Längst abgeschaffte Verfahrenshürden spielen mit dem Brexit plötzlich wieder eine Rolle. Im aktuell diskutierten Gesetzentwurf zum EU-Austritt steht die Stellung des EuGH weiter auf der Kippe, erläutern Luidger Röckrath und Simon Fischer.
Mit dem Ausscheiden aus der EU will die britische Regierung die Zuständigkeit des europäischen Gerichtshofs (EuGH) beenden. In ihrem White Paper wählte die britische Regierung noch eine strikte Linie: Auch wenn sich ein Fall vor dem Ausscheiden abgespielt hat, soll der EuGH nach dem Stichtag nicht mehr angerufen werden können. Generell soll die Rechtsprechung des EuGH nach dem Brexit keine Wirkung mehr entfalten.
Aktuell wird im britischen Unterhaus die European Union (Withdrawal) Bill behandelt, also der Gesetzesentwurf zum EU-Austritt. Dort ist man zum Einfluss des EuGH bereits deutlich zurückhaltender: Eine Vorlage an diesen ist zwar weiterhin nicht vorgesehen. Britische Gerichte dürfen die europäische Rechtsprechung nun aber als Auslegungshilfe heranziehen. Für Gesetze, die ohne Veränderungen ins britische Recht übernommen werden, ist die Anwendung im Einklang mit den Europäischen Grundprinzipien und der Rechtsprechung des EuGH sogar obligatorisch. Diese Linie hat die britische Premierministerin Theresa May auch in ihrer lang erwarteten Rede in Florenz bestätigt.
Dennoch bleibt die Erleichterung in der Europäischen Justiz aus. Die neue Linie der britischen Regierung erkennt zwar an, dass die Abkehr vom EuGH schwieriger ist, als zunächst angenommen. Das grundlegende Ziel, die Zuständigkeit des EuGH zu beenden, bleibt aber. Auch das hat Theresa May in Florenz mit klaren Worten bekräftigt. Bei vielen Verfahrenserleichterungen ist damit weiter zweifelhaft, ob sie nach dem Brexit erhalten bleiben können.
Auf beiden Seiten des Kanals befürchten Juristen parallele Prozesse, widersprüchliche Entscheidungen, Zustellungsverzögerungen, ausgebremste Beweisaufnahmen und nicht zuletzt Probleme bei der Vollstreckung von Urteilen. Auch "forum shopping", das missbräuchliche Ausnutzen von Zuständigkeiten der Gerichte in mehreren Ländern, droht erneut.
Europäische Regeln für den Zivilprozess gehen verloren
Bislang sind viele dieser Fragen innerhalb Europas durch EU-Recht einheitlich geregelt. Eines der zentralen Regelwerke ist die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Nach ihr bestimmt sich, vor welchem Gericht ein Prozess zu führen ist, wenn Kläger und Beklagter aus verschiedenen Staaten kommen. Sie verhindert, dass sich mehrere Gerichte zeitgleich für zuständig halten. Außerdem enthält sie Erleichterungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus anderen EU-Staaten.
Mit dem Brexit endet im Verhältnis zum Vereinigten Königreich die direkte Anwendbarkeit der EuGVVO. Für grenzüberschreitende Zivilverfahren gelten danach die zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Vereinbarungen.
Die älteren EU-Staaten fallen beispielsweise bei Zuständigkeitsfragen auf das alte Brüsseler Übereinkommen von 1968 zurück. Die jüngeren EU-Staaten haben keine solchen Vereinbarungen, denn sie waren damals noch Teil des Ostblocks. Sie müssen auf ihr nationales Zivilprozessrecht zurückgreifen. Die universellen Gerichtsstände der EuGVVO, so etwa für Verbraucher und Arbeitnehmer, sind eine Ausnahme. Sie gelten aus Sicht dieser Staaten gegenüber dem Vereinigten Königreich fort.
Grenzüberschreitende Justiz und Brexit: . In: Legal Tribune Online, 26.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24721 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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