CSU will EU-Kompetenzgerichtshof: Nicht immer gleich nach den Richtern rufen

von Prof. Dr. Joachim Wieland

13.01.2014

Die Bankenkrise und die Erfolge der AfD bei der Bundestagswahl haben die CSU  bewogen, bei ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth erneut die Forderung nach einem mit nationalen Verfassungsrichtern besetzten EU-Kompetenzgerichtshof zu erheben. Viel wichtiger wäre eine stärkere Kontrolle der Brüsseler Politiker durch Opposition, Medien und Bevölkerung, meint Joachim Wieland.

In regelmäßigen zeitlichen Abständen wird in Deutschlands Medien und der politischen Klasse gefordert, die Kompetenzen der EU einzuschränken. Während solche Bemühungen in anderen Ländern politisch diskutiert werden, sucht man in Deutschland gern nach einer gerichtlichen Lösung. Das entspricht unserer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Tradition, politische Probleme nicht den Parlamenten anzuvertrauen, die sich 1848/49 als überfordert gezeigt hatten und gescheitert waren. Vielmehr vertrauen wir auf die Weisheit der Richter.

Das erklärt die starke Stellung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in unserem Institutionengefüge. Es erklärt auch, warum die CSU den von Altbundespräsident Herzog vor einigen Jahren schon einmal vorgetragenen Vorschlag, einen Kompetenzgerichtshof aus Mitgliedern nationaler Verfassungsgerichte zu errichten, wieder zur politischen Forderung erhoben hat.

Flexibles EU-Recht

Durch die Wiederholung ist der Vorschlag allerdings nicht überzeugender geworden. Schon der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) und das BVerfG nehmen für sich die Befugnis in Anspruch, das Handeln der Union darauf zu überprüfen, ob es sich im Rahmen der ihr eingeräumten Kompetenzen hält.

Beide Gerichte haben sich bisher äußerst zurückhaltend gezeigt, in einem konkreten Fall die fehlende Kompetenz der Union tatsächlich zu beanstanden. Das EU-Recht ist flexibel und oft auch offen genug, um den Organen der Union einen weiten Handlungsspielraum zu eröffnen. Ein Handeln ultra vires, also unter Überschreitung der ihr eingeräumten Kompetenzen, lässt sich daher nicht leicht feststellen.

Deutsche wirken in Brüssel mit

Außerdem sind deutsche Politiker in Brüssel regelmäßig beteiligt, wenn neue Regelungen geschaffen werden. Dass die gleichen Politiker später in Deutschland die Regelungswut der EU beklagen, ist eher Tarnung als tatsächliche Empörung. Es ist auch leichter, als ihr eigenes politisches Handeln zu erläutern.

Der Fall, dass eine unionsrechtliche Regelung gegen den ausdrücklichen Willen Deutschlands erlassen wird, ist äußerst selten. Ob in diesen seltenen Fällen ein neuer Kompetenzgerichtshof eher einschreiten würde als das BVerfG oder der EuGH darf bezweifelt werden. Vermutlich würden sich auch nationale Verfassungsrichter in einem Kompetenzgerichtshof bald als europäische Einrichtung verstehen und die Zuständigkeiten der EU großzügig interpretieren.

Auch wer diese Einschätzung nicht teilt, wird einräumen müssen, dass nach dem Unionsrecht allein der EuGH die Aufgabe hat, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern (Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV). Nach seinem Selbstverständnis kann er keinen anderen Gerichtshof mit einer zumindest zum Teil gleichen Kompetenz neben sich dulden, ohne den selbst gesetzten Anspruch auf das letzte Wort in Fragen des EU-Rechts aufzugeben. Wer mit der Luxemburger Rechtsprechung unzufrieden ist, muss bei der Wahl der Richter ansetzen.

Stärkere Kontrolle Brüsseler Politiker notwendig

Außerdem darf der EuGH durchaus daran erinnert werden, dass er sein Selbstverständnis als Motor der Integration, der im Zweifel immer eine passende Kompetenzgrundlage findet, nach eigenem Bekunden längst aufgegeben hat. Würde der EuGH die Organe der Union nicht nur ganz ausnahmsweise in ihrer kompetenziellen Schranken verweisen, sondern häufiger die Rechtsetzungsgewalt der Mitgliedstaaten schützen, wäre ein Kompetenzgerichtshof überflüssig und würde nicht länger gefordert werden.

Tatsächlich verhindern könnte eine zu expansive Auslegung der EU-Kompetenzen dagegen eine politische Kontrolle der in Brüssel handelnden Personen. Würden Opposition, Medien und die Bevölkerung dies strikter handhaben, könnte nicht länger versucht werden, Regelungen, die auf nationaler Ebene nicht durchsetzbar sind, auf dem Umweg über Brüssel und ohne große öffentliche Diskussion in Deutschland doch noch einzuführen.

Die Forderung nach einem eigenständigen Kompetenzgerichtshof könnte dann in der Versenkung verschwinden, in die sie gehört.

Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Zitiervorschlag

Joachim Wieland, CSU will EU-Kompetenzgerichtshof: Nicht immer gleich nach den Richtern rufen . In: Legal Tribune Online, 13.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10637/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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