Bahnchef Grube verlangt von Brüssel eine gesetzgeberische Initiative, um sein integriertes Holdingmodell, die Kontrolle von Schienennetz und Transport aus einer Hand, zu verteidigen. Damit versucht er, eine aktuelle Entwicklung um 180 Grad zu seinen Gunsten drehen. Seine Chancen dafür stehen nicht schlecht, sagt Anselm Grün.
Das integrierte Modell der Deutschen Bahn wird derzeit von zwei Seiten aus angegriffen, nämlich vor dem EuGH und durch den europäischen Gesetzgeber. Bahnchef Grube geht nun einen mutigen Schritt und fordert den EU-Gesetzgeber auf, statt des bisherigen Ansatzes einer noch stärkeren Trennung von Schiene und Verkehr, vielmehr eine weitere Integration zu ermöglichen. Hat er damit Erfolg, könnte sich damit auch das von der Kommission angestrebte EuGH-Urteil erledigen.
Das integrierte Modell ist nicht auf Anhieb jedem verständlich: Die Holdinggesellschaft Deutsche Bahn AG ist sowohl alleinige Gesellschafterin der Betreiberin des bundesweiten Schienenetzes, der DB Netz AG, als auch der Zwischenholding DB Mobility Logistics AG. Diese hält ihrerseits sämtliche Anteile an wichtigen Eisenbahnverkehrsunternehmen wie der DB Schenker Rail GmbH im Güterverkehr oder, im Personenverkehr, der DB Regio AG und der DB Fernverkehr AG.
Aber auch nach einer möglichen Öffnung der DB Mobility Logistics AG für privates Kapital, zu deren Zweck diese Zwischenholding 2008 extra gegründet wurde, würde die Deutsche Bahn AG eine kontrollierende Mehrheit behalten. Während also die Züge der DB Mobility Logistics AG im Wettbewerb zu anderen Anbietern ihre Leistung anbieten, bestimmt die DB Netz AG die Bedingungen der Nutzung des Schienennetzes. Und über beiden steht kontrollierend die Holdinggesellschaft.
Wenig Gefahr von Seiten des EuGH
Die Europäische Kommission sieht in dem aktuellen Modell der Deutschen Bahn einen Verstoß gegen geltendes Recht und hat die Bundesrepublik deshalb vor dem EuGH verklagt (Rs. C-556/10).
Entscheidungsrelevant werden Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG und Art. 4 Abs. 2 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG, der sogenannten "Fahrwegrichtlinie" sein. Die Fahrwegrichtlinie ist eine von drei Richtlinien des sogenannten "ersten Eisenbahnpakets", mit dem die Öffnung der Schienenwege in Europa vorangebracht werden sollte. Danach müssen netzzugangsrelevante Maßnahmen wie die Zuweisung von Trassen und Entscheidungen über die Trassenentgelte (die sogenannten "wesentlichen Funktionen") von einer Stelle vorgenommen werden, die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Unternehmen, die selbst Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen, unabhängig sind.
Zwar wäre das Holdingmodell der Deutschen Bahn damit grundsätzlich vereinbar. Eine eigentumsrechtliche Trennung schreiben die Richtlinien nämlich gerade nicht vor. Das Problem ist nur, dass die DB Netz AG die "wesentlichen Funktionen" selbst ausübt, anstatt sie auf eine externe und wirklich unabhängige Stelle zu übertragen. Die Kommission würde aber selbst die Beibehaltung der „wesentlichen Funktionen“ bei der DB Netz AG akzeptieren, wenn gesetzlich sichergestellt wird, dass die Holding insoweit keinen Einfluss auf die DB Netz AG ausüben kann.
Aus diesem Grund verlangt die Kommission vom deutschen Gesetzgeber, gesetzlich verankerte Sicherungen gegen eine solche Einflussnahme aufzustellen. Dazu gehört etwa das Verbot eines Doppelmandats im Vorstand der Holding und der Netzgesellschaft, die Einführung eines Übergangszeitraums, während dem leitende Angestellte der Netzgesellschaft keine leitenden Positionen in der Holding oder den Transportgesellschaften einnehmen dürfen und Maßnahmen gegen jeden Informationsaustausch zwischen beiden Bereichen.
Würde Deutschland in dieser Klage unterliegen, müssten entweder die geforderten Sicherungen gesetzlich vorgesehen oder die "wesentlichen Funktionen" von der DB Netz AG auf eine neutrale Stelle verlagert werden. Diese könnten eine staatliche Trassenagentur wahrnehmen. Formelle Sicherungen dürften ohnehin Teil des zur Zeit von der Bundesregierung geplanten Eisenbahnregulierungsgesetzes werden, die Einrichtung einer staatlichen Stelle war sogar bereits einmal Gegenstand eines Gesetzesentwurfs. Keine dieser Maßnahmen würden das Holdingmodell tiefgreifend treffen.
Die Bahn muss eher den "Recast" fürchten
Der zweite, und für das Holdingmodell potentiell deutlich "gefährlichere" Angriff kommt vom Europäischen Gesetzgeber selbst.
Am letzten Mittwoch hat das Europäische Parlament auf Initiative der Kommission mit breiter Mehrheit eine Version des "Recast" des „ersten Eisenbahnpakets“ angenommen. Die geplante Zusammenführung der einzelnen Regelwerke sieht unter anderem vor, dass Einnahmen aus der Schieneninfrastruktur nicht in Verkehrsunternehmen oder andere Einheiten der Holding fließen dürfen. Zudem wird die Kommission beauftragt, bis Ende 2012 weitreichende Vorschläge für eine Trennung von Netz und Betrieb vorzulegen. Nicht auszuschließen ist, dass am Ende die Gewinne der DB Netz AG, die seit einigen Jahren deutlich steigen und bald die Milliarden-Euro-Grenze erreichen dürften, nicht mehr in die von der Holding AG an den Bund auszuschüttenden Dividende einfließen können.
Und genau dies dürfte für Grube der Anlass für seinen Vorstoß gewesen sein. Für seine Position dürfte er nicht nur die Haushaltspolitiker und die der Staatsbahn freundlich gesonnenen Verkehrspolitiker Deutschlands, sondern auch anderer Staaten gewinnen. Es wird sich zeigen, ob sich am Ende diese oder die wettbewerbsorientierten Ordnungspolitiker durchsetzen werden.
Dr. Anselm Grün ist Rechtanwalt in Berlin und Partner der Sozietät Orth Kluth Rechtsanwälte.
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EU-Pläne zum Schienennetz: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4884 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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