kann. Denn bereits im Jahr 2012 hat er für das Urheberrecht entschieden, dass ein File-Hosting-Dienst nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren verhindern muss, dass derselbe oder andere Nutzer das ihm konkret benannte, urheberrechtlich geschützte Werk Dritten erneut über seine Server anbieten können (Urt. v. 12.07.2012, Az.: I ZR 18/11).
Es wäre wohl schwer vermittelbar, wenn ein File-Hosting-Dienst stets auch Rechtsverletzungen Dritter im Auge haben müsste, wohingegen eine Social-Media-Plattform wie Facebook diese offenbar – abgesehen von wortgleichen Wiederholungen* – ignorieren und ihre Löschmaßnahmen auf den ursprünglichen Rechtsverletzer beschränken könnte. Insofern ist durchaus davon auszugehen, dass im Spannungsverhältnis zwischen EuGH und BGH noch längst nicht das letzte Wort gesprochen ist, selbst wenn die Luxemburger Richter – was zu vermuten ist – den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen.
Der Autor Andreas Biesterfeld-Kuhn ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum Partnerschaft in Köln. Er ist spezialisiert auf das Urheber- und Medienrecht und dort insbesondere auf Rechtsverletzungen im Internet.
*Korrektur am Tag der Veröffentlichung, 17.19 Uhr: Der Generalanwalt hält es sehr wohl für zulässig, Host-Provider zu Löschung identischer Inhalter anderer Nutzer zu verpflichten.
EuGH-Generalanwalt zu Beleidigungen auf Facebook: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35755 (abgerufen am: 01.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag