Die Steuererklärung soll ab 2017 komplett elektronisch abgegeben und bearbeitet werden. Den Ämtern erleichtert das die Arbeit. Nicht nur für Arbeitgeber und Krankenversicherer ist es aber ziemlich riskant, meint Dennis Klein.
Das Bundeskabinett hat am 9. Dezember 2015 den Regierungsentwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens beschlossen. Im Kern geht es darum, die elektronische Steuererklärung und deren automatische Bearbeitung zu forcieren.
Der Gesetzentwurf enthält ein ganzes Bündel an Maßnahmenpaketen, die, beginnend ab 2017 bis 2022, die Digitalisierung der Steuerverwaltung voranbringen sollen.
Bürger müssen nur noch die vorausgefüllten Formulare freigeben und ohne Belege an die Ämter senden. Dort prüft ein Computer die Daten und verschickt ganz automatisch die elektronischen Bescheide. Lediglich in wenigen geheimen Ausnahmefällen soll es noch gesonderte Einzelprüfungen geben.
Statt des lästigen Formularkrieges also zukünftig die smarte Erklärung per Knopfdruck? Erwartungsgemäß preist die Bundesregierung diese als ein Mehr an Serviceorientierung und Nutzerfreundlichkeit für die Bürgerinnen und Bürger an.
Bei Lichte betrachtet besteht das eigentliche Ziel darin, den Finanzämtern durch eine vollautomatische Bearbeitung der Steuererklärung die Arbeit zu erleichtern. Das ist zumindest ehrlich, denn bereits jetzt wird nicht mehr jedes Formular einzeln geprüft. Doch am Ende könnte sich die Modernisierung als Bumerang für den Steuerzahler erweisen.
Maschine statt Mensch
Schon jetzt prüfen Finanzbeamte die Steuererklärungen unterschiedlich genau. Zukünftig würde bei Standardfällen im Finanzamt gar kein Mensch mehr die Steuererklärung zu sehen bekommen. Stattdessen übernimmt der Computer komplett die Regie und erlässt automatisch die Steuerbescheide – die dann auch nicht mehr auf Papier, sondern auf elektronischem Wege daherkommen.
Eine zentrale Maßnahme ist hierfür, die bereits bestehende elektronische Steuererklärung "Elster" (Akronym für "elektronische Steuererklärung") weiter auszubauen. Bislang müssen die Steuerpflichtigen ihre Daten häufig noch selbst in das Elster-Portal übertragen, der elektronische Informationsfluss ist durch zahlreiche Papierbelege gestört. Zudem ist es sogar noch möglich, die Steuererklärung auf Papier abzugeben – dann müssen die Finanzbeamten die Daten noch mühsam per Hand vom Steuerformular in den Computer tippen.
Zukünftig sollen die Daten nur noch elektronisch an das Finanzamt übermittelt werden können. Außerdem soll zukünftig leichter auf die elektronisch übermittelten Daten von Arbeitgebern, Krankenversicherungen oder Banken zurückgegriffen werden. Der Bürger erhält dann eine vom Finanzamt automatisch mit den von dritter Seite übermittelten Daten vorausgefüllte Steuererklärung. Diese muss er dann nur noch freigeben, statt sie selber auszufüllen.
2/2: Das Finanzamt soll gar nicht genau hinsehen
Und das Finanzamt soll gar nicht mehr genau hinsehen. Stattdessen schwebt der Bun-desregierung eine vollautomatische Bearbeitung mit elektronischem Bescheiderlass vor. Belege soll der Bürger nicht mehr mitschicken, sondern nur noch vorhalten. Die bislang vorgesehene Detailprüfung im Einzelfall wird durch eine maschinelle Massenbearbeitung ersetzt.
Lediglich bestimmte Risikofilter sollen punktuell die Prüfung durch einen Finanzbeamten erzwingen. Das dortige Personal kann sich also auf die komplizierten Fälle konzentrieren. Oder abgebaut werden – wenngleich die Bundesregierung dies so natürlich nie zugeben würde.
Fehler dürften dem Steuerpflichtigen in der Praxis seltener auffallen. Denn er muss die Steuererklärung nur noch freigeben, statt sie selber auszufüllen und vorzubereiten. Auch das Finanzamt guckt anschließend nicht mehr genau hin.
Die Verantwortung für die Richtigkeit der Steuererklärung wird damit zunehmend auf die Datenlieferanten verlagert. Der Gesetzentwurf sieht darum deren Haftung vor, wenn infolge falscher oder unvollständiger Daten zu niedrige Steuern erhoben werden. Steuerberaterverbände laufen bereits Sturm gegen diese Risikoverlagerung.
Legalisierung der "grünen" Wochen
Dem Gesetzentwurf ist aber zugute zu halten, dass er realistischer und ehrlicher als die jetzige Verfahrensweise ist. Viele Finanzämter ächzen unter der Arbeitsbelastung. Es fehlt vielfach schlicht das Personal, um alle Steuererklärungen gleich gründlich zu bear-beiten und zu überprüfen.
Inoffiziell gibt es daher sog. "grüne" Wochen, wonach bestimmte Angaben einfach "durchgewunken" werden, um die Arbeit vom Tisch zu bekommen.
Standardisierte Automatikbearbeitung ist daher eine Lösungsmöglichkeit. Die eingebauten Risikofilter, bei denen genauer nachgeprüft wird, stellen einen angemessenen Kompromiss her, den Steuervollzug einerseits gründlich, andererseits aber auch wirtschaftlich zu gestalten. Hieran dürfte kein Weg vorbeigehen.
Die Risikofilter sollen übrigens geheim bleiben, damit Steuerpflichtige überall mit einer Prüfung rechnen müssen. Unter Rechtsstaatsgesichtspunkten ist aber zweifelhaft, ob die Verwaltung die Kriterien ihres Handelns geheim halten darf.
Alleingelassen im Steuerdschungel
An die eigentliche Problematik gehen die Maßnahmen dieses Gesetzesentwurfes jedoch nicht heran. Geregelt werden nur Verfahrensfragen, also wie die Steuererklärung abgegeben und bearbeitet wird. Die inhaltlichen Fragen, also was im Detail in den Steuererklärungen steht, bleiben unverändert. Eine umfassende Modernisierung im Sinne einer Steuerreform ist nicht vorgesehen.
Die gepriesene Serviceorientierung kann sich für manchen Steuerpflichtigen sogar als Bumerang erweisen. Die Abgabe der Steuererklärung wird zwar erleichtert. Was darin steht, muss man sich aber bei vorausgefüllter Steuererklärung nicht mehr so genau ansehen, geschweige denn verstehen.
Bislang ist es auch Aufgabe des Finanzamtes, Punkte zu Gunsten des Bürgers zu berücksichtigen und zu prüfen. Hiervon zieht sich der Staat bei automatischer Standardbearbeitung ein Stück weit zurück und lässt den Bürger im Steuerdschungel allein.
Der Verfasser ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.
Prof. Dr. Dennis Klein, Elster soll Finanzbeamte und Belege ersetzen: Von der Steuererklärung zum positiven Steuerzahlererlebnis . In: Legal Tribune Online, 10.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17814/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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