Nach dem Lissabon-Vertrag ist für die Regulierung des internationalen Investitionsschutzes allein die EU zuständig. Das wirft Fragen auf, etwa ob die einschlägigen bilateralen Verträge der Mitgliedstaaten in Kraft bleiben können. Dazu lässt der neueste Beschluss des Europäischen Parlaments einen Schutzverlust für Investoren befürchten. Von Ralph Alexander Lorz.
Der Vertrag von Lissabon hat neben den allgemein zur Kenntnis genommenen institutionellen Veränderungen der Europäischen Union (EU) eine Reihe weniger beachteter Modifikationen und Kompetenzverschiebungen mit sich gebracht. Zu diesen Verschiebungen zählt die Tatsache, dass der Abschluß von Abkommen über ausländische Direktinvestitionen als ausschließliche Kompetenz auf die Union übergegangen ist.
Bisher basiert der rechtliche Schutz internationaler Investitionen im Wesentlichen auf einem dichten Netzwerk bilateraler Investitionsschutzverträge (BITs). Deutschland hat dieses System gewissermaßen erfunden (der erste BIT wurde 1959 zwischen Deutschland und Pakistan abgeschlossen) und unterhält bis heute die meisten BITs aller Staaten dieser Welt. Es hat daher und wegen seiner besonders starken Stellung als Kapitalexporteur im Falle einer unvorteilhaften Ausübung der neuen Unionskompetenz am meisten zu verlieren.
BITs schützen typischerweise gegen diskriminierende oder anderweitig unfaire Behandlung eines Investors durch den Gaststaat, insbesondere gegen Maßnahmen mit enteignender Wirkung, gewährleisten Schutz und Sicherheit für die Investition und garantieren den freien Verkehr von Kapitalerträgen. Vor allem aber enthalten die meisten dieser Verträge eine Schiedsklausel, die es Investoren ermöglicht, ihren Gaststaat unmittelbar vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen, wenn diese Garantien nicht eingehalten werden.
Verlust des Investitionsschutzes droht vor allem deutschen Firmen
Die Kommission hat inzwischen einen Verordnungsentwurf (COM (2010) 344) vorgelegt, der die vorübergehende Weitergeltung dieser von EU-Mitgliedstaaten abgeschlossenen Verträge absichern soll. Sie will jedoch für sich selbst die Befugnis schaffen, eine Beendigung solcher Verträge zu erzwingen, sollten sie mit Unionsrecht oder mit der Entwicklung und Umsetzung einer neuen EU-Investitionspolitik kollidieren.
Schon diese Befugnis ist außerordentlich heikel. Man muss dazu wissen, dass der Europäische Gerichtshof die in den meisten BITs enthaltenen Bestimmungen zum freien Kapitaltransfer deswegen für unvereinbar mit EU-Recht hält, weil sie der - hypothetischen – Möglichkeit der Union zur Einführung von Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs ein Hindernis entgegensetzen. Nimmt man hinzu, dass die Kommission die Kündigung von BITs allein schon deswegen erzwingen könnte, weil sie in Neuverhandlungen mit dem entsprechenden Drittstaat eine andere Investitionspolitik durchsetzen möchte, so könnte die Kommission auf der Basis dieser Verordnung praktisch jeden BIT eines Mitgliedstaates nach Belieben beenden.
Soweit das geschähe, ohne dass ein neuer Vertrag der Union die bilateralen Abkommen mit dem Drittstaat ersetzt, würden die Investoren aus solchen Staaten, die bereits Abkommen mit diesem Staat unterhalten, ihren bisherigen rechtlichen Schutz verlieren. Das würde rein zahlenmäßig in erster Linie deutsche Firmen treffen. Man darf sich daher nicht wundern, dass zahlreiche Investoren mit Sorge auf die weiteren Entwicklungen innerhalb der Union blicken.
Investoren sollen innerstaatlichen Rechtsweg ausschöpfen
Aber auch die Aussicht auf den Abschluss neuer Investitionsschutzverträge der Union mit Drittstaaten, die dann an die Stelle der alten BITs treten könnten, ist derzeit nicht dazu angetan, Investoren ruhiger schlafen zu lassen. Denn von der Formulierung eines europäischen Modellvertrags für diese Zwecke sind wir noch weit entfernt. Vor allem aber weckt der jüngste Beschluss des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 (2010/2203(INI)) Zweifel daran, ob die Union das existierende Schutzniveau für Investoren tatsächlich beibehalten will.
Zwar versichert der Beschluss, daß der Schutz europäischer Investoren die erste Priorität der EU-Investitionspolitik bleiben muss – doch ihre weiteren Inhalte relativieren diese Aussage erheblich. So betont das Parlament ausdrücklich, wie wichtig es sei, den Staaten die Möglichkeit regulatorischen Eingreifens insbesondere zur Gewährleistung von Sozial- und Umweltstandards, aber auch zur Durchsetzung industrie- und kulturpolitischer Ziele zu erhalten. Darüber hinaus wird eine grundlegende Reform des Streitbeilegungsmechanismus gefordert. Vor allem sollen Investoren doch wieder erst den innerstaatlichen Rechtsweg ausschöpfen müssen, bevor sie sich an ein internationales Schiedsgericht wenden können.
Die öffentlichen Verlautbarungen des zuständigen Berichterstatters lassen die wahre Motivation hinter diesen Vorschlägen erkennen. Es gehe um eine neue, "progressive" EU-Investitionspolitik, die Schluss mache mit der einseitigen Bevorzugung der Interessen von Investoren und mit der Möglichkeit für private Unternehmen, Staaten zu verklagen und sich gegen ihre Sozial- und Umweltgesetzgebung zu wenden.
Sollte diese Position zur Leitlinie der neuen EU-Investitionspolitik werden, würde für europäische Investoren von dem existierenden BIT-Schutzniveau nicht mehr viel übrigbleiben. Gerade die im Ausland engagierten deutschen Firmen und die Bundesregierung sollten den weiteren Entscheidungsprozess innerhalb der Union daher sehr engagiert und kritisch begleiten.
Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
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Ralph Alexander Lorz, EU-Parlament zur künftigen Investitionspolitik: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3041 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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