Die EU möchte Verbraucher umfassend über Lebensmittel informieren. Die Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen stellt sie dabei auch vor politische Herausforderungen. Besonders geschickt löst sie sie nicht, findet Eva Ghazari-Arndt.
Viele Verbraucher möchten heute wissen, woher ihre Lebensmittel stammen, ob sie genverändert sind, welche Inhaltsstoffe sie haben. Doch auch in welcher Region sie produziert wurden, kann für einige Menschen relevant sein. In ihrem Interesse hat die Europäische Kommission am 11. November einen Hinweis zu Auslegungsfragen über die Angabe des Ursprungs von Waren von israelischen Siedlungen veröffentlicht [C (2015) 7834].
Dieser Hinweis ist kein neuer Rechtsakt, sondern eine Darstellung und Interpretation der gegenwärtigen Rechtslage innerhalb der Europäischen Union (EU). Ihm folgend hatte das KaDeWe zunächst acht Weine aus seinem Sortiment entfernt, die nicht als "Siedlerprodukte" kenntlich gemacht waren – auf scharfe Kritik von Seiten des israelischen Ministerpräsidenten hin nahm das bekannte Berliner Kaufhaus die Weine Anfang der Woche jedoch wieder in sein Sortiment auf.
Bereits im Jahr 2008 hatte die Europäische Kommission für die Mitgliedstaaten der EU eine Verordnung zur Information der Verbraucher über Lebensmittel [KOM (2008) 40] vorgeschlagen, um die Entwicklungen auf dem Lebensmittelmarkt sowie veränderte Erwartungen der Verbraucher abzubilden und die entsprechenden Regelungen zu aktualisieren.
Beweggrund war die Einschätzung der Kommission, dass die Verbraucher mehr und bessere Informationen auf der Etikettierung der Produkte und klare, einfache, umfassende, standardisierte und zuverlässige Produktinformationen wollten, hieß es in der Begründung [KOM (2008) 40, S. 5]. In der Folge beschloss das Europäische Parlament im Oktober 2011 die sogenannte Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV), [VO (EU) Nr. 1169/2011]. Sie gilt seit Dezember 2014 unmittelbar und verbindlich in allen Mitgliedstaaten der EU.
Viele Aspekte entscheidend bei Wahl der Lebensmittel
Der allgemeine Grundsatz des Lebensmittelrechts ist damit festgelegt: Die Verbraucher sollen in Bezug auf ihre Lebensmittel eine fundierte Wahl treffen können und alle Praktiken, die sie irreführen könnten, sollen verhindert werden, Erwägungsgrund Nr. 4 LMIV.
Die Liste aller verpflichtenden Informationen beinhaltet laut Art. 9 Abs. 1 lit. i) LMIV auch Angaben in Bezug auf das Ursprungsland oder den Herkunftsort. Sie müssen gemäß Art. 26 Abs. 2 lit. a) LMIV genannt werden, falls "ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher über das tatsächliche Ursprungsland oder den tatsächlichen Herkunftsort des Lebensmittels möglich wäre [...].".
Die Lebensmittel-Informationsverordnung der EU gilt vornehmlich für vorverpackte Lebensmittel. Allerdings schreiben weitere Rechtsakte für landwirtschaftliche Produkte oder Kosmetika ähnliche Regelungen in Bezug auf die Angabe des Ursprungslands vor. So regelt Art. 76 Abs. 1 der Gemeinsamen Marktorganisations-Verordnung [VO (EU) Nr. 1308/2013], dass Erzeugnisse auf dem Sektor Obst und Gemüse, die frisch an den Verbraucher verkauft werden, nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn das Ursprungsland angegeben ist. Auch die sogenannte Kosmetik-Verordnung [VO (EG) 1223/2009] beinhaltet in Art. 19 Abs. 1 lit. a) eine Regelung, wonach importierte kosmetische Mittel nur auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen, wenn die Behältnisse und Verpackungen das Ursprungsland angeben.
EU: "Produkt aus Israel" allein ist irreführend
Vor dem Hintergrund dieser Vorschriften ist die Europäische Kommission nunmehr der Ansicht, mit der Kennzeichnung von vornehmlich Obst und Gemüse, aber auch Kosmetika als "Siedlerprodukte", europäische Rechtsakte umzusetzen. Denn die EU erkennt im Einklang mit dem Völkerrecht die israelische Souveränität über die von Israel seit 1967 "besetzen" Gebiete, namentlich die Golanhöhen, den Gazastreifen sowie das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem nicht an. Anders als das israelische Recht betrachtet die EU sie nicht als Teil der israelischen Territorien [C (2015) 7834, S. 2]. Daher vertritt die Kommission die Ansicht, die Angabe "Produkt aus Israel" sei aufProdukten, die aus den benannten Gebieten stammen, falsch und irreführend im Sinne der EU-Rechtsvorschriften [C (2015) 7834, S. 3 f.].
