Dürfte ein großer Lidl auf dem Land seine Preise mit denen eines Rewe City-Marktes vergleichen und dann eine Tiefstpreisgarantie abgeben? Wie der EuGH am Mittwoch seine Rechtsprechung zur vergleichenden Werbung fortgeschrieben hat, erklärt Ingo Jung.
In einer französischen TV-Werbekampagne verglich die Carrefour-Gruppe im Jahre 2012 Preise von rund 500 führenden Markenprodukten mit denen ihrer Mitbewerber. Die Supermarktkette sprach dabei eine Tiefstpreisgarantie aus: Jedem, der eines der verglichenen Produkte bei den benannten Mitbewerbern zu einem günstigeren Preis finde, werde die doppelte Preisdifferenz erstattet.
Die Intermarché-Gruppe wandte sich gegen diese Kampagne. Sie hielt die vergleichende Werbung von Carrefour für irreführend, außerdem verstoße diese gegen das Gebot der Objektivität. So würden Carrefour-Hypermarché-Preise nicht mit den Preisen der Hypermarché-Märkte von Intermarché verglichen, sondern mit denen der kleineren Supermarché-Märkte, ohne dass die Adressaten der Werbung über die Kriterien für die Auswahl der Märkte und über die Unterschiede zwischen den Formaten der Märkte informiert würden. Zunächst mit Erfolg, das Gericht erster Instanz in Paris gab der Klage in großem Umfang statt und verurteilte Carrefour zur Unterlassung und zur Zahlung von immerhin 800.000 statt der geltend gemachten 3 Millionen Euro.
Die Folgeinstanz legte den Rechtsstreit hingegen dem EuGH vor. Luxemburg sollte klären, ob die gleiche Art und Größe der Geschäfte für einen zulässigen Vergleich relevant ist und ob bestehende Unterschiede eine wesentliche Information darstellen, die den Verbrauchern gegenüber auch in der Werbung zu kommunizieren ist.
Super – Hyper – Ultrahyper
Auch zur klagenden Intermarché gehören nämlich derartige größere, sog. Hypermärkte, sie machen immerhin 5 Prozent aller Märkte der Gruppe aus. Verglichen hatte Carrefour allerdings seine Preise nur mit denjenigen der kleineren Supermärkte der Intermarché-Kette.
Das Schaffen fester Kategorien ist allerdings in diesem Bereich nicht einfach. Wo verläuft die Grenze zwischen Super- und Hypermarkt? Ist dafür nur die reine Verkaufsfläche oder sind auch die Sortimentsgröße und andere Faktoren maßgeblich? Und schließlich: Kennt ein Verbraucher diese Unterschiede?
Der viel bemühte Satz, man dürfe nicht "Äpfel mit Birnen" vergleichen, hilft dabei ebenso wenig weiter wie die Anwendung fester Raster oder Kategorien. In Polen hat beispielsweise schon 2001 der erste "Ultrahypermarkt" mit über 45.000 qm Verkaufsfläche eröffnet und damit wieder einen neuen Superlativ geschaffen.
Wie so oft im Lauterkeitsrecht ist klassisches case-law gefragt. Man muss sich die konkreten Verhältnisse im Einzelfall und auch die Wettbewerbssituation zum Zeitpunkt der Werbung anschauen. Dann stellt sich die Frage, ob die reine Größe und das Format eines Marktes das Kaufverhalten des Verbrauchers wesentlich beeinflusst.
EuGH: Marktgröße als relevante Vergleichsbasis bestätigt
Genau das hat auch der Gerichtshof geprüft. Beide Ketten besitzen sowohl Super- als auch Hypermärkte, die Werbung hatte jedoch bereits von der zweiten TV-Ausstrahlung an nur noch Carrefour-Preise aus Hypermärkten mit Intermarché-Preisen aus Supermärkten verglichen, das dem Verbraucher aber nur in kleiner Schrift unterhalb des Namens "Intermarché" mitgeteilt.
Es gab also Anknüpfungspunkte zu derselben Größenkategorie "Hypermärkte", so dass Carrefour sich mit dem Argument, dass Intermarché Märkte gleicher Art und Größe gar nicht betreibe, nicht verteidigen konnte.
Diese "Asymmetrie" des vorliegenden Preisvergleiches beanstandet der EuGH als Verstoß gegen die Richtlinie 2006/14/EG. Ohne entsprechenden ausdrücklichen Hinweis auf dieses Ungleichgewicht könnte der Verbraucher fälschlich davon ausgehen, dass alle Geschäfte der jeweiligen Kette in den Vergleich einbezogen würden (EuGH, Urt. v. 08.02.2017, Az. C-562/15 – Carrefour/ITM).
2/2: Kein Preisvergleich bei unterschiedlicher Geschäftsgröße und fehlender Aufklärung
Diese vom EuGH kritisch gesehene Besonderheit des vorliegenden Falles reiht sich in die bisherige Rechtsprechung zum Stilmittel der vergleichenden Werbung ein. Dieses hat gerade bei den preisgetriebenen Discountern eine gewisse Tradition und schon mehrfach die Gerichte beschäftigt.
So hat der EuGH in einem Rechtsstreit zwischen Lidl und Colruyt die grundsätzliche Zulässigkeit eines Sortimentsvergleiches festgestellt und zugleich Orientierungspunkte für die in der Werbung dabei zu liefernden Informationen gegeben (EuGH, Urt. v. 19.09.2006, Az. C-356/04 – Lidl Belgium).
Dort stellte der Gerichtshof auch klar, dass es ein besonderes Anliegen der Richtlinie sei, zugunsten der Verbraucher den Wettbewerb auch auf werblicher Ebene zu fördern und daher eine restriktive Handhabung bei der Beurteilung derartiger Werbemaßnahmen nicht angezeigt ist. Auch in Sachen Carrefour wies der Generalanwalt zu Recht in seinen Schlussanträgen darauf hin, dass es keine Grundlage dafür gibt, Preisvergleiche zwischen Geschäften unterschiedlicher Größe und Formats grundsätzlich zu verbieten.
Auf der anderen Seite muss die Grenzlinie dahingehend gewahrt werden, dass die vergleichende Werbung nicht ihrerseits wettbewerbsschädlich und unfair wird, was die Interessen der Verbraucher dann ebenso beeinträchtigen würde.
Marktart und –größe als wesentliche Information in der Werbung
Die weitere Vorlagefrage des Cour d’Appel de Paris zielte konsequenterweise darauf ab, ob die unterschiedliche Auswahl hinsichtlich Art und Größe der verglichenen Shops eine wesentliche Information im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2005/29/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken - vgl. dazu auch § 5a Abs. 2 UWG) darstellt. Solche Informationen muss der Verbraucher zeitgleich mit der Werbung bekommen. In dem Lidl-Belgium-Verfahren hat der EuGH bereits grundlegend entschieden, dass ein Vergleich insbesondere dann irreführend sein kann, wenn die Werbeaussage nicht deutlich macht, dass der Vergleich sich nur auf eine bestimmte Auswahl und nicht auf alle Produkte des Werbenden bezieht.
Auch diese Linie führen die Luxemburger Richter nun weiter. In ihrem Urteil von Mittwoch verlangen sie, dass der Verbraucher bei einer hervorgehobenen Preisersparnis schon in der Werbung klar darüber informiert werden muss, dass die verglichenen Preise beim Werbenden die in seinen größeren Geschäften verlangten, beim Konkurrenten aber die in kleineren Geschäften ermittelten sind.
Wie so oft muss auch hier die richtige Balance zwischen dem wirklichen Informationsbedürfnis des Verbrauchers und einer intransparenten Überfrachtung mit Informationen gefunden werden. Im Ergebnis kommt es also darauf an, ob die selektive Auswahl der verglichenen Märkte auch Auswirkungen auf die vom Vergleich betroffenen Preise hatte. Sollte das Pariser Berufungsgericht das feststellen, müsste aus Sicht des EuGH von der Verletzung einer wesentlichen Informationspflicht ausgegangen werden, die auch Einfluss auf die Kaufentscheidung haben kann.
Wer nicht fair vergleicht ...
Die Entscheidung des EuGH legt ein sachgerechtes Regel-Ausnahme-Verhältnis fest. Art oder Größe eines Marktes schließen grundsätzlich weder einen Preisvergleich pauschal aus noch stellen sie eine wesentliche Information dar, über die in der Werbung immer ergänzend aufgeklärt werden müsste.
Der vorliegende Rechtsstreit macht aber auch deutlich, dass klare Grenzen einzuhalten sind, die im Ausnahmefall eine solche Aufklärung erforderlich machen. Namentlich gilt dies bei einer ansonsten verzerrten Sicht, bei welcher der Werbende unaufgeklärt von einer falschen Vergleichsbasis ausgeht.
Gerade bei einer mit dem Vergleich verbundenen "Tiefstpreisgarantie", bei welcher gezielt mit aleatorischen Anreizen und der Sparmentalität der Verbraucher gespielt wird, kann eine verzerrte Annahme zur Art und Größe der verglichenen Märkte einen erheblichen Einfluss auf das Kaufverhalten haben. Das zentrale Ziel eines objektiven Vergleichs wird dann verfehlt, wenn der Verbraucher aufgrund fehlender Informationen fälschlich von einem repräsentativen Durchschnitt ausgeht, obwohl von dem Werbenden – quasi verdeckt - eine selektive Vorauswahl getroffen wurde und der Vergleich so insgesamt in eine Schieflage gerät.
Gerade der Preisvergleich fordert einen aktuellen und fairen Marktüberblick, um eine informierte Entscheidung des Verbrauchers zu ermöglichen. Dazu muss der Werbende nicht alle Informationen liefern, die sich der Verbraucher auch selbst beschaffen kann. Er muss aber die grundlegenden Parameter seines Vergleiches offenbaren, wenn ansonsten ein vermeidbarer Irrtum provoziert wird. Da man bei unterschiedlicher Marktgröße auch von einer unterschiedlichen Preisgestaltung ausgehen kann, muss zumindest dann, wenn der Verbraucher von der Einbeziehung aller Märkte eines Mitbewerbers in den Vergleich ausgeht, tatsächlich aber eine vorteilhafte Vorauswahl getroffen wurde, über diesen Aspekt klar und deutlich unmittelbar mit der Werbung aufgeklärt werden.
Der Autor Dr. Ingo Jung ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Partner bei CBH Rechtsanwälte im Bereich Geistiges Eigentum & Medien in Köln.
Ingo Jung, EuGH zur vergleichenden Werbung: Does size matter? . In: Legal Tribune Online, 08.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22038/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
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