EuGH zu Löschpflichten im Internet: Mehr als bloßes "Notice and take down"

04.10.2019

Host-Provider können verpflichtet werden, rechtswidrige Inhalte nicht nur zu entfernen, sondern auch weitere wort- und sinngleiche Inhalte zu löschen. Der EuGH bleibt beim "Notice and take down"-Verfahren, dehnt es aber zugunsten der Betroffenen aus.

Der Einzelne ist der Informationsmasse, die tagtäglich durch das Internet wabert, nicht gewachsen. Diese Erkenntnis ist schon einige Jahre alt, auf ihr gründet etwa der Tech-Gigant Google sein gesamtes Geschäftsmodell. Dass die Informationen, die tagtäglich durch das Netz geblasen werden, aber nicht nur Chance, sondern auch eine Gefahr sind, diese Erkenntnis hält erst allmählich - jedenfalls in den Institutionen - Einzug.

Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom Donnerstag seine Rechtsprechung ein Stück weit an diese Erkenntnis angepasst. Im Fall der österreichischen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek entschied der Gerichtshof, dass Betreiber von Internet-Diensten, in diesem Fall das soziale Netzwerk Facebook, von den Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden können, nicht nur rechtswidrige Äußerungen auf ihrer Plattform zu löschen, sondern auch nach weiteren wort- bzw. sinngleichen Inhalten zu suchen und diese ebenfalls zu entfernen (Urt. v. 04.10.2019, Az. C-18/18).

Was muss alles gelöscht werden? Und wo?

Glawischnig-Piesczek hatte sich auf Facebook dafür beschimpfen lassen müssen, dass sie 2016 geäußert hatte, die Mindestsicherung für Flüchtlinge beibehalten zu wollen."Korrupter Trampel" und "miese Volksverräterin" waren die Bezeichnungen, die schließlich vor den österreichischen Gerichten landeten. Dort verlangte die Politikerin von Facebook, die Aussagen zu sperren. Der Internetkonzern kam dem zwar nach, begrenzte die Sperrung der Posts aber auf die konkret beanstandeten Äußerungen und zudem lediglich auf den österreichischen Raum.

Die Politikerin verfolgte die Sache weiter, sodass schließlich der Österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) den EuGH um Auslegung des europäischen Rechts bat. Er wollte von den Luxemburger Kollegen wissen, ob Internet-Dienste verpflichtet werden können, nicht nur konkret beanstandete rechtswidrige Inhalte wie Hass-Posts regional begrenzt zu löschen, sondern dies innerhalb ihrer Dienste weltweit zu tun und dabei auch wort- bzw. sinngleiche Inhalte selbst aufzuspüren und ebenfalls zu löschen.

In der Tat ist es bei Ehrverletzungen im Internet oftmals nicht getan mit der Löschung eines einzigen Posts, da sich Aussagen im Netz mitunter rasend schnell verbreiten und der Betroffene, wenn er jede einzelne Äußerung selbst zunächst gerichtlich untersagen lassen müsste, ziemlich verloren da steht.

Der EuGH schloss sich nun im Wesentlichen der Auffassung des Generalanwalts an, der in seinen Schlussanträgen die Ansicht vertreten hatte, dass diese weitergehende Verpflichtung für die Internet-Dienste möglich sei. Auch die Luxemburger Richter hielten nun eine solche Verpflichtung für mit dem europäischen Recht vereinbar. Indes übernahmen sie nicht die Einschränkung, sinngleiche Inhalte nur dann zu löschen, wenn diese vom selben Nutzer stammten. Diesen Vorschlag des Generalanwalts hatte Rechtsanwalt Andreas Biesterfeld-Kuhn anlässlich der Schlussanträge auf LTO als unnötige Schonung der Netz-Giganten kritisiert.

 "Notice and take down"-Verfahren wird ausgedehnt

Das nun gefällte Urteil ist nicht die völlige Abkehr vom "Notice and take town"-Verfahren, das der europäischen E-Commerce-Richtlinie nach Ansicht des EuGH zugrunde liegt. Deren Art. 15 formuliert in der deutschen Übersetzung unter der Überschrift "Keine allgemeine Überwachungspflicht", dass Plattformbetreibern im Netz "keine allgemeine Verpflichtung (...), die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen" aufgegeben werden könne.

Dies verlangt der EuGH auch mit seinem Urteil in der Sache Glawischnig-Piesczek nicht. Doch er zeigt auf, was die EU-Staaten von den Internet-Konzernen verlangen dürfen: das, was technisch ohnehin unproblematisch möglich ist. So darf verlangt werden, Inhalte, die mit der rechtswidrigen Äußerung wörtlich identisch sind, zu löschen. Schwerer tat man sich dagegen bei der Löschung von inhaltsgleichen Äußerungen.

Der Grund: Hier könnten Konzerne zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Äußerungen gezwungen werden, was nicht zuletzt ein zentraler Kritikpunkt am deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist. Hier wird die Meinungsfreiheit der Nutzer relevant, die durch ein Einschreiten der Netzwerke beschnitten werden könnte. Der Generalanwalt hatte Bedenken in diese Richtung geäußert. 

Der EuGH begegnete diesen Zweifeln in seinem Urteil vom Donnerstag wie folgt: Es sei auch zulässig, Facebook und Co. aufzugeben, Äußerungen, die einen sinngleichen Inhalt haben wie bereits für rechtswidrig erklärte, zu suchen und zu sperren, sofern deren Aussage im Vergleich zum Inhalt der Ursprungsäußerung im Wesentlichen unverändert geblieben ist und die Einzelheiten umfasst, die in der gerichtlichen Verfügung genau bezeichnet sind. Unterschiede in der Formulierung dürften nicht so geartet sind, dass sie den Anbieter zwängen, eine autonome Beurteilung des Inhalts vorzunehmen. Diesem solle möglich bleiben, zur Erfüllung seiner Pflicht auf automatisierte Techniken zurückgreifen.

Facebook: "Kritische Fragen rund um die Meinungsfreiheit"

Facebook reagierte kritisch auf das Urteil. Der EuGH gefährde den seit langem geltenden Grundsatz, nach dem ein Land seine Auslegung der Meinungsfreiheit nicht einem anderen Land aufzwingen dürfe, so die Einschätzung des Konzernzs. Zudem öffne es die Tür für Auflagen, die Internetunternehmen zu einer proaktiven Überwachung und Interpretation von Inhalten zwinge.

"Dieses Urteil wirft kritische Fragen rund um das Thema Meinungsfreiheit auf", sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Bei Facebook gebe es bereits heute Standards, die regelten, was Nutzer auf der Plattform machen können und was nicht. Zudem gebe es bereits Verfahren zur Einschränkung von Inhalten, die lokales Recht verletzten.

Die Klägerin Glawischnig-Piesczek begrüßte das EuGH-Urteil hingegen als einen historischen Erfolg für den Persönlichkeitsschutz. Die Entscheidung biete eine klare Hilfestellung für alle Menschen, die beleidigt würden oder über die Übles geschrieben werde, sagte die ehemalige Chefin der österreichischen Grünen am Donnerstag der Nachrichtenagentur APA. Die Betroffenen wollten vor allem eine schnelle Löschung der entsprechenden Einträge möglichst weltweit.

mam/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

EuGH zu Löschpflichten im Internet: Mehr als bloßes "Notice and take down" . In: Legal Tribune Online, 04.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37999/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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