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EuGH verhandelt zur Vorratsdatenspeicherung: Wie­der­be­le­bungs­ver­suche vor Gericht

von Dr. Markus Sehl

06.09.2019

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© Sashkin - stock.adobe.com

Die deutsche Vorratsdatenspeicherung liegt auf Eis, eine Entscheidung des BVerfG wird erwartet. Die EU will das umstrittene Instrument wiederbeleben. Ab Montag hat der EuGH nun die Chance, seine Vorgaben von 2016 zu verfeinern.

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Wie oft schon wurde sie als Zombie bezeichnet, und doch ist sie wieder zurück in der Diskussion: die Vorratsdatenspeicherung. Das Bundeskriminalamt (BKA) kündigte an, im Kampf gegen Hasskriminalität auf das umstrittene Überwachungsinstrument setzen zu wollen – die Justizministerin Christine Lambrecht wies auf die anhängigen Klagen gegen das Instrument hin. Die Vorratsdatenspeicherung erlaubt es Strafverfolgungsbehörden, auf Internet- und Telefondaten zuzugreifen, die private Telekommunikationsanbieter zu diesem Zweck auf Vorrat bereithalten müssen.

Ob das deutsche Modell verfassungs- und europarechtskonform ist, ist höchstgerichtlich noch ungeklärt. Das 2015 eingeführte Gesetz zu "Mindestspeicherpflicht und Höchstspeicherdauer von Verkehrsdaten" sah eigentlich vor, dass die Vorratsdatenspeicherung ab 1. Juli 2017 beginnen sollte. Die Speicherpflicht liegt aber derzeit auf Eis, Telekommunikationsunternehmen müssen keine Verkehrsdaten auf Vorrat speichern. Beim Bundesverwaltungsgericht liegt dagegen eine Klage, und beim Bundesverfassungsgericht sind Beschwerden gegen das Gesetz anhängig. Die Verfassungsrichter haben die Beschwerdeführer Anfang 2018 darauf hingewiesen, dass es für das juristische Schicksal der Vorratsdatenspeicherung neben dem Grundgesetz als Maßstab insbesondere auf die Vorgaben aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ankommen dürfte.

Nun ist es soweit, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg wird sich noch einmal mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigen. Und es wird eine Verhandlung mit besonderer Dimension werden. Am Montag verhandelt die mit 15 Richtern besetzte Große Kammer, für Dienstag ist in der Rechtssache C-623/17 u.a. noch ein weiterer Verhandlungstag angesetzt.

Großbritannien: Anlasslose Massenüberwachung für die nationale Sicherheit notwendig

Insgesamt geht es um drei Vorlagen aus Großbritannien, Frankreich und Belgien. Die Beschwerden richten sich gegen verschiedene Aspekte der im Prinzip gleichen Überwachungspraxis: Polizei- und Nachrichtendienste verlangen von privaten Telekommunikationsanbietern, dass sie Internet- und Telefondaten ihrer Nutzerden Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellen.

In dem Fall aus Großbritannien beschwerte sich eine NGO über die Datensammel- und Abfragepraxis britischer Sicherheitsbehörden. Die gespeicherten Daten umfassen das "Wer, Wann, Wo, Wie und mit Wem" der Kommunikation, nicht aber den Inhalt. Zuständig für Beschwerden gegen staatliche Überwachungsmaßnahmen in Großbritannien ist eine eigens dafür geschaffene Justizbehörde, das sogenannte Investigatory Powers Tribunal. Das hat dem EuGH vorgelegt und möchte wissen, ob das britische Modell in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und der e-Datenschutzrichtlinie (2002/58/EC) fällt. Mit der Vorlagefrage wird betont, dass die anlasslose Massenüberwachung für die nationale Sicherheit essenziell sei, um terroristische Bedrohungen abwehren zu können.

In einer Grundsatzentscheidung zur Vorratsdatenspeicherung hatte der EuGH 2016 entschieden, dass eine allgemeine und anlasslose Speicherung von Daten unzulässig sei. Ihr stehe die e-Datenschutzrichtlinie in ihrer Interpretation nach der EU-Grundrechtecharta entgegen. Ausnahmen könnten die Mitgliedstaaten vorsehen, der EuGH beschränkte diese Möglichkeit aber auf die Bekämpfung schwerer Straftaten. Schon die Speicherung sei auf das unbedingt Notwendige zu begrenzen, der Zugang der Sicherheitsbehörden in den Ausnahmefällen von einer gerichtlichen Kontrolle abhängig zu machen.

Gefährdet EuGH-Rechtsprechung die nationale Sicherheit?

