Videoüberwachungsverbesserungsgesetz: Ver­bes­sert wird gar nichts

2/2: Einfachgesetzlich gegen die informationelle Selbstbestimmung

Das Gesetzgebungsvorhaben übersieht, dass mit Leben, Gesundheit und Freiheit bereits gewichtige Rechtsgüter adressiert werden, die ohnehin im Rahmen der zu treffenden Interessenabwägung zu berücksichtigen sind. Man könnte schon jetzt sagen: "in besonderem Maße". Die Überwachungsinitiative normiert auch nicht mehr als ohnehin schon gilt. Die Neuregelung ist damit unnötig und setzt ihren Auftraggeber dem Verdacht aus, Handlungsfähigkeit auf einem Gebiet vortäuschen zu wollen, auf dem der Staat die Kontrolle wohlgemerkt selbstverschuldet verloren hat – auch durch seine heftig umstrittene Flüchtlingspolitik.

Sollte sich hinter der Neuregelung die Forderung verbergen, künftig eine Interessenabwägung auf dem Gebiet der Videoüberwachung im Interesse der Sicherheit zu Lasten des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ausfallen zu lassen, wäre dies verfassungswidrig: Die Vorgaben des Grundgesetzes können nämlich nicht durch einfachgesetzliche Regelungen durchbrochen werden. Selbst wenn die Neuregelung in Kraft treten sollte, bleibt es dabei, dass sich insbesondere die Videoüberwachung von öffentlichen Verkehrsmitteln, auf deren Nutzung zahlreiche Bürger angewiesen sind, nur rechtfertigen lässt, wenn das Vorliegen einer besonderen Gefährdungslage im Einzelfall belegt werden kann.

Parallelen zur Störerhaftung vollkommen ausgeblendet

Vollkommen Übersehen wird zudem die Eingriffsintensität einer verstärkten Videoüberwachung des öffentlichen Raumes. Der mit ihr einhergehende Überwachungsdruck nötigt dem Bürger einen unfreiwilligen Grundrechtsverzicht ab, sofern er sich der Beobachtungssituation mit seinem Verhalten anpasst und überwachte Bereiche meidet oder versucht, sich unverdächtig zu geben. Die hohe Eingriffsintensität wird noch verstärkt, weil es sich um einen verdachtslosen Eingriff mit großer Streubreite handelt, der ganz überwiegend Personen erfasst, denen kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist und die selbst keinen Anlass für eine Videoüberwachung gegeben haben.

Vor diesem Hintergrund ist an das Primat der Störerhaftung zu erinnern. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz lässt sich hinsichtlich der Inanspruchnahme des Bürgers zu Sicherheitsgewährleistung der Grundsatz ableiten, dass zur Gefahrenabwehr vorrangig der Verursacher (Störer) in Anspruch zu nehmen ist. Nur in besonderen Ausnahmefällen, dem sogenannten polizeilichen Notstand, darf aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr der Nichtstörer als Adressat grundrechtsverkürzender Gefahrenabwehrmaßnahmen herangezogen werden.

Wenn die unkontrollierte Zuwanderung die Terrorgefahr tatsächlich erhöht, erscheint es angesichts dieser Grundsätze grob unbillig, der Allgemeinheit ein (weiteres) Sonderopfer zur Terrorbekämpfung abzuverlangen.

Der Autor Florian Albrecht M.A. (Kriminologie) ist Oberregierungsrat und hauptamtlich Lehrender für die Rechtsfächer an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.

Zitiervorschlag

Florian Albrecht, Videoüberwachungsverbesserungsgesetz: Verbessert wird gar nichts . In: Legal Tribune Online, 16.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21165/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen