Täuscht das "Himbeer-Vanille-Abenteuer" Verbraucher? Die Vorgaben der EuGH-Entscheidung deuten darauf hin, finden Linda Kulczynski und Markus Ruttig, und zeigen, welche Folgen das Urteil für Lebensmittelunternehmen haben kann.
Mit einem juristischen Abenteuer solchen Ausmaßes hatte der Hersteller Teekanne sicherlich nicht gerechnet. Doch der als „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ bezeichnete Tee schaffte es nicht nur vor den Bundesgerichtshof (BGH), sondern auch zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).
Auf Vorlage des BGH urteilten die Luxemburger Richter am Donnerstag, dass eine Produktaufmachung Verbraucher nicht irreführen darf, indem sie bezüglich der enthaltenen Zutaten einen falschen Eindruck erweckt. Dass ein potenzieller Irrtum über die Zutatenliste aufgeklärt werden könnte, ließen die Luxemburger Richter nicht gelten (Urt. v. 04.06.2015, Rechtssache C-195/14).
Mit seiner Entscheidung weicht der EuGH überraschenderweise von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie zum mündigen Verbraucher ab. Dieser Richtungswechsel könnte weitreichende Folgen für die Lebensmittelindustrie und die Gestaltung ihrer Produkte haben.
Fühlen Verbraucher sich getäuscht?
Die EuGH-Entscheidung betrifft den Verbraucherschutz und die Frage, was der mündige Verbraucher erwartet, wenn ihm bestimmte Angaben auf einer Lebensmittel-Verpackung begegnen. Die Entscheidung betrifft also alle.
Bevor näher analysiert wird, wie der EuGH das allgemeine Verbraucherverständnis einschätzt und damit das erforderliche Niveau des Verbraucherschutzes justiert, kann jeder Leser für sich selbst prüfen, ob er beim Himbeer-Vanille Abenteuer in die Irre geführt worden wäre. Dafür reicht ein unvoreingenommener Blick auf die Verpackung und dort auf die Abbildungen von Himbeeren und Vanilleblüten sowie die Hinweise "nur natürliche Zutaten" und "FRÜCHTETEE MIT NATÜRLICHEN AROMEN". Und schon müsste man sich als Verbraucher eine Erwartung über das Produkt gebildet haben. Im Supermarkt nimmt sich der potenzielle Käufer hierfür im Durchschnitt nicht länger als eine Sekunde Zeit.
Im Jahr 2011 beanstandete der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (Verbraucherzentrale) die Verpackungskennzeichnung des Himbeer-Vanille Abenteuers als "Werbelüge".
In dieser Auffassung darf sich jetzt jeder bestätigt fühlen, den überrascht, dass der Tee tatsächlich keine Bestandteile oder Aromen von Vanille oder Himbeere enthält. Um dieses Wissen zu erlangen, hätte man einen Blick auf die Zutatenliste werfen müssen. Dort wurde darüber aufgeklärt, dass der Tee zwar natürliche Aromen mit Vanille- und Himbeergeschmack enthält, die Aromen aber nicht aus Vanille und Himbeeren gewonnen wurden.
Alles erlaubt, wenn das Zutatenverzeichnis stimmt?
In seinem Vorlagebeschluss (Beschl. v. 26.2.2014, Az. I ZR 45/13) tendierte der BGH dazu, der Verbraucherzentrale Recht zu geben: Der Verbraucher orientiere sich an den Bildern und Angaben auf der Verpackungsvorderseite und mache sich ein falsches Bild von den Inhaltsstoffen des Tees. Allerdings musste der BGH sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Verpackungskennzeichnung auch dann noch irreführend sein kann, wenn der Verbraucher anhand des Zutatenverzeichnisses klar erkennen kann, was in dem Produkt enthalten ist.
Der EuGH hatte in der Vergangenheit in Fällen, in denen sich die zutreffende Zusammensetzung eines Lebensmittels aus dem Zutatenverzeichnis ergab, die Gefahr einer Irreführung als gering eingestuft, weil er davon ausging, dass der mündige Verbraucher die ihm gebotenen Informationsmöglichkeiten, wie insbesondere das Zutatenverzeichnis, wahrnimmt (vgl. Urt. v. 4.4.2000, Rs. C-465/98 - d`arbo naturrein).
Der BGH bezweifelte, ob sich diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen ließen. Aus seiner Sicht erhalte der Verbraucher durch die Angaben auf der Tee-Verpackung bereits die eindeutige Antwort auf die Frage, ob der Geschmack des Produkts durch aus Himbeerfrüchten und Vanillepflanzen gewonnene Aromen mitbestimmt wird. In einem solchen Fall habe der mündige Verbraucher keine Veranlassung mehr, sich anhand des Zutatenverzeichnisses zusätzlich zu informieren. Die Irreführung wird damit gleichsam irreversibel.
2/2: Zutatenliste korrigiert falschen Eindruck nicht mehr
Der EuGH hat sich nun der Auffassung des BGH angeschlossen. Jetzt gilt, dass die Etikettierung eines Lebensmittels den Verbraucher nicht irreführen darf, indem sie den Eindruck erweckt, das Lebensmittel enthalte eine Zutat, die tatsächlich in dem Erzeugnis nicht vorhanden ist. Im Hinblick auf seine bisherige Rechtsprechungslinie hat der EuGH klargestellt, dass das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, folglich ungeeignet sein kann, einen sich einmal aus der Etikettierung ergebenden falschen oder missverständlichen Eindruck zu berichtigen.
Zwar geht der EuGH nach wie vor davon aus, dass ein am Kauf eines Produktes Interessierter das Verzeichnis der Zutaten vor dem Kauf eines Erzeugnisses liest. Dies schließe jedoch nicht aus, dass bereits die Etikettierung des Erzeugnisses den Käufer täuscht, wenn bestimmte Elemente unwahr, falsch, mehrdeutig, widersprüchlich oder unverständlich sind. Glaubt der Verbraucher aufgrund der prominenten Etikettierung eines Lebensmittels, dieses enthalte bestimmte Zutaten, die aber tatsächlich fehlen, kann die Etikettierung den Käufer über die Eigenschaften des Lebensmittels irreführen. Sie ist auf jeden Fall dann unzulässig, wenn sich das Fehlen allein aus dem Verzeichnis der Zutaten ergibt.
Die Karlsruher Richter müssen unter Zugrundelegung des EuGH-Urteils nun entscheiden, ob Teekanne die Verbraucher mit seinem „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ in die Irre geführt hat oder nicht. Die Anweisungen des EuGH sind eindeutig. Der BGH muss die Tee-Verpackung noch einmal ganz konkret prüfen und hierbei nicht nur die verwendeten Begriffe und Abbildungen, sondern auch die Platzierung, Größe, Farbe, Schriftart, Sprache, Syntax und Zeichensetzung der verschiedenen Elemente auf der Verpackung des Früchtetees berücksichtigen. Da der BGH jedoch bereits in seinem Vorlagebeschluss die deutliche Tendenz gezeigt hat, im Ergebnis von einer Irreführung auszugehen, steht zu erwarten, dass es zu einem Urteil gegen Teekanne kommen wird.
Die Konsequenzen des Urteils für die Lebensmittelindustrie
Die EuGH-Entscheidung könnte weitreichende Folgen für die Lebensmittelindustrie haben. Denn es könnte in Zukunft nicht mehr ohne weiteres möglich sein, die geschmacksbildenden Faktoren eines Produktes auf der Verpackung durch Wort und Bild hervorzuheben. Dies ist bislang in vielen Branchen aber üblich, damit der Verbraucher die Geschmacksrichtung des Produktes am Supermarktregal auf einen Blick erkennen kann.
Stellt man sich daher die Frage, wie eine Produktkennzeichnung nach den Anforderungen des EuGH in Zukunft aussehen darf, wird schnell klar, dass der Gerichtshof hier nicht für Rechtssicherheit gesorgt hat. Denn er hat deutlich gemacht, dass es stets eine Frage des Einzelfalls ist, ob der Verbraucher durch eine vom Zutatenverzeichnis abweichende Verpackungsgestaltung in die Irre geführt wird oder nicht. Es steht auch nicht zu erwarten, dass der BGH für mehr Klarheit sorgen wird, weil dieser sich ebenfalls nur mit dem Früchtetee von Teekanne auseinandersetzen wird.
Man wird sich in Zukunft daher fragen müssen, ob eine weniger prägnante Hervorhebung von nur geschmacksbildenden Faktoren, wie sie Teekanne beim „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ verwendet, möglich bleibt. Das Spannungsverhältnis zwischen attraktiver Verpackungsgestaltung und Verbraucherschutz wird damit zukünftig mehr in den Fokus rücken.
Die Folgen des Urteils könnten indes noch weitreichender sein, wenn das Zutatenverzeichnis auch dann nicht mehr als Korrektiv zur Verfügung steht, wenn es um Irreführungen über die Zusammensetzung des Lebensmittels geht. Welcher Verbraucher rechnet schon damit, dass in manchem als solchem bezeichneten Himbeer-Smoothie nicht vor allem Himbeeren, sondern andere Früchte in Form von Bananen- und Apfelmark enthalten sind? Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 24.9.2013, Az. 20 U 115/12) verneinte in einem solchen Fall eine Irreführung, insbesondere weil die Verpackung keinerlei Bilder enthielt, die eine Irreführung begünstigten. Das OLG Köln (Urt. v. 18.1.2008, Az. 6 U 144/07) urteilte hingegen in einem ähnlichen Fall strenger.
Ein Blick auf das Zutatenverzeichnis würde zwar auch in diesem Fällen für Aufklärung sorgen. Aber auch hier könnte die eindeutige Aufmachung der Verpackung dem Verbraucher diesen Umweg überflüssig erscheinen lassen und wäre damit irreführend.
Die Autorin Linda Kulczynski ist Rechtsanwältin bei CBH Rechtsanwälte in Köln. Die Schwerpunkte ihrer anwaltlichen Tätigkeit liegen im Wettbewerbsrecht sowie dem Geschmacksmuster- und Lebensmittelkennzeichenrecht.
Der Autor Prof. Dr. Markus Ruttig ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner bei CBH Rechtsanwälte und Lehrbeauftragter für Urheber- und Medienrecht an der Hochschule Fresenius in Köln.
Markus Ruttig, EuGH zur "Himbeer-Vanille" - Produktverpackung: Was drauf steht, muss auch drin sein . In: Legal Tribune Online, 04.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15759/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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