Die Vorlage aus Großbritannien verweist auf die Rechtsprechung ihrer nationalen Gerichte. Diese seien zu dem Ergebnis gekommen, dass eine strenge Umsetzung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung die nationale Sicherheit aufs Spiel setzen würde. Das nun angegriffene britische Modell sieht vor, dass private Telekommunikationsdienstleister massenhaft Daten an die Sicherheitsbehörden weiterleiten, die dann diese Datenbestände in behördlicher Eigenregie durchsuchen können. Die in Großbritannienklagende NGO argumentiert, dass das große Ähnlichkeit mit der klassischen Vorratsdatenspeicherung habe, wie sie den EuGH 2016 beschäftigt hat.

Die britischen Behörden verfolgen mit der Vorlage offenbar das Ziel, vom EuGH klären zu lassen, ob eines ihrer Kerninstrumente der Geheimdienstarbeit und zur Terrorabwehr europarechtlich Bestand haben kann.

Sollte die praktizierte Vorratsdatenspeicherung zur Terrorismusabwehr durch die Behörden unter die e-Datenschutzrichtlinie fallen, fragt das Investigatory Powers Tribunal mit seiner Vorlage weiter, ob die 2016 vom EuGH aufgestellten Anforderungen anwendbar sind.

Die Vorratsdatenspeicherung in der EU: in Kraft, auf Eis, abgeschafft

In der Vorlage aus Frankreich geht es um die Frage, ob die den privaten Anbieter auferlegte Speicherpflicht durch eine ernste und anhaltende Bedrohung der nationalen Sicherheit gerechtfertigt werden kann. Maßnahmen insbesondere zur Terrorismusabwehr könnten durch die in der EU-Grundrechtecharta garantierten Sicherheitsrechte und Erfordernisse der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein, so die Fragerichtung des vorlegenden Conseil d'État, dem oberstenfranzösischen Verwaltungsgericht.

In Belgien hat unter anderen eine Rechtsanwaltskammer gegen die belgische Gesetzesvariante der Vorratsdatenspeicherung beim Verfassungsgerichtshof geklagt. Das Gesetz aus 2016 erlegt Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste eine allgemeine Verpflichtung auf, Verkehrs- und Standortdaten der Nutzer während bestimmter Zeiträume auf Vorrat zu speichern und regelt den Zugriff von Strafverfolgern und Nachrichtendiensten.

Der Status der Vorratsdatenspeicherung in den europäischen Staaten ist unterschiedlich, in einigen Ländern ist sie in Kraft, in anderen wie in Deutschland auf Eis gelegt, in manchen komplett abgeschafft. Ein geleaktes internes Papier des Generalsekretariats des EU-Rats aus Anfang 2019 gibt einen Überblick über Status und laufende Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten.

Kommt die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung?

Auch die deutschen Gerichte werden die Verfahren vor dem EuGH mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Die aktuellen Beschwerdeverfahren erlauben es den Luxemburger Richtern, ihre Maßstäbe nochmal zu verfeinern.

Dass die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland auf Eis liegt, dafür hatte maßgeblich die Rechtsprechung des EuGH 2016 gesorgt. Daraufhin entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster 2017, die pauschale Speicherpflicht widerspreche den EuGH-Vorgaben zum Datenschutz. Im Anschluss an die Entscheidung setzte die zuständige Bundesnetzagentur die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung für Telekommunikationsanbieter aus. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln hat mit einer Entscheidung aus 2018 die Deutsche Telekom von der Speicherpflicht befreit.

Seitdem liegt das Instrument brach, auf eine abschließende Klärung wird gewartet. Im Entscheidungsplan des BVerfG ist die Vorratsdatenspeicherung für dieses Jahr angesetzt. Ob die Karlsruher Richter aber noch 2019 oder früh im kommenden Jahr eine Entscheidung in der Sache treffen werden, darf man bezweifeln.

Dem Verfahren vor dem EuGH ist viel Aufmerksamkeit aus allen Mitgliedstaaten auch deshalb gewiss, weil ungeachtet des rechtlichen Schicksals der bisherigen Modelledie europäische Suche nach einer tragfähigen Vorratsdatenspeicherung andauert. Die Justizminister der EU-Länder habendie EU-Kommission in Brüssel beauftragt, eine neue Lösung zu finden.

Dazu soll bis Ende 2019 eine "umfassende Studie" durchgeführt werden. Die Idee: Statt einer pauschalen Speicherpflicht sollen mit breitem Ansatz spezifische Daten aufgelistet werden, deren Speicherung sich Strafverfolger von den Anbietern wünschen. Neben den klassischen Providern könnten dann nach den Plänen auch Social-Media-Anbieter wie z.B. Facebook zur Speicherung auf Vorrat verpflichtet werden. Wo die europarechtlichen Grenzen für die Pläne liegen werden, könnte sich ab der kommenden Woche zeigen.

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EuGH verhandelt zur Vorratsdatenspeicherung: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37503 (abgerufen am: 10.11.2025 )

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