Türkische Politiker werben in Deutschland für die umstrittene Verfassungsreform. Für ein Verbot dieser Auftritte wäre die Bundesregierung gefragt, meint Niels Petersen.
Es ist Wahlkampf in der Türkei. Am 16. April sollen die Türken über ein Reformpaket abstimmen, das in der Türkei eine Exekutivpräsidentschaft mit sehr weitreichenden präsidentiellen Befugnissen schaffen soll. Kritiker sehen darin einen weiteren Schritt auf dem Weg der Türkei zu einem autoritären Staat.
Bei dieser Abstimmung kommt den im Ausland lebenden Türken, von denen derzeit ca. 1,5 Millionen in Deutschland leben, eine wichtige Rolle zu. Insofern ist es nicht überraschend, dass türkische Politiker Wahlkampf auf deutschem Boden führen möchten. Nach dem türkischen Minderpräsidenten Binali Yıldırım, der Mitte Februar in Oberhausen für die Verfassungsreform warb, hat sich auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt.
Ob er seinen Besuch wird durchführen können, ist indes ungewiss. Eine eigentlich für Donnerstagabend im baden-württembergischen Gaggenau geplante Rede des türkischen Justizministers Bekir Bozdag musste jedenfalls spontan entfallen, nachdem die Stadt ihre bereits erteilte Zulassung für die Nutzung der örtlichen Festhalle widerrufen hat.
Deutsch-türkische Beziehungen belastet
Der parteilose Gaggenauer Bürgermeister Michael Pfeiffer begründete die Entscheidung mit Sicherheitsbedenken. Es sei damit zu rechnen, dass weitaus mehr Menschen zu der Veranstaltung kämen, als ursprünglich geplant. Solche Besucherzahlen könne die Halle nicht fassen. Die Entscheidung sei nicht politisch motiviert, und auch nicht mit höheren politischen Ebenen abgesprochen gewesen.
Jedenfalls aber fällt sie in ein brisantes politisches Klima. Spätestens seit der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in Istanbul sind die diplomatischen Beziehungen beider Staaten spürbar belastet. Und nicht nur Kritikern der türkischen Verfassungsreform oder des Vorgehens gegen kritische Journalisten missfällt Erdogans Wahlkampf auf deutschem Boden. Vielmehr besteht allgemein ein Interesse daran, dass innenpolitische Auseinandersetzungen anderer Staaten nicht in Deutschland ausgetragen werden.
Die Frage, ob man türkischen Politikern solche Auftritte verbieten kann, ist somit aktuell von höchster Relevanz. Um es kurz zu machen: Ein solches Verbot ist möglich, müsste aber durch die Bundesregierung erfolgen.
Erdoğan per Videoleinwand
Zu Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland gibt es einen Präzedenzfall. Im Juli 2016 verbot das Polizeipräsidium in Köln die Zuschaltung Erdoğans per Videoleinwand auf einer Kundgebung in Köln. Das Oberverwaltungsgericht Münster sah dieses Verbot als rechtmäßig an (Beschl. v. 29.07.2016, Az. 15 B 876/16). Die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes diene nicht dazu, ausländischen Staatschefs in Deutschland eine Bühne zu geben.
Ein dagegen eingelegtes Rechtsmittel wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt (Beschl. v. 30.07.2016, Az. 1 BvQ 29/16). In der Kammerentscheidung argumentierten die Richter, dass die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache offensichtlich unbegründet sei. Es sei nicht ersichtlich, dass das OVG Münster die Grundrechte des Antragstellers verkannt habe.
Allerdings ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in einem Punkt problematisch. Die Verwaltung braucht nämlich für Einschränkungen des Versammlungsrechts grundsätzlich eine gesetzliche Grundlage. Das Versammlungsgesetz, auf das sich das Polizeipräsidium in Köln berufen hatte, setzt eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung voraus.
Bloß behauptete Gefahr reicht nicht aus
Das Polizeipräsidium hatte in seinem Beschluss argumentiert, dass die Einspielung Erdoğans per Videoleinwand eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könne. Die Teilnehmer der Versammlung könnten sich "emotionalisieren" und zu Aggressionen verleiten lassen.
Aber diese Begründung scheint konstruiert. Mit dem Verweis auf abstrakt mögliche Aggressionen könnten sich alle möglichen unliebsamen politischen Versammlungen verbieten lassen.
Um den Schutz der Versammlungsfreiheit nicht zu unterlaufen, müssen daher konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt oder einer der Redner zu Gewalt aufruft. Davon kann bei Wahlkampfveranstaltungen Erdoğans jedoch nicht grundsätzlich ausgegangen werden. Sowohl die Kundgebung in Köln im Juli letzten Jahres als auch der Auftritt Yıldırıms in Oberhausen verliefen trotz Gegendemonstrationen friedlich.
In Gaggenau ist damit argumentiert worden, dass die Halle nicht ausreiche, um die erwarteten Besucherzahlen zu fassen. Allerdings ist auch dies kaum ein tragfähiges Argument, da der Gefahr einer Überbelegung der Halle in der Regel durch Einlasskontrollen begegnet werden kann.
Verbot von türkischen Wahlkampfauftritten in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22264 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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