Projektion von Elon Musks Hitlergruß wohl strafbar: "Die Straf­justiz wird zum Akteur, der übers Stöck­chen springt"

Interview von Dr. Max Kolter

30.01.2025

Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil Aktivisten Elon Musks Hitlergruß auf die Außenwand der Tesla-Fabrik projiziert haben sollen. Satire oder Straftat? Beides, sagt Matthias Jahn. Das deutsche Strafrecht kenne bei NS-Symbolen kaum Gnade.

LTO: Das "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS) postete auf X kürzlich Fotos und Videos von einer Projektion auf der Außenwand der Tesla Gigafactory in Brandenburg. Teil davon war auch ein Clip, der den Hitlergruß von Tesla-Gründer Elon Musk bei Donald Trumps Amtseinsetzung zeigt. Auf einem Foto ist über Musks ausgestrecktem Arm das Wort "Heil" zu sehen, das ergibt zusammen mit dem Tesla-Schriftzug "Heil Tesla". Herr Professor Jahn, haben Sie das gesehen?

Prof. Dr. Matthias Jahn: Ja. Allerdings nur über Medienberichte, weil ich nicht auf X bin. Denen zufolge ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die Aktivisten.

Das hat die Polizei auch in einer Meldung bestätigt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat auf LTO-Anfrage präzisiert: Der Staatsschutz ermittle nun gegen Unbekannt wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach §§ 86, 86a Strafgesetzbuch (StGB). Eine krasse Konsequenz für eine satirische Aktion einer linken Gruppe, die sich für ein AfD-Verbot ausspricht und mit der Aktion Musks Verbindungen zur AfD kritisiert.

Ja, trotzdem muss die Staatsanwaltschaft hier Ermittlungen aufnehmen, denn aus den bekannt gewordenen Videos ergibt sich zwingend ein Anfangsverdacht nach §§ 86, 86a StGB. Dieses Kennzeichen-Verbot greift insbesondere bei Symbolen, Parolen und Gesten von NS-Organisationen. Als solches Kennzeichen ist auch der Hitlergruß anzusehen.

Musks Einlassung ist typische "Schutzbehauptung"

Hat Elon Musk denn einen Hitlergruß gezeigt? Er sagte vorher "my heart goes out to you" und  behauptet, mit der Armbewegung dem Publikum nur sein Herz zugeworfen zu haben.

Was Musk behauptet, würde ein deutscher Strafrichter wohl als Schutzbehauptung verbuchen. Typischerweise lassen sich Beschuldigte dahingehend ein, das sei ja gar nicht so gemeint, sondern von den Zuschauern falsch verstanden. Es ist hier eindeutig zu sehen, dass Musk seine rechte Hand zum sogenannten deutschen Gruß erhebt. Hier haben die Gerichte schon vielfach entschieden, dass das unter § 86a StGB fällt.

Nun hat Musk die Geste in Washington, D.C. gemacht, weshalb wohl kein Anknüpfungspunkt für eine Strafverfolgung in Deutschland besteht. Gegen ihn wird also nicht ermittelt, gegen das ZPS jetzt allerdings schon. Sie sagen nun: Wenn Musk die Geste auf deutschem Boden gemacht hätte, müsste auch gegen ihn ermittelt werden?

Das ist so. Da käme es auch nicht drauf an, ob die Geste exakt dem Standardbild des Hitlergrußes entspricht. Gerichte haben schon vor Jahrzehnten gesagt, dass es egal ist, ob der rechte oder linke Arm verwendet wird, dass es auf diese Feinheiten nicht ankommen darf. Der Gesetzgeber hat vor mehr als 30 Jahren in § 86a Abs. 2 StGB aufgenommen, dass von den verbotenen Kennzeichen auch solche erfasst sind, die den genannten "zum Verwechseln ähnlich sind".

Aber man muss ja schon mit Vorsatz handeln.

Das stimmt. Man muss wissen und erkennen, dass man ein Kennzeichen verwendet, das einer Verwendung durch eine Nazi-Organisation entspricht. Das ist ein aktuelles Problem im Fall von Björn Höckes "Alles für Deutschland". Das Landgericht Halle hat ihm Vorsatz unterstellt; ob es dabei Fehler gemacht hat, wird nun der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden müssen.

Das heißt: Wenn man den Hitlergruß kennt und provokant eine ambivalente Geste macht, von der man weiß, dass sie so verstanden werden kann, dann ist das von § 86a StGB auch dann erfasst, wenn man selbst keine Nazi-Symbolik gutheißt?

Ein deutscher Richter würde darauf antworten: Es kommt drauf an. Das ist letztlich eine Tatfrage. Aber klar ist: Wenn man sich erst im Nachhinein darauf beruft, dass man das alles nicht so gemeint habe oder dass man contra Nationalsozialismus habe handeln wollen, dann läuft man Gefahr, dass einem die Gerichte das nicht abnehmen. Das ist auch richtig so.

