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Verbot von türkischen Wahlkampfauftritten in Deutschland: Erdoğan und die Ver­samm­lungs­f­rei­heit

von Prof. Dr. Niels Petersen

03.03.2017

Recep Tayyip Erdoğan

Bild: Senat RP/Polish Senate [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Türkische Politiker werben in Deutschland für die umstrittene Verfassungsreform. Für ein Verbot dieser Auftritte wäre die Bundesregierung gefragt, meint Niels Petersen.

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Wie Polizei und Stadtverwaltung Auftritte verhindern

Es ist Wahlkampf in der Türkei. Am 16. April sollen die Türken über ein Reformpaket abstimmen, das in der Türkei eine Exekutivpräsidentschaft mit sehr weitreichenden präsidentiellen Befugnissen schaffen soll. Kritiker sehen darin einen weiteren Schritt auf dem Weg der Türkei zu einem autoritären Staat.

Bei dieser Abstimmung kommt den im Ausland lebenden Türken, von denen derzeit ca. 1,5 Millionen in Deutschland leben, eine wichtige Rolle zu. Insofern ist es nicht überraschend, dass türkische Politiker Wahlkampf auf deutschem Boden führen möchten. Nach dem türkischen Minderpräsidenten Binali Yıldırım, der Mitte Februar in Oberhausen für die Verfassungsreform warb, hat sich auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt.

Ob er seinen Besuch wird durchführen können, ist indes ungewiss. Eine eigentlich für Donnerstagabend im baden-württembergischen Gaggenau geplante Rede des türkischen Justizministers Bekir Bozdag musste jedenfalls spontan entfallen, nachdem die Stadt ihre bereits erteilte Zulassung für die Nutzung der örtlichen Festhalle widerrufen hat.

Deutsch-türkische Beziehungen belastet

Der parteilose Gaggenauer Bürgermeister Michael Pfeiffer begründete die Entscheidung mit Sicherheitsbedenken.  Es sei damit zu rechnen, dass weitaus mehr Menschen zu der Veranstaltung kämen, als ursprünglich geplant. Solche Besucherzahlen könne die Halle nicht fassen. Die Entscheidung sei nicht politisch motiviert, und auch nicht mit höheren politischen Ebenen abgesprochen gewesen.

Jedenfalls aber fällt sie in ein brisantes politisches Klima. Spätestens seit der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in Istanbul sind die diplomatischen Beziehungen beider Staaten spürbar belastet. Und nicht nur Kritikern der türkischen Verfassungsreform oder des Vorgehens gegen kritische Journalisten missfällt Erdogans Wahlkampf auf deutschem Boden. Vielmehr besteht allgemein ein Interesse daran, dass innenpolitische Auseinandersetzungen anderer Staaten nicht in Deutschland ausgetragen werden.

Die Frage, ob man türkischen Politikern solche Auftritte verbieten kann, ist somit aktuell von höchster Relevanz. Um es kurz zu machen: Ein solches Verbot ist möglich, müsste aber durch die Bundesregierung erfolgen.

Erdoğan per Videoleinwand

Zu Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland gibt es einen Präzedenzfall. Im Juli 2016 verbot das Polizeipräsidium in Köln die Zuschaltung Erdoğans per Videoleinwand auf einer Kundgebung in Köln. Das Oberverwaltungsgericht Münster sah dieses Verbot als rechtmäßig an (Beschl. v. 29.07.2016, Az. 15 B 876/16). Die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes diene nicht dazu, ausländischen Staatschefs in Deutschland eine Bühne zu geben.

Ein dagegen eingelegtes Rechtsmittel wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt (Beschl. v. 30.07.2016, Az. 1 BvQ 29/16). In der Kammerentscheidung argumentierten die Richter, dass die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache offensichtlich unbegründet sei. Es sei nicht ersichtlich, dass das OVG Münster die Grundrechte des Antragstellers verkannt habe.

Allerdings ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in einem Punkt problematisch. Die Verwaltung braucht nämlich für Einschränkungen des Versammlungsrechts grundsätzlich eine gesetzliche Grundlage. Das Versammlungsgesetz, auf das sich das Polizeipräsidium in Köln berufen hatte, setzt eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung voraus.

Bloß behauptete Gefahr reicht nicht aus

Das Polizeipräsidium hatte in seinem Beschluss argumentiert, dass die Einspielung Erdoğans per Videoleinwand eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könne. Die Teilnehmer der Versammlung könnten sich "emotionalisieren" und zu Aggressionen verleiten lassen.

Aber diese Begründung scheint konstruiert. Mit dem Verweis auf abstrakt mögliche Aggressionen könnten sich alle möglichen unliebsamen politischen Versammlungen verbieten lassen.

Um den Schutz der Versammlungsfreiheit nicht zu unterlaufen, müssen daher konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt oder einer der Redner zu Gewalt aufruft. Davon kann bei Wahlkampfveranstaltungen Erdoğans jedoch nicht grundsätzlich ausgegangen werden. Sowohl die Kundgebung in Köln im Juli letzten Jahres als auch der Auftritt Yıldırıms in Oberhausen verliefen trotz Gegendemonstrationen friedlich.

In Gaggenau ist damit argumentiert worden, dass die Halle nicht ausreiche, um die erwarteten Besucherzahlen zu fassen. Allerdings ist auch dies kaum ein tragfähiges Argument, da der Gefahr einer Überbelegung der Halle in der Regel durch Einlasskontrollen begegnet werden kann.

Und warum eigentlich die Bundesregierung gefragt wäre

2/2: Verbot durch die Bundesregierung

Ein rechtlich sauberer, wenn auch diplomatisch heikler Weg, um Auftritte türkischer Politiker in Deutschland zu verhindern, führt jedenfalls nicht über Polizei oder Stadtverwaltung, sondern über die Bundesregierung. Diese könnte Erdoğan und seinen Ministern beispielsweise bereits die Einreise verweigern, was die angespannten politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei allerdings voraussehbar weiter belasten würde.

Weiterhin könnte die Bundesregierung die Einreise zwar erlauben, Auftritte bei Kundgebungen aber untersagen, um zu verhindern, dass innenpolitische Auseinandersetzungen der Türkei auf deutschem Boden ausgetragen werden. Jedoch ist diese Lösung rechtlich nicht einfach zu begründen. Denn auch hier fehlt es an einer expliziten gesetzlichen Grundlage.

Allerdings kann sich die Regierung auf die Bundeskompetenz zur Pflege auswärtiger Beziehungen in Art. 32 des Grundgesetzes berufen. Grundsätzlich sehen Verfassungsrechtler es kritisch, wenn sich die Exekutive direkt auf eine eher vage Verfassungsnorm beruft, ohne dass sie durch eine konkrete einfachgesetzliche Norm zum Handeln ermächtigt wird. Aber hier ist zu beachten, dass das Verbot zur Teilnahme an der Kundgebung an Erdoğan adressiert wäre. Als Staatsoberhaupt eines ausländischen Staates kann dieser sich grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen. Dasselbe gilt auch für seine Regierungsmannschaft.

Am Ende eine politische Entscheidung

Lediglich die deutschen Veranstalter der Kundgebung könnten sich auf die Versammlungsfreiheit berufen, weil diese grundsätzlich auch die Wahl der Redner umfasst. Ihnen gegenüber hat ein an Erdoğan gerichtetes Verbot jedoch nur mittelbare Wirkung.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung bei bloß mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Informationshandeln der Bundesregierung vom Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage abgesehen (Beschl. v. 26.06.2002, Az, 1 BvR 670/91). Bewertet man die Rechtslage bei einem durch die Bundesregierung an einen ausländischen Staatschef gerichteten Teilnahmeverbot ähnlich, würde Art. 32 GG als Grundlage genügen.

Letztlich ist ein Auftrittsverbot aber eine politische Entscheidung. Die Bundesregierung muss abwägen, welche Auswirkungen ein solches auf die politischen Beziehungen mit der Türkei hat und wie wichtig ihr die Verhinderung eines Auftritts des türkischen Präsidenten ist. Möglicherweise ist türkischer Wahlkampf auf deutschem Boden am Ende doch das geringere Übel.

Prof. Dr. Niels Petersen ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Universität Münster. Er beschäftigt sich in seiner Forschung mit Grund- und Menschenrechten.

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Prof. Dr. Niels Petersen, Verbot von türkischen Wahlkampfauftritten in Deutschland: Erdoğan und die Versammlungsfreiheit . In: Legal Tribune Online, 03.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22264/ (abgerufen am: 13.08.2022 )

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