Die EU-Kommission will, dass Verbraucher besser online einkaufen können. Sie will mehr Jugendschutz bei YouTube und mehr europäisches Fernsehen auch bei Netflix. Vor allem aber will sie den Online-Handel regulieren, meint Nico Härting.
Was beim Datenschutz begann, setzt sich bei den Plattformen, beim Geoblocking und mächtigen Verbraucherschutzbehörden fort. Das Maßnahmenpaket, das die Europäische Kommission unter dem schönfärberischen Schlagwort "Digital Single Markets" am Mittwoch vorgestellt hat, ist von der Absicht geprägt, den Online-Handel in Europa einer umfassenden Regulierung zu unterwerfen.
Was Günther Oettinger (CDU) als unbürokratische Lösungen für mehr Jugendschutz und zur Förderung des Online-Handels vorstellte, bezweckt tatsächlich eine intensive staatliche Kontrolle, die es der europäischen Digitalwirtschaft noch schwerer machen wird, im Wettbewerb mit der US-Konkurrenz zu bestehen.
Jugendschutz bei YouTube
Das Paket, das die Europäische Kommission heute vorgestellt hat, besteht aus vier Teilen: Die Kommission möchte neue Regeln für Online-Plattformen aufstellen. Zuerst nimmt sie Video-Plattformen ins Visier und legt einen Entwurf für eine Änderung der Richtlinie über audivisuelle Mediendienste (AVMD-RL) vor.
YouTube und andere Video-Plattformen werden nach diesem Vorschlag gesetzlich zu weitreichenden Maßnahmen des Jugendschutzes und zur Bekämpfung von Hate Speech verpflichtet. Man möchte "sektoral" vorgehen und kündigt an, entsprechende Vorschriften zur Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern in gesetzgeberische Maßnahmen zum Urheber- und Haftungsrecht aufzunehmen. Laut Oettinger will die Kommission aber vor allem auf Selbstverpflichtungen setzen, schon in den nächsten Tagen wollen man den Dialog aufnehmen, so der zuständige EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. YouTube und andere große Anbieter werden in der Lage sein, den Kontrollaufwand umzusetzen, den der Richtlinienvorschlag fordert. Für Start-Ups und andere aufstrebende europäische Plattformen führt der Vorschlag dagegen zu Haftungsrisiken und einem Compliance-Aufwand, der manches zarte Unternehmenspflänzlein im Kern ersticken wird.
2/2: Online-Handel: Kontrahierungszwang von hinten durch die kalte Küche
Für den Bereich des Online-Handels legt die Kommission den Entwurf einer Richtlinie zur Bekämpfung des Geoblocking vor. Danach soll es Händlern und Dienstleistern grundsätzlich untersagt werden, den Zugriff auf Websites von der Nationalität, dem Sitz oder Aufenthaltsort des Kunden abhängig zu machen. Online-Händler oder –Dienstleister sollen zudem verpflichtet werden, ihre Waren und Dienstleistungen europaweit zu gleichen Konditionen anzubieten.
Sogar bei den Zahlungsbedingungen sollen Anbieter europaweit zu gleichen Bedingungen anbieten müssen. Händler dürften Kreditkartenzahlungen bei Kunden aus bestimmten Ländern künftig nicht mehr wegen hoher Bankgebühren ablehnen, sondern sollen durch die vorgeschlagene Regelung verpflichtet werden, Kreditkartenzahlungen aus in ganz Europa zu ermöglichen.
De facto bedeutet der Kommissionsvorschlag einen Kontrahierungszwang von hinten durch die kalte Küche. Nicht nur Start-Ups und kleine Händler, sondern auch Mittelständler schrecken bislang davor zurück, Waren und Dienstleistungen in ganz Europa anzubieten. Zu unübersichtlich ist die Rechtslage in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, zu unterschiedlich sind die Retourquoten und Bonitätsrisiken. Allein der Aufwand für eine umfassende Rechtsberatung, die einen Online-Shop in 28 Mitgliedsstaaten rechtskonform macht, lässt viele Anbieter zurückschrecken. Deutlich sechsstellige Beratungshonorare sind keine Seltenheit, der Umsetzungsaufwand ist beträchtlich.
Paketzusteller an den Pranger, Superbehörden an die Macht
Mit einer weiteren Richtlinie will die Kommission die Paketzustellung regulieren. Alle Paketzusteller sollen verpflichtet werden, ihre grenzüberschreitenden Tarife behördlich prüfen zu lassen. Dabei geht es um die Angemessenheit ("affordability") der Tarife. Die Ergebnisse dieser Prüfung will die Europäische Kommission veröffentlichen. Und wird damit Zusteller europaweit an den Pranger stellen, deren Tarife für "unangemessen" erachtet werden.
Beinahe vollständig ändern will die Kommission die Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz. In 53 statt bislang 22 Artikeln werden Verbraucherschutzbehörden aus ganz Europa zur intensiven Zusammenarbeit bei der Durchsetzung des europäischen Verbraucherschutzrechts verpflichtet.
Die Mitgliedstaaten sollen zur Errichtung schlagkräftiger, nach Angaben von Oettinger organisatorisch wie faktisch von Politik und Regierungen unabhängiger Behörden verpflichtet werden. Dies alles unter den wachsamen Augen der Kommission, die damit de facto zur obersten Verbraucherschutzbehörde Europas würde.
Deutschland setzt seit jeher auf eine Durchsetzung des Verbraucherschutzrechts mit den Mitteln des Wettbewerbs- und Privatrechts. Der Kommissionsvorschlag würde auch die Bundesrepublik zur Errichtung einer Verbraucherschutz-Superbehörde zwingen. Das würde allenfalls Planstellen im öffentlichen Dienst schaffen, aber gewiss kein Wachstum und keine Stärkung der deutschen Digitalwirtschaft.
Der Autor Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Einer seiner Beratungsschwerpunkte liegt im Recht des Online-Handels und der Beratung von Startup-Unternehmen.
EU-Kommission zum "Digital Single Market": Alle Macht den Superbehörden . In: Legal Tribune Online, 26.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19476/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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