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EuGH zur Etikettierung von Obst und Gemüse: Nie­der­län­di­sche Pilze "Made in Ger­many"

Gastbeitrag von Dr. Jonas Kiefer

05.09.2019

Champignons auf einem Holztisch

© pilipphoto - stock.adobe.com

Pilze, die in den Niederlanden gezüchtet werden, dürfen als deutsche Ware feilgeboten werden – so lässt sich die gestrige EuGH-Entscheidung zugespitzt zusammenfassen. Das Ergebnis und mögliche Konsequenzen erläutert Jonas Kiefer.

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Ein Produzent von Champignons züchtet in den Niederlanden Pilze in sogenannten Kulturkisten. Kurz vor der Ernte transportiert er sie über die deutsche Grenze. Auf der Supermarkt-Verpackung findet sich die Aufschrift "Ursprungsland: Deutschland".

Was nach Verbraucherirreführung klingt, steht nach einem gestern verkündeten Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Einklang mit dem EU-Recht, Urt. v. 04.09.2019, Az. C-686/17. Mit seiner Entscheidung setzt der EuGH einen vorläufigen Schlusspunkt unter einen jahrelangen Rechtsstreit zwischen der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e.V. (Wettbewerbszentrale) und einem Pilz-Produzenten.

Die Wettbewerbszentrale beanstandete besagte Etikettierung als irreführend mit dem Argument, dass alle wesentlichen Produktionsschritte außerhalb Deutschlands erfolgen würden. Vor dem Landgericht (LG) Ulm klagte sie auf Unterlassung – und unterlag (Urt. v. 10.04.2015, Az. 11 O 19/14). Das Gericht verwies in seiner Begründung auf das EU-Agrarrecht, namentlich Art. 76 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 bzw. dessen Vorgängerregelung, wonach die Angabe des Ursprungslandes bei Obst und Gemüse verpflichtend ist. Für die Bestimmung des Ursprungs sei hiernach der Ernteort maßgeblich. Die Angabe "Ursprungsland: Deutschland" sei demnach rechtmäßig.

OLG Stuttgart: Gesetzgeber hat Pflicht zur Verbrauchertäuschung angeordnet

Auch mit ihrer Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte die Wettbewerbszentrale keinen Erfolg (Urt. v. 10.03.2016, Az. 2 U 63/15). Doch obwohl das Berufungsgericht die Etikettierung ebenfalls für rechtmäßig befand, ließ es anklingen, dass die zugrundeliegende Rechtslage zu einem paradoxen und unbefriedigenden Ergebnis führe. So formulierte das OLG Stuttgart fast zynisch, der europäische Gesetzgeber habe in Fällen grenzüberschreitender Produktionsprozesse eine Täuschung des Verbrauchers angeordnet. Ob die Gründe hierfür überzeugend seien, habe der Senat nicht zu entscheiden.

Gegen das Urteil des OLG Stuttgart zog die Wettbewerbszentrale vor den Bundesgerichtshof (BGH), der das Verfahren angesichts der Uneindeutigkeit der maßgeblichen EU-Vorschriften aussetzte und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorlegte (Beschluss v. 21.09.2017, Az. I ZR 74/16). Der Gerichtshof hatte nun unter anderem zu klären, ob es bei der Bestimmung des "Ursprungslandes" auch dann auf den Erntevorgang ankommen kann, wenn wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedsstaaten erfolgen.

Die Antwort auf diese Frage ist im europäischen Zollrecht zu suchen. Auf dieses verweist das Agrarrecht im Zusammenhang mit der Ursprungsbestimmung. Konkret stellte sich ein Auslegungsproblem: Ist der Begriff "geerntet" im Sinne von Art. 23 Abs. 2 b Verordnung (EWG) 2913/92 (sog. Zollkodex, nunmehr abgelöst durch den Unionszollkodex) zwingend im Wortsinne zu verstehen oder ist er einer abweichenden teleologischen bzw. historischen Auslegung zugänglich?

Im Verfahren brachte die Wettbewerbszentrale vor, der EU-Gesetzgeber habe bei Erlass der Norm nicht im Blick gehabt, dass ein Auseinanderfallen von Aufzucht- und Ernteort im Rahmen künftiger Anbaumethoden möglich werden könnte. Die Vorschrift gründe daher auf der Prämisse, dass eine Aufzucht und Ernte nur an einem Ort und damit nur innerhalb der Grenzen eines Mitgliedsstaates erfolge. Im Rahmen der Auslegung könne daher nicht nur auf den Erntevorgang abgestellt werden.

EuGH-Generalanwalt erkennt keine Verbraucherirreführung

Weiterhin begehrte der BGH die Klärung des Anwendungsverhältnisses zwischen den Irreführungsverboten des Lebensmittelrechts einerseits (u.a. Art. 7 der Lebensmittelinformationsverordnung, kurz LMIV) und den vorgenannten produktspezifischen Kennzeichnungsregeln des EU-Agrarrechts andererseits. Dahinter steht die Frage, ob eine Etikettierung den Verbraucher im Rechtssinne irreführen kann, wenn gleichzeitig das EU-Agrarrecht eine solche Etikettierung vorschreibt.

Der Generalanwalt am EuGH führte in seinen Schlussanträgen aus, der Wortlaut der zollrechtlichen Vorschrift stelle unmissverständlich allein auf den Ernteort ab. Vorangehende Produktionsschritte seien danach irrelevant. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH zu erkennen gegeben hat, dass sie die "grenzüberschreitende" Produktion von Gemüse beim Abfassen der Vorschrift nicht berücksichtigt hatte.

In Bezug auf das Anwendungsverhältnis kam der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass die zur Ursprungsangabe verpflichtenden Agrarregelungen dem lebensmittelrechtlichen Irreführungsverbot (Art. 7 LMIV) als speziellere Vorschriften vorgehen. Daraus folge, dass die Angabe "Ursprungsland: Deutschland" im vorliegenden Fall nicht als verbraucherirreführend im Sinne der LMIV qualifiziert werden könne.

Ob es in tatsächlicher Hinsicht zur Täuschung von Verbrauchern kommt, ist nach Auffassung des Generalanwalts irrelevant. Ihm zufolge ist nämlich mit dem Vorrang der produktspezifischen Regelungen des EU-Agrarrechts eine normative Wertung verbunden, wonach eine tatbestandliche Irreführung ausscheidet. Die durch eine entsprechende Etikettierung verursachte Fehlvorstellung von Verbrauchern ist also aus juristischer Sicht unerheblich.

EuGH hält Gesetzeswortlaut für eindeutig

Der EuGH hat sich den Anträgen des Generalanwalts gestern angeschlossen. Er hält den Wortlaut der Zollvorschriften ebenfalls für zwingend und betont, dass es nicht darauf ankomme, ob das Gemüse erst drei, zwei oder auch nur einen Tag vor der Ernte nach Deutschland verbracht werde. Solange die Ernte innerhalb der Grenzen Deutschlands erfolge, sei dieses auch als "Ursprungsland" zu qualifizieren.

Im Zusammenhang mit dem Anwendungsverhältnis spricht der Gerichtshof zwar nicht von einem Vorrang kraft Spezialität, kommt aber letztlich zu demselben Ergebnis wie der Generalanwalt: Eine Angabe, die nach dem EU-Agrarrecht zulässig sei, könne nicht den Tatbestand der Irreführung erfüllen.

Weiterhin stellt der EuGH klar, dass der Hersteller bzw. Etikettierer auch nicht verpflichtet werden dürfe, klarstellende Angaben zu machen. Der tatsächlichen Irreführung von Verbrauchern kann damit auch nicht durch einen obligatorischen Hinweis auf einen vom "Ursprungsland" abweichenden Anbau- bzw. Aufzuchtort entgegengewirkt werden.

Rechtsanwältin: "Entscheidung schafft dennoch Klarheit"

Hanna Gempp, Syndikusrechtsanwältin für den Bereich Lebensmittel und Geschäftsführungsmitglied der Wettbewerbszentrale, sieht das Urteil erwartungsgemäß kritisch: "Das Urteil passt nicht zu den Bemühungen des europäischen Gesetzgebers, dem Verbraucher durch eine transparente Lebensmittelkennzeichnung eine informierte Entscheidung zu ermöglichen. Dennoch schafft die Entscheidung für alle Lebensmittelunternehmer, die Obst oder Gemüse in den Markt bringen wollen, Klarheit."

Nach der Vorabentscheidung des EuGH dürfte der Fortgang des deutschen Verfahrens vorgezeichnet sein: Es ist zu erwarten, dass der BGH den Ausführungen aus Luxemburg folgt und die Revision der Wettbewerbszentrale zurückweist.

Für die Etikettierungspraxis heißt das: Auf der Verpackung von Obst und Gemüse ist zwingend jener Mitgliedsstaat anzugeben, in dem es geerntet wurde – und zwar auch dann, wenn alle vorangehenden Produktionsschritte in einem anderen Land erfolgt sind.

Ein denkbares Szenario dürfte demnach sein, dass künftig Obst- oder Gemüsesorten – soweit technisch möglich – in einem Land herangezogen und anschließend in verschiedenen Mitgliedsstaaten jeweils als "lokales" Produkt vermarktet werden. Ob eine solche Etikettierungspraxis und die damit verbundenen Widersprüche zu den Zielsetzungen des Verbraucherschutzrechts hinzunehmen sind, bleibt letztlich eine (rechts)politische Frage, die in Brüssel beantwortet werden muss.

Dr. Jonas Kiefer ist Rechtsreferendar am Oberlandesgericht Frankfurt am Main und publiziert regelmäßig zu lebensmittelrechtlichen Themen. In seiner Promotionsschrift hat er sich mit dem Recht der Lebensmitteletikettierung und Herkunftskennzeichnung auseinandergesetzt.

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EuGH zur Etikettierung von Obst und Gemüse: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37461 (abgerufen am: 15.11.2025 )

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