Sozialbehörden müssen neugierig sein, Geheimniskrämerei und behauptete Bedürftigkeit beißen sich. Auch wer Sozialleistungen bezieht, hat aber ein Recht auf Privatsphäre und Datenschutz. Das OVG Thüringen zeigt in einem aktuellen Urteil die Grenzen der Ermittlungen von Außendienstmitarbeitern im Auftrag des Sozialstaats auf.
Unsere Vorstellung von Detektiven ist geprägt vom klug kombinierenden Sherlock Holmes, der scheinbar schusseligen Miss Marple und dem echt coolen Philip Marlowe. Zu diesem romantischen Typus des Privatermittlers gesellt sich seit einiger Zeit die weniger telegene Spezies des Sozialdetektivs. Dieser geht im amtlichen Auftrag Hinweisen auf Missbrauch von Sozialleistungen nach oder erforscht behauptete Bedarfe im privaten Milieu.
In einem vom Oberverwaltungsgericht des Landes Thüringen entschiedenen Fall (OVG, Urt. v. 25.11.2010, Az. 1 KO 527/08) hatte die Stadt Eisenach als zuständiges Sozial- und Jugendamt die nun klagende Sozialhilfeempfängerin verdächtigt, seit Mai 2001 zu Unrecht vom monatlichen Kindergartenbeitrag für ihre damals dreijährige Tochter in Höhe von 76,70 Euro befreit zu werden.
Das Amt glaubte, die Sozialhilfe beziehende Klägerin lebe mit dem Vater ihrer beiden Töchter in einer so genannten eheähnlichen Lebensgemeinschaft; dessen Einkommen sei somit ihr zurechnen und die bezogenen Sozialhilfeleistungen daher jedenfalls zu hoch. Auf schriftliche Nachfragen hatte die Klägerin verneint, in einer solchen Gemeinschaft zu leben.
Die Stadt ließ daher von Anfang Mai bis September 2001 durch ihre Mitarbeiter die Wohnung der Klägerin observieren. Die Mitarbeiter befragten auch deren Nachbarn. In der Zeit von August bis September ruhten die Augen der Sozialdetektive zeitweise sogar rund um die Uhr auf der Wohnung der Klägerin.
Bären im Dienst
Im Juli 2001 war der ins Blickfeld der rührigen Ermittler geratene verheiratete Kindesvater in eine eigene Wohnung nach Eisenach gezogen. Häufiger besuchte er in der Folgezeit die Klägerin und seine beiden Töchter in deren Wohnung, er begleitete sie gelegentlich bei Behördengängen oder nahm solche für die Klägerin wahr.
Im September 2001 offenbarte die Stadt der Klägerin gegenüber die Ergebnisse der bis dahin verdeckten Ermittlungen, