Druckversion
Sonntag, 4.06.2023, 12:04 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/eu-parlament-wahl-wahlrecht-aenderung-kleinstparteien-sperrklausel-bverfg/
Fenster schließen
Artikel drucken
28821

EU-Wahlrechtsänderung nicht rechtzeitig beschlossen: Bleibt "Die Partei" in Brüssel?

28.05.2018

Stimmabgabe

© Christian Schwier - stock.adobe.com

Wenn es nach der Bundesregierung geht, kommen Kleinstparteien bald nicht mehr ins EU-Parlament. Weil aber die europäischen Partner nicht so recht mitmachten, haben sie zumindest bei der kommenden Wahl wohl noch Chancen.

Anzeige

Deutsche Kleinstparteien wie die Piraten und die NPD werden aller Voraussicht nach auch bei der Europawahl 2019 Chancen auf einen Einzug ins Europaparlament haben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur scheiterte die Bundesregierung mit dem Vorhaben, über die EU rechtzeitig eine neue Sperrklausel beschließen zu lassen. Sie sollte dafür sorgen, dass bei der Wahl im kommenden Jahr deutsche Parteien mit einem niedrigen einstelligen Wahlergebnis keinen Sitz im Europaparlament bekommen.

Vermutlich dürfte die Sperrklausel zwar doch noch beschlossen werden. Eine Umsetzung für die Wahl am 26. Mai 2019 würde dann aber gegen den europäischen Verhaltenskodex für Wahlen verstoßen. Die Leitlinien der sogenannten Venedig-Kommission des Europarates sehen nämlich vor, dass es in den zwölf Monaten vor einer Wahl keine Wahlrechtsänderungen mehr geben sollte. Hält sich die Bundesregierung daran, kann die Sperrklausel, die voraussichtlich zwischen zwei und fünf Prozent liegen soll, erst bei der Wahl 2024 zum Einsatz kommen.

Die geplante Änderung hätte im kommenden Jahr beispielsweise die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die Piratenpartei, die NPD, die Freien Wähler oder die Partei von Satiriker Martin Sonneborn treffen können. Sie alle hatten bei der Wahl 2014 den Einzug in Europaparlament geschafft, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kurz zuvor die Drei-Prozent-Hürde im deutschen Europawahlgesetz für verfassungswidrig erklärt hatte.

Bundesregierung will BVerfG umgehen

Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, hieß es damals im Urteil der Karlsruher Richter. Im Gegensatz zum Bundestag komme es im Europaparlament nicht so auf stabile Mehrheitsverhältnisse an.

Das Verfassungsgericht widersprach damit der Argumentation der großen etablierten Parteien wie CDU und SPD, die ihr Eintreten für eine Sperrklausel bei der Europawahl mit der Sorge vor einer Zersplitterung des EU-Parlaments begründen.

Um dem Einflussbereich des BVerfG zu umgehen, soll die Sperrklausel nun über EU-Recht eingeführt werden. Die Bundesregierung schaffte es allerdings nicht, alle anderen Staaten rechtzeitig zur Zustimmung zu bewegen. Nach Angaben von Diplomaten verwies Italiens EU-Vertretung bis zuletzt darauf, dass sie auf Zustimmung aus dem Parlament in Rom warten wolle. Zuvor blockierte zeitweise Belgien eine Entscheidung: Dort hatte die flämische Regierungspartei N-VA argumentiert, dass kleine Parteien die politische Landschaft bereicherten.

Heftige Kritik von Kleinstparteien

Von Seiten der Kleinstparteien wird das Reformprojekt vor allem mit Blick auf die Urteile des BVerfG kritisiert. "Die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber einer Entscheidung des obersten deutschen Gerichts kennt offensichtlich keine Grenzen mehr", kommentierte jüngst ÖDP-Generalsekretär Claudius Moseler. Der derzeit für die Freien Wähler im Europaparlament sitzende Arne Gericke sprach von einem diskriminierenden Schritt, der Millionen Wähler in Deutschland entmündigen solle.

Die Parteien argumentieren auch, dass die Gefahr einer Zersplitterung gering sei, weil sich die Abgeordneten kleiner Parteien sehr oft einer Fraktion anschlössen, die in etwa ihre politischen Vorstellungen vertrete. Derzeit seien beispielsweise fünf der sieben deutschen Einzelmandatsträger Mitglied einer der großen EU-Parlamentsfraktionen.

Der Büroleiter des Europaabgeordneten Sonneborn, Dustin Hoffmann, weist zudem darauf hin, dass die Sperrklausel so konzipiert wurde, dass sie lediglich Deutschland und mit Einschränkungen Spanien treffen soll. "Das ist Spezialgesetzgebung für Deutschland", kritisiert er. Unter dem Strich gebe es kein stichhaltiges Argument, das für die Reform spreche. "Sie machen es, weil sie es machen können."

dpa/mam/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

EU-Wahlrechtsänderung nicht rechtzeitig beschlossen: Bleibt "Die Partei" in Brüssel? . In: Legal Tribune Online, 28.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28821/ (abgerufen am: 04.06.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Europa
    • Europaparlament
    • Europawahl
    • Parteien
    • Wahlrecht
30.05.2023
Patente

Gemeinsame europäische Gerichtsbarkeit:

Neues Ein­heit­li­ches Pat­ent­ge­richt nimmt Arbeit auf

Am 01. Juni wird das neue EU-Einheitspatent eingeführt. Streitigkeiten darüber werden zukünftig an einem neuen Einheitlichen Patentgericht geführt. In Deutschland nehmen fünf Standorte des Gerichts ihre Arbeit auf. 

Artikel lesen
24.05.2023
Markenrecht

EuG zum Markenrecht:

Bran­chen­ver­band kann "Emmen­taler" nicht schützen lassen

Emmentaler Käse werde von vielen deutschen Verbrauchern als Käsesorte und nicht als Marke verstanden, findet das EuG. Entsprechend könne der Begriff nicht markenrechtlich geschützt werden, entschied das EuG.

Artikel lesen
03.06.2023
Polizei

Filmen von polizeilichen Maßnahmen:

Gebot der Waf­fen­g­leich­heit

Ist das Filmen von Polizeieinsätzen zum Zweck der Dokumentation strafbar? Nein, meint Daniel Zühlke. Und statt dagegen vorzugehen, sollte die Polizei eher durch transparentes Handeln verlorenes Vertrauen wiederherstellen.

Artikel lesen
04.06.2023
Rechtsgeschichte

Glühbirnen vor Gericht:

Immer wieder für juris­ti­sche Fas­sungs­lo­sig­keit gut

Nach ihrer Entwicklung im 19. Jahrhundert war die elektrische Glühlampe Gegenstand vieler juristischer Auseinandersetzungen. Am Ende wurde sie sogar zum Sachverhalt staatstheoretischer Sorge. Eine Auslese.

Artikel lesen
01.06.2023
Justiz

Gericht zu rechtsextremem Referendar:

Wenn Ver­fas­sungs­feinde zu Juristen aus­ge­bildet werden

In Sachsen darf ein Rechtsextremer ins Referendariat, obwohl das Land dagegen Gesetze verschärft hat. Der Verfassungsgerichtshof hat den Weg frei gemacht, ein VG folgt zähneknirschend. Warum scheint die Justiz so hilflos?

Artikel lesen
02.06.2023
Drogen

Niederländische Gerichtsentscheidung:

Ver­haf­tete Star-Anwältin Weski wieder frei

Eine der bekanntesten Strafverteidigerinnen der Niederlande wird aus der Haft entlassen. Sie soll in einem Drogenmafia-Prozess Nachrichten in und aus einem Hochsicherheitsgefängnis geschleust haben. Weski schweigt erst einmal.

Artikel lesen
Veranstaltungen
Health & Law: Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen

12.06.2023, Berlin

Out & About - Ein Event mit unserem LGBTQ+-Netzwerk in Berlin

29.06.2023, Berlin

DRAFTING INTERNATIONAL CONTRACTS – ONE-DAY CRASH COURSE

27.06.2023

Masterclass with Prof. Dr. Christine Eckert: Win-Win-Situation.

12.06.2023

mach-mIT 2023 | Agilität in depth

13.06.2023, Köln

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH