Urteil gegen Oskar Gröning: Ende der kalten Amnestie

von Professor Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE)

22.07.2015

2/2: Schwerer Schlag durch BGH-Urteil von 1969

Der Fall Gröning war ein Schritt in diese Richtung; es werden weitere folgen. So hat die StA Frankfurt gerade am LG Hanau einen damals unter 21-jährigen Wachmann im KZ Auschwitz angeklagt, der sich als nun 92 Jähriger vor der Jugendkammer wegen Beihilfe zum Mord verantworten muss. Dass das geschieht, ist eine späte Genugtuung für die wenigen überlebenden Opfer. Diese richtige Fortentwicklung des Rechts ist bislang nicht vom BGH bestätigt, und es ist schon aus Gründen des Alters der Angeklagten fraglich, ob das jemals gelingen wird.

Diese Verfahren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen versagt hat. Den schwersten Schlag erlitten durchaus vorhandene Anstrengungen auf Seiten der StA durch die Feststellung des Verjährungseintritts durch den BGH im Jahr 1969. Die Einführung der neuen Akzessorietätsvorschriften in § 50 Abs. 2 StGB a.F. (heute § 28 Abs. 1 StGB) durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) führte im Ergebnis dazu, dass alle Taten, in denen dem Täter die niedrigen Beweggründe nicht in eigener Person nachgewiesen werden konnten, bereits verjährt waren. Jeder, dem also fast 25 Jahre nach dem Ende des Krieges nicht bewiesen werden konnte, dass er damals aus Rassenhass gehandelt habe, war de facto amnestiert.

Hoher Aufwand lohnte nicht mehr

Frustriert stellten viele Staatsanwaltschaften die Verfahren daraufhin ein. Sie versuchten die Beweisaufnahmen, die erhebliche Auslandsermittlungen zur Folge gehabt hätten, wie jeder weiß, der schon einmal einen Blick in die Prozessakten riskiert hat, erst gar nicht mehr zu betreiben. Es war zuvor schon schwierig genug, die Identität der Täter, die einzelnen Tatorte, die Opfer und die weiteren Verbrechensvoraussetzungen aufzuklären und durch Dokumente und Zeugen, die aus Israel, den USA oder andernorts herbeigeschafft werden mussten, zu beweisen. Diese neue Gesetzeslage schraubte die Anforderungen so weit nach oben, dass sich in den Augen vieler Staatsanwälte der Aufwand nicht mehr lohnte.

Es sei erwähnt, dass an dieser Situation auch die Struktur von § 211 StGB eine Mitschuld trägt. Danach konnte nämlich – subkutan – immer behauptet werden, der gemeine NS-Mitläufer habe nicht dem Tätertyp des Mörders entsprochen. Der von den Nazis 1941 geschaffene Mordparagraf 211 hat bei der Verfolgung von NS-Verbrechen daher in vollem Umfange versagt. Vielleicht wäre ja auch das ein Grund für eine Reform.

Zu spätes Ende der kalten Amnestie

Eine Statistik darüber, wie viele Verfahren damals eingestellt wurden, gibt es im Übrigen nicht, weil trotz intensiver Bemühungen seitens der Ludwigsburger Zentralstelle die Staatsanwaltschaften die Einstellungen nicht meldeten. Tatsächlich war damit die "kalte Amnestie" gelungen. Der Bundestag, der bereits wenige Jahre zuvor leidenschaftlich über die Verlängerung der Verjährung debattiert hatte und nun die nächste Debatte vorbereitete, hatte keine Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Ein zutiefst undemokratischer Prozess.

Nun also, 70 Jahre nach Kriegsende, werden die Beweisanforderungen teilweise gesenkt; nicht für jede Mitwirkung an der systematischen Vernichtung von Menschenleben, aber immerhin für die Tätigkeiten im Vernichtungslager. Das ist richtig, kommt aber zu spät.

Der Autor Professor Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE) hat einen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Erlangen und ist dort zudem Leiter der Forschungsstelle Völkerstrafrecht.

Zitiervorschlag

Professor Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE), Urteil gegen Oskar Gröning: Ende der kalten Amnestie . In: Legal Tribune Online, 22.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16308/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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