Die israelische Sicht ist eine andere; dementsprechend verurteilt sie den Hinweis der Europäischen Kommission äußerst scharf. Denn nach israelischem Recht, insbesondere nach dem sogenannten Jerusalemgesetz, das im Juli 1980 in Israel verabschiedet wurde, ist "das vollständige und vereinte" Jerusalem (und damit auch Ost-Jerusalem) die Hauptstadt Israels. Zudem seien Teile des Westjordanlands, die von Israel zum Jerusalemer Stadtgebiet erklärt wurden, israelische Staatsterritorien.
Auch in Bezug auf die anderen Gebiete ist der völkerrechtliche Status nicht unumstritten. Die Golanhöhen beispielsweise werden seit 1967 von der israelischen Regierung kontrolliert und verwaltet. Während die EU aber als "israelische Siedlungen" all die Regionen betrachtet, die von Israel im Sechstagekrieg von 1967 unrechtmäßig erobert worden seien, betrachtet die israelische Regierung die Erklärung der vorgenannten Gebiete als israelische Territorien als rechtmäßig.
2/2: Mehr als geografische Bezeichnungen
Die Europäische Kommission schlägt für die Kennzeichnung der Siedlerprodukte verschiedene Formulierungen vor. Für Produkte aus dem Westjordanland oder den Golanhöhen sollen Ausdrücke wie etwa "Produkt aus dem Westjordanland (israelische Siedlung)" oder "Produkt aus den Golanhöhen (israelische Siedlung)" verwendet werden [C (2015) 7834, S. 4]. Mit diesen Bezeichnungen ist die Europäische Kommission konsequent, bleibt sie damit doch im Grunde ihrer Rechtsauffassung über den völkerrechtlichen Status der vorbezeichneten Gebiete treu.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Bezeichnungen tatsächlich weniger irreführend für die Verbraucher sind. Im Grunde ist die EU ihnen gegenüber immer um einen möglichst klaren und leicht verständlichen Ausdruck bemüht. So wird beispielsweise im Erwägungsgrund Nr. 37 der LMIV festgehalten, dass es angezeigt wäre, bei der Kennzeichnung von Produkten auf die Bezeichnung Salz anstelle der (im Alltag weniger gebräuchliche) Nährstoffbezeichnung Natrium zurückzugreifen.
Nun aber versucht die Europäische Kommission, für Siedlerprodukte eine geografische Bezeichnung zu finden, die historisch und politisch betrachtet so hoch komplex ist, dass sie im Ergebnis nicht minder verwirrend bzw. irreführend sein dürfte. Sie übergeht dabei nicht nur die israelische Sicht, verleiht der Herkunftsbezeichnung auch einen negativen Beigeschmack, indem sie mit der Kennzeichnung die verallgemeinernde Schlussfolgerung nahelegt, Siedlerprodukte seien Produkte aus illegal besetzten Gebieten.
Auch "Produkt aus Palästina" bedarf der Klarstellung
Irritierend sind zudem die Formulierungsvorschläge der Europäischen Kommission für die Kennzeichnung von Produkten aus den Gebieten, die nicht aus den israelischen Siedlungen stammen. Denn einerseits hat die Europäische Kommission Bedenken, Siedlerprodukte als "Produkt aus Israel" zu bezeichnen. Anderseits schlägt sie vor, für die Kennzeichnung von Produkten aus palästinensischen Gebieten Formulierungen wie etwa "Produkt aus dem Westjordanland (palästinensisches Produkt)", "Produkt aus dem Gazastreifen" oder "Produkt aus Palästina" zu verwenden [C (2015) 7834, S. 4].
Geradezu paradox ist dabei, dass die Europäische Kommission hier klarstellend darauf hinweisen muss, der Ausdruck "Palästina" sei nicht als Anerkennung eines Staates Palästina zu verstehen [C (2015) 7834, Fn. 12]. Diese Vorgehensweise zeigt aber, wie irreführend all diese Bezeichnungen sein können. Schließlich besteht auf dem späteren Produkt nicht mehr die Möglichkeit, derartige klarstellende Äußerungen anzubringen.
Insofern sind – auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es einen palästinensischen Staat nicht gibt – die vorgenannten Bezeichnungen für den Verbraucher nicht weniger irreführend als die schlichte Kennzeichnung "Produkt aus Israel" es wäre. Die Herkunftsangabe auf Produkten verfolgt zwar einen sinnvollen Zweck, doch wenn der rechtliche Status des Herkunftsorts so komplex und verworren ist, wie im Falle der durch Israel besiedelten Gebiete, tragen die Vorschläge der Kommission kaum zu einer besseren Aufklärung der Verbraucher bei – sehr wohl aber zu einer Politisierung des in dieser Hinsicht eigentlich neutralen Kennzeichnungsrechts.
Dr. Eva Ghazari-Arndt, LL.M. erwarb ihren Master of Laws am Europa-Institut Saarbrücken und promovierte auf dem Rechtsgebiet des europäischen Privatrechts zum Thema "Gemeinsames Europäisches Kaufrecht". Sie ist Rechtsanwältin und Dozentin auf dem Rechtsgebiet des Privatrechts.
Dr. Eva Ghazari-Arndt, LL.M., Europäisches Lebensmittelrecht und israelische Siedlerprodukte: Herkunft: ungeklärt . In: Legal Tribune Online, 26.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17662/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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