Europäische Staatsanwaltschaft?: Der Berg kreißt weiter

von Franz-Josef Schillo

23.03.2017

2/2: Trotz aller Vorschläge keine Einigung auf einen Europäischen Staatsanwalt

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Europäischen Staatsanwaltschaft hingegen stieß, anders als diese Maßnahmen zur Erweiterung des Rechtsschutzes Betroffener und der Prozesskostenhilfe, auf massive Kritik in den Mitgliedstaaten. Diese sahen vor allem ihre nationale Souveränität beeinträchtigt. Ihrer Ansicht nach verstießen die geplanten Befugnisse und die Unabhängigkeit der beabsichtigten Europäischen Staatsanwaltschaft gegen den Grundsatz der Subsidiarität.

So widersetzen sich v. a. Schweden, Polen, Ungarn, Malta und die Niederlande, die den Vorrang der nationalen Strafverfolgung betonten. Ihrer Ansicht nach sollte eine Europäische Staatsanwaltschaft, wenn überhaupt, nur ergänzend tätig werden. Seit dem Brexit haben sich diese Vorbehalte sogar noch verschärft. Nur Italien wollte eine wesentlich stärkere und effizientere Staatsanwaltschaft.

Als Reaktion auf diese Kritik versuchte man, insbesondere im Rat für Justiz und Inneres, einen relativierenden Kompromiss zu finden. Vorgeschlagen wurden eine Schwächung und Umstrukturierung der bis dahin vorgesehenen zentralen Leitung der Behörde, die Organisation der Europäischen Staatsanwaltschaft sollte betont dezentral aufgestellt werden.

Geplant war in der zuletzt vorgesehenen konsolidierten Fassung des Rats vom 2. Dezember 2016 ein mehrstufiger Aufbau mit einer dezentralen Arbeitsebene delegierter Europäischer Staatsanwälte aus den jeweiligen Mitgliedstaaten und zwei Aufsichtsebenen für Ermittlungsverfahren des Europäischen Staatsanwalts und der ständigen Kammer sowie weiteren Ebenen des Kollegiums und eines Europäischen Generalstaatsanwalts. Der Deutsche Richterbund bezeichnete die außerordentlich komplexen Strukturen zu Recht als aufgebläht, unübersichtlich und kaum durchschaubar, eine effizient funktionierende Strafverfolgung hätte so sicherlich nicht aufgebaut werden können.

Zu einer Verständigung kam es trotz dieses Entgegenkommens gegenüber den kritisierenden Ländern nicht, die Mitgliedstaaten konnten sich nicht auf einen für die gesamte EU zuständigen Europäischen Staatsanwalt einigen. Anfang März 2017 scheiterte die Bildung einer Europäischen Staatsanwaltschaft durch eine entsprechende Verordnung für die Europäische Union endgültig.

Das Europa mehrerer Geschwindigkeiten – und jetzt?

Dessen ungeachtet einigten sich Anfang März die eingangs genannten Staaten auf die Gründung einer entsprechenden europäischen Staatsanwaltschaft mit Wirkung für ihre Länder im Wege der sog. verstärkten bzw. vertieften Zusammenarbeit. Dabei kann eine Gruppe von Mitgliedstaaten gemeinsame Regelungen einführen, ohne dass sich die anderen Staaten daran beteiligen müssen.

Die nun getroffene Einigung zwischen der Mehrzahl der Mitgliedstaaten setzt damit den kürzlich von Jean-Claude Juncker vorgeschlagenen Dritten Weg um. Der Kommissionspräsident hatte Anfang Januar in einem Weißbuch fünf Szenarien der weiteren Zukunft Europas vorgeschlagen. Dritter Vorschlag war dabei die Verstärkung der Kooperation einzelner EU-Staaten unter dem Dach der EU („Wer mehr tun will, tut mehr“).

Nach derzeitigem Stand soll der Sitz der Europäischen Staatsanwaltschaft in Luxemburg angesiedelt werden, ihre Arbeit soll sie im Jahr 2019 aufnehmen. Der Text über die Verständigung soll noch angepasst und bis Ende des Jahres finalisiert werden. Wie konkret dann die Struktur und Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft für diese Mitgliedstaaten, die mitmachen, aussehen sollen, ist derzeit noch unklar. Nach momentanem Sachstand soll der oben angesprochene Verständigungsvorschlag mit einer dezentralen Organisation grundsätzlich übernommen und bis Ende dieses Jahres ausverhandelt werden.

Da Italien noch zur Mitarbeit gewonnen werden soll, ist eine eventuell doch noch herbeizuführende Zentralisierung und Effektivierung – wie von Italien vorgeschlagen – zwar noch möglich. Das bisherige Verhalten der anderen Mitgliedstaaten lässt allerdings vermuten, dass es im Wesentlichen bei der derzeit vom Rat vorgeschlagenen dezentralen Struktur der Europäischen Staatsanwaltschaft bleiben wird –  mit allen Zweifeln an deren Effizienz und Funktionsfähigkeit. Ob dies dann wirklich eine Verbesserung gegenüber den bisherigen europäischen Verfolgungsmaßnahmen wird, ist höchst fraglich.

Der Autor Rechtsanwalt Franz-Josef Schillo ist bundesweit tätiger Strafverteidiger mit Sitz in Dresden. Er ist Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen (eine der Schwerpunktkammern für Strafrecht) und wirkt an deren Stellungnahmen zur Ausgestaltung des Europäischen Strafrechts mit.

Zitiervorschlag

Franz-Josef Schillo, Europäische Staatsanwaltschaft?: Der Berg kreißt weiter . In: Legal Tribune Online, 23.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22451/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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