EU-Parlament verabschiedet Richtlinie zum Geheimnisschutz: Trom­meln gegen ein Gespenst

von David Ziegelmayer

14.04.2016

Whistleblower, Journalisten und Netzaktivisten laufen Sturm: die heute verabschiedete EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen gefährde die Meinungsfreiheit. Angebracht ist die Aufregung nicht, meint David Ziegelmayer.

Whistleblower wie Edward Snowden und Plattformen wie Wikileaks haben unsere Vorstellungen vom richtigen und falschen Umgang mit anderer Leute Geheimnissen offensichtlich verändert. Oft wird bereits das Konzept der Geheimhaltung schlechthin als irgendwie anrüchig und zwielichtig empfunden. Nicht erst seit den Panama Papers glauben viele, dass es derzeit legal sei, Geheimnisse von Personen und Unternehmen öffentlich zu machen. Und als hätte der Teufel das Drehbuch geschrieben, wird im EU-Parlament heute, nur einige Tage nach dieser letzten großen Enthüllung, eine als Anti-Whistleblower-Gesetz verschriene Richtlinie verabschiedet.

Obwohl die Richtlinie nach dem so genannten "Trilog" der Europäischen Institutionen schon beschlossene Sache war, versuchten die Grünen in der vergangenen Woche, das Projekt noch zu stoppen. Auch Bürgerrechtler machten mobil: Mit Gratisanrufen wurde zum Massenprotest gegen das Vorhaben aufgerufen. Die Richtlinie wurde heute trotzdem mit 503 zu 131 Stimmen bei 18 Enthaltungen angenommen.

Richtlinie soll Industriespionage vorbeugen

Will die EU als Reaktion auf die Enthüllungen nun Pressefreiheit und Whistleblowing weiter zurückdrängen und Arbeitnehmer in Schadensersatzprozesse verwickeln, wie etwa Netzpolitik.org suggeriert? Vorsichtig ausgedrückt: Diese These liegt weit neben der Spur.

Die heute im Parlament verabschiedete Richtlinie "über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen" (2013/0402 (COD)), über deren Entwurf seit Jahren diskutiert wird, dient einem völlig anderen Ziel – allerdings einem, das sich weniger gut zu Empörung eignet und medial überhaupt nicht mehr diskutiert wird: Es geht darum, Industriespionage einzudämmen und Innovationen zu schützen.

Das zersplitterte Recht innerhalb der EU gewährleistete bislang keinen einheitlichen Standard. So geht beispielsweise die europäische chemische Industrie, die sich in hohem Maße auf durch Geschäftsgeheimnisse gesicherte Prozessinnovationen stützt, davon aus, dass eine rechtswidrige Aneignung von Geschäftsgeheimnissen mitunter einen Umsatzrückgang von bis zu 30 % bewirken kann. Nun kann man Zahlen – die auch noch aus der Industrie selbst geliefert werden –  in Frage stellen. Der Umstand, dass es unlauteren Abfluss von Know-how gibt und dies den Wettbewerb auch zu Lasten kleinerer Unternehmen und Startups verzerrt, lässt sich dagegen nicht wegdiskutieren.

Zivilprozesse um "Ideendiebstahl" und handfeste Straftaten im Hinblick auf Geheimnisverwertung im Wettbewerb nehmen daher auch in Deutschland zu und haben mit dem Phänomen des Whistleblowings zunächst einmal nichts zu tun. Sie dienen nicht der Aufklärung der Öffentlichkeit, sondern dazu, Mitbewerber auszustechen oder sich als Arbeitnehmer selbst einen Vorteil zu verschaffen.

"Erfahrungswissen" darf weitergegeben werden

Wenn Aktivisten diesen Zweck nicht gelten lassen wollen und die Meinungsfreiheit bedroht sehen, können sie das natürlich äußern. Allerdings müssen sie auch lauter bleiben und sich den Entwurf und die Rechtslage in Deutschland ansehen. Ein kleiner Faktencheck:

Die etwa von Netzpoltik.org aufgestellte Behauptung, wonach von Arbeitnehmern erworbene spezielle Fachkenntnisse dem Geheimnisschutz unterliegen mit der Folge, "dass der Arbeitnehmer auf Schadensersatz verklagt werden kann, wenn er seine zuvor erworbenen Fachkentnisse bei einem neuen Arbeitgeber verwendet", ist Unsinn. Denn "Erfahrungswissen" soll schon aus der Definition des Geschäftsgeheimnisses fallen, wie Erwägungsgrund 8 der Richtlinie klarstellt:

"Ihrem Wesen nach sollte eine solche Definition keine belanglosen Informationen enthalten und auch nicht das Wissen und die Qualifikationen einschließen, die Beschäftigte im Zuge der Ausübung ihrer üblichen Tätigkeiten erwerben …."

Eine weitere Fehlinformation ist die Behauptung, dass Beschäftigte, die sich als "Whistleblower" betätigen, "zunächst in jedem Fall belangt" werden könnten.

Whistleblower ausdrücklich nicht betroffen

Auch hier folgt Gegenteiliges aus den Erwägungsgründen der Richtlinie, die Gesetzgeber und Gerichte beachten müssen:

"Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen (…) sollten nicht dazu dienen, die Meldung von Missständen einzuschränken. Daher sollte sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken, in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit dem öffentlichen Interesse dient, als ein ordnungswidriges Verhalten oder eine strafbare Handlung aufgedeckt wird."

Noch erstaunlicher sind die Behauptungen dazu, dass die EU-Richtlinie die Rechtslage in Deutschland für Whistleblower und Journalisten verschärfen werde. Tatsächlich gehen Juristen davon aus, dass Unternehmen nun in der Pflicht sind, mehr für ihren Geheimnisschutz zu tun. Die Situation von "Whistleblowern" ändert sich hierzulande nicht: Denn auch bisher konnten Unternehmen entscheiden, welche Informationen Geschäftsgeheimnisse sind und welche nicht. Und auch bisher ist es über § 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) möglich, den rechtswidrigen Geheimnisverrat und die Verwertung sensibler Informationen zu verfolgen.

Aus demselben Grund wurden auch nicht alle "Panama Papers" veröffentlicht. Der Rechtsanwalt Arno Lampmann weist in seinem Blog zu Recht darauf hin, dass der neudeutsche Begriff des "Leaks" verniedlicht, dass etwa im Falle der "Panama Papers" die Daten von den Servern der Kanzlei unbefugt entwendet wurden.

All dies zeigt, dass Desinformation nicht immer nur von Regierungen und Lobbyisten ausgehen, sondern auch Aktivisten mitunter falsch informieren. Dahinter steckt wohl ein anderes Problem, was unzutreffende Information allerdings nicht rechtfertigt: Man traut dem Text nicht, der dort steht.

Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Köln. Er ist als Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert auf den Schutz von Know-how- und Reputation von Unternehmen. Gemeinsam mit Kollegen hat er vor dem Hintergrund der Richtlinie eine Online-Risikoanalyse zum Know-How-Schutz für Unternehmen erarbeitet (www.know-how-protect.de)

Zitiervorschlag

David Ziegelmayer, EU-Parlament verabschiedet Richtlinie zum Geheimnisschutz: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19084 (abgerufen am: 16.10.2024 )

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