"Cancel Culture mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts"

Prof. Dr. Matthias Jahn / Foto: Uwe Dettmar

Greift das nicht weit in die Meinungsfreiheit ein?

Ja, aber das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dazu sehr klar gemacht, dass diese Strafvorschrift eine absolute Tabuzone markiert. Und das gilt unabhängig davon, ob der Geste oder der Parole ein lauteres Motiv zugrunde liegt.

§ 86a ermöglicht damit Cancel Culture, und zwar mit dem Segen des BVerfG. Die Norm will als abstraktes Gefährdungsdelikt verhindern, dass die Verwendung von Nazi-Symbolik, Nazi-Sprech und Nazi-Gesten wieder zu unserem Alltag gehören darf. Diesen sehr weitgehenden Schutzzweck hat das BVerfG vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte dick unterstrichen. Die Botschaft ist klar: Finger weg von Nazi-Gestik, -Rhetorik und allem, was damit assoziiert ist.

Diesem weiten Schutzzweck müsste es dann ja auch entsprechen, alle Verbreitungsformen zu verbieten. Also dass das ZPS hier die Geste eines anderen nur per Lichtstrahlen projiziert hat, ist egal.

Alles, was man sehen, hören oder sonst wie sinnlich wahrnehmen kann und was Gegenstand von Kommunikation ist, gehört in diese Tabuzone.

Wenn die Aktion doch ein Fake wäre? Die Brandenburger Polizei war wohl zunächst davon ausgegangen. Aber dann wäre ja der Post auf X auch eine Verbreitung i.S.v. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB?

In der Tat macht es keinen Unterschied, ob die Aktion tatsächlich stattgefunden hat oder ob sie nur für Social Media wirklichkeitstreu inszeniert worden ist. Nazi-Symbolik auch bloß im virtuellen Raum bleibt Nazi-Symbolik.

"Politisches Bewusstsein für Deformationen der Gegenwartskultur wecken"

Die Aktion der Gruppe ist aber doch ein Zitat. Die Person, die die problematische Geste gemacht hat, ist Elon Musk, sein Verhalten unterliegt aber nicht deutschem Strafrecht. Das ZPS schreibt nun auf X: "Polizei ermittelt nun wegen 'Anfangsverdacht der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen!' Hoffen wir, dass Elon Musk nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen kann." Es scheint also genau das Ziel der Aktion gewesen zu sein, dass Musks Verhalten hier doch wenigstens indirekt nach deutschem Strafrecht geprüft wird.

Das würde ich auch so sehen.

Ist diese Intention im Rahmen der Strafbarkeit des ZPS nicht auch relevant? Wenn man jemanden mit einer problematischen Geste zitiert, macht man sich diese ja nicht zu eigen.

Die Aktivisten könnten sich darauf berufen, dass es sich um eine Satireaktion handelt. Für diese Verteidigung gibt es auch eine Grundlage im Gesetz: § 86a StGB verweist ausdrücklich auf § 86 StGB, und dort gibt es in Abs. 4 die sogenannte Sozialadäquanzklausel. Danach bleibt eine Äußerung straflos, wenn sie der Aufklärung, Kunst oder Berichterstattung über zeitgeschichtliche Vorgänge dient. 

Man kann davon ausgehen, dass sich das ZPS darauf beruft. Das hat sich ja auf die Fahnen geschrieben, durch satirische Aktionen – immer hart an der Grenze der Geschmacklosigkeit – politisches Bewusstsein für Deformationen der Gegenwartskultur zu wecken.

Wird das klappen?

Das glaube ich nicht. Die Rechtsprechung ist bei Anwendung dieser Klausel bislang sehr restriktiv vorgegangen. Beschuldigte haben das schon vielfach vorgetragen, ohne dass das von Erfolg gekrönt gewesen wäre.

Aber es ermöglicht dem ZPS perspektivisch den Weg zum BVerfG nach Karlsruhe. Das ist ja hier vielleicht auch das Ziel. Das ZPS kalkuliert die Möglichkeit der Strafverfolgung bewusst ein, und muss das auch tun, weil nur das die Öffentlichkeitswirkung herstellt, die man herstellen will. Das ist ähnlich wie bei der Letzten Generation. Man muss da die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten oder jedenfalls mit dieser Grenze spielen, weil sonst in einer überhitzten Debatte niemand mehr zuhört.

Und der Fall eines SZ-Redakteurs?

§ 86a StGB ist eine sehr starre Strafvorschrift. Sehen Sie eine Gefahr, dass die deutsche Strafrechtsordnung gerade im Fall von satirischer Kritik überreguliert?

Ja, diese Gefahr sehe ich. Diese Überreaktion wird hier von den Aktivisten ins Kalkül gezogen: Die Strafjustiz wird hier zum Akteur, der über das Stöckchen springt, das man ihm hinhält. Aber sie muss das tun, denn das Legalitätsprinzip zwingt sie dazu, bei jedem Verdacht einer Straftat Ermittlungen aufzunehmen. 

In Fällen wie diesem ist das wohl auch Teil der Machtkritik, die mit der Aktion zum Ausdruck gebracht werden soll. Das führt jetzt dazu, dass sich Strafjuristen über die Strafbarkeit tiefe Gedanken machen müssen. Das ist – ungeachtet der Strafbarkeit – ein mit künstlerischen Mitteln umgesetzter kluger Hinweis, dass wir in einzelnen Bereichen eine solche Cancel Culture nicht nur hinnehmen, sondern aktiv fordern.

Während Aktivisten die Strafbarkeit in Kauf nehmen, dürfte das in einem anderen aktuellen Fall nicht so sein. Ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ) tweetete vor einigen Tagen "Sieg Heil, liebe CDU". Er übte dabei Kritik an einer Aussage von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der gesagt hatte, er sei vom "Brandmauergerede" genervt. Ermittlungen sind zwar nicht bekannt, aber eigentlich müsste seine Aussage auch unter § 86a StGB fallen, oder?

Dafür spricht Vieles. Ein Ermittlungsverfahren erscheint mir hier konsequent. Gerichte haben schon vielfach entschieden, dass die Verwendung der Losung "Sieg heil" unter § 86a StGB zu subsumieren ist. Da könnte es am Ende eine Geldstrafe geben, die aber in solchen Fällen bei Ersttätern 30 bis 60 Tagessätze selten überschreitet; das wird auch meist per Strafbefehl erledigt.

"Ablehnung der NS-Ideologie in der Aussage selbst" 

Die SZ hat sich von den Äußerungen distanziert und sie "aufs Schärfste verurteilt". Der betreffende Tweet ist gelöscht. Der Redakteur hat sich zudem später für seine "unangemessenen Worte" entschuldigt. Seine Motivation kann ich persönlich durchaus nachvollziehen: Er sei "empört und bestürzt, dass die CDU sich derzeit offenbar Mehrheiten bei den Rechtsradikalen sucht", was ja nun auch geschehen ist. Gibt es da keine Ausnahme im Gesetz, die ihm helfen könnte?

Ich kann keine erkennen. Sein Tweet ist erkennbar eine persönliche Meinungs- bzw. Frustrationsbekundung. Berichterstattung ist das nicht, auch keine Satire.

Aber es gibt ja noch die ungeschriebene Ausnahme, die die Rechtsprechung vornimmt, wenn die Aussage im Einzelfall nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB zuwiderläuft. Könnte die nicht sowohl zugunsten des SZ-Redakteurs als auch zugunsten des ZPS eingreifen?

Dazu muss der Äußernde in der Aussage selbst erkennbar und eindeutig seine Ablehnung der NS-Ideologie bekunden. Das ist mittlerweile anerkannt bei NS-Zeichen, die durchgestrichen sind, oder wenn ein Hakenkreuz in einen Mülleimer geworfen wird.

Jenseits von Zeichen scheitert diese Verteidigung vor Gerichten aber regelmäßig. Vereinfachend kann man sagen: Wenn man mehr als zwei, drei Sätze braucht, um zu erklären, worin überhaupt die Distanzierung liegen soll, dann ist die von der Rechtsprechung geöffnete Hintertür fest verschlossen.

Herr Professor Jahn, vielen Dank für das Gespräch!

 

Prof. Dr. Matthias Jahn ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Richter am dortigen Oberlandesgericht.

 

Sowohl das Zentrum für Politische Schönheit als auch der SZ-Redakteur haben auf die Bitte von LTO um Stellungnahme bis zum Erscheinen des Artikels nicht reagiert. Weitere LTO-Anfragen haben ergeben, dass weder bei der Staatsanwaltschaft in Berlin, wo der Redakteur laut SZ-Autorenprofil seinen Arbeitsort hat, noch bei der Staatsanwaltschaft München II ein Ermittlungsverfahren geführt wird. Bekannt ist jedoch, dass bei der Staatsanwaltschaft München I eine Strafanzeige eingegangen ist. Die Behörde bestätigte LTO nach mehrfacher Anfrage zwar den Eingang; ein Aktenzeichen sei aber noch nicht vergeben worden.

Eine weitere Interview-Frage und -Antwort zur Verfolgbarkeit von Elon Musk in Deutschland wurde nachträglich gestrichen, weil sie die Rechtslage zur Anwendbarkeit des § 86a StGB auf Äußerungen im Ausland nach §§ 3, 9 StGB nicht vollständig wiedergegeben hat (Änderung am 03.02.2025, 18:55 Uhr, mk).

Zitiervorschlag

Projektion von Elon Musks Hitlergruß wohl strafbar: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56477 (abgerufen am: 11.02.2025 )

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