Das BAG sagt: unzulässig! Der EuGH sagt: nichts. Und die EU-Kommission sagt jetzt: zulässig! Den Hintergrund des Streits um die dauerhafte Leiharbeit und die Folgen der jüngsten Stellungnahme der EU-Kommission erklärt André Zimmermann.
Nachdem sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Frühjahr zur Zulässigkeit der dauerhaften Leiharbeit bedeckt gehalten hat , hat die EU-Kommission hierzu unlängst in einem Vertragsverletzungsverfahren (CHAP(2015)00716) Stellung bezogen – mit erstaunlich klaren Worten. Die Kernaussage: "Die Richtlinie sieht keine Beschränkung der Dauer der Arbeitnehmerüberlassung an die entleihenden Unternehmen vor."
Dazu kam es wie folgt: Ende 2014 hatte eine Leiharbeitnehmerin die Bundesrepublik vor dem Landgericht (LG) Berlin wegen unzureichender Umsetzung der Leiharbeitsrichtline 2008/104/EG auf Schadensersatz verklagt (Az. 28 O 6/15). Sie ist bei einem Zeitarbeitsunternehmen angestellt und seit mehreren Jahren in einer Klinik auf demselben Arbeitsplatz tätig. Sie wird nach Tarifverträgen der Zeitarbeit bezahlt – und verdient deutlich weniger als Stammarbeitnehmer. Die Vergütungsdifferenz der letzten drei Jahre von rund EUR 30.000,00 verlangt sie nun als Schadensersatz vom Staat.
Der Hintergrund: Staatshaftungsklage gegen die Bundesrepublik
Ihrer Ansicht nach lässt die Leiharbeitsrichtlinie eine solche Ungleichbehandlung nicht zu, sondern schreibt gleiches Gehalt – "Equal Pay" - vor. Die Deutsche Legislative, Judikative und Exekutive hätten das nicht beachtet. Der Gesetzgeber habe es versäumt, einen dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern zu schlechteren Bedingungen zu verbieten. Zum Schutz dauerhaft überlassener Arbeitnehmer hätte er Sanktionen in Form von Ansprüchen der Leiharbeitnehmer gesetzlich festschreiben müssen.
Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe diese Lücke nicht geschlossen, als es Ende 2013 entschied, dass bei dauerhaftem Einsatz kein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Einsatzunternehmen zustande kommt (Urt. v. 10.12.2013, Az. 9 AZR 51/13). Das BAG hat diese Rechtsprechung inzwischen mehrfach bestätigt (Urtt. v. 03.06.2014, Az. 9 AZR 111/13, 9 AZR 665/13, 9 AZR 666/13 und 9 AZR 829/13).
Schließlich, so die Klägerin, ziehe die Agentur für Arbeit als zuständige Verwaltungsbehörde in ihrer Prüfungspraxis keine Konsequenzen aus dem Verbot der mehr als vorübergehenden Überlassung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), die auch das BAG in seinem grundlegenden Beschluss vom 10. Juli 2013 (7 ABR 91/11) festgestellt hat.
Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens bei der EU-Kommission
Anfang 2015 hat die Klägerin dann bei der EU-Kommission zusätzlich die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegen die Bundesrepublik wegen Verstoßes gegen die Leiharbeitsrichtlinie beantragt. Die Bundesrepublik habe bewusst und richtlinienwidrig keine effektiven Sanktionen gegen dauerhafte Überlassung von Arbeitnehmern zu schlechteren Bedingungen geschaffen. Eine dauerhafte Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern stehe im eklatanten Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie.
Völlig aussichtslos war das Vertragsverletzungsverfahren nicht: Immerhin hatte die Kommission selbst in ihrem letzten Bericht über die Anwendung der Leiharbeitsrichtlinie vom 21. März 2014 (COM (2014) 176) festgestellt, dass "bestimmte, häufig angewandte Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in einigen Fällen möglicherweise dazu geführt [haben], dass die Anwendung der Richtlinie keine effektive Verbesserung des Schutzes der Leiharbeitnehmer herbeigeführt hat." Die Bundesrepublik wird hier freilich nicht explizit genannt.
André Zimmermann, Stellungnahme der EU-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 27.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16361 (abgerufen am: 04.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag