EuGH-Anhörung zu Unternehmensmitbestimmung: Wie viel Europa muss sein?

von Till Wansleben

24.01.2017

Im Streit um die Europarechtskonformität des MitbestG konnten die Parteien am Dienstag vor dem EuGH Stellung nehmen. Till Wansleben war vor Ort. Er prognostiziert ein wegweisendes Urteil.

Wenn selbst die Satire-Sendung "Die Anstalt" über ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) berichtet, dann muss es sich um ein ernstes Thema handeln. Die Kernfrage in der Sache Erzberger lautet wie folgt:

Ist es mit primärem Unionsrecht vereinbar, dass nur in Deutschland tätige Arbeitnehmer ein Wahlrecht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat deutscher Gesellschaften haben? In anderen Mitgliedstaaten tätige Arbeitnehmer sind derzeit nämlich von der deutschen Unternehmensmitbestimmung ausgeschlossen. In Frage steht damit zwar nicht die unternehmerische Mitbestimmung als solche, aber immerhin die Ausgestaltung des Wahlsystems.

Am Dienstag fand nach dem schriftlichen Verfahren nunmehr der zweite Teil des ersten Aktes in Form der mündlichen Anhörung vor dem EuGH statt. Der Gerichtshof verhandelt den Fall in der Besetzung als Große Kammer. In dieser aus 15 Richtern bestehenden Besetzung verhandelt das Gericht, wenn es eine Rechtssache als besonders wichtig erachtet. Das unterstreicht die Bedeutung des Verfahrens ebenso wie der Umstand, dass neben der Bundesrepublik Deutschland auch die Mitgliedstaaten Frankreich, Luxemburg, Österreich und die Niederlande eine mündliche Stellungnahme abgegeben haben.

Der Streit um das Territorialitätsprinzip

Die rechtlichen Fronten dürfen geklärt sein. Während der Antragsteller Konrad Erzberger eine Europäisierung der Unternehmensmitbestimmung für rechtlich geboten hält, verteidigen die TUI AG als Antragsgegnerin, die Arbeitnehmervertreter in deren Aufsichtsrat und der Betriebsrat wie auch die Mitgliedstaaten selbst die Ausklammerung ausländischer Arbeitnehmer. Die EFTA-Überwachungsbehörde dagegen schlägt sich vollumfänglich auf die Seite Erzbergers.

Interessant war vor allem der mündliche Vortrag der Europäischen Kommission. In ihrer schriftlichen Stellungnahme hatte sie die Beschränkung des Wahlrechts allein auf im Inland tätige Arbeitnehmer noch als Verstoß gegen das Unionsrecht angesehen. Im mündlichen Vortrag hat sie sich nunmehr eine (politische) Hintertür offengehalten: Sollte eine Öffnung der Unternehmensmitbestimmung für ausländische Arbeitnehmer den Bestand der Mitbestimmung gefährden, könnte dies womöglich einen Verstoß rechtfertigen.

Großen Raum nahm bei den meisten Beteiligten wenig überraschend die Frage ein, ob ein nationaler Gesetzgeber überhaupt die Rechtsmacht habe, die Arbeitnehmer in anderen Mitgliedstaaten in sein Wahlsystem zu integrieren (sogenanntes Territorialitätsprinzip). Der Prozessvertreter des Antragstellers, Dr. Caspar Behme, und die Vertreterin der EFTA-Überwachungsbehörde unterstrichen noch einmal, dass es allein um die Mitbestimmung bei einer deutschen Gesellschaft und damit um deutsches Recht geht, das zwanglos der Kompetenz des inländischen Gesetzgebers unterfalle. Sie verwiesen dazu rechtsvergleichend insbesondere auf die Wahlsysteme der Mitbestimmung Norwegens und Dänemarks.

Als Einwand gegen eine Diskriminierung stützten sich die Verteidiger des geltenden Systems auf das bekannte Argument, dass sich die Nichteinbeziehung aus Unterschieden zwischen mitgliedstaatlichen Rechtordnungen ergeben würde. Dagegen wiederum wehrte sich insbesondere die Europäische Kommission mit dem Gegenargument, dass sich das auf die deutsche Muttergesellschaft anwendbare deutsche Gesellschaftsrecht nicht ändert, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb des Konzerns vom Inland (wahlberechtigt) ins Ausland (nicht wahlberechtigt) wechselt.

Zitiervorschlag

Till Wansleben, EuGH-Anhörung zu Unternehmensmitbestimmung: Wie viel Europa muss sein? . In: Legal Tribune Online, 24.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21880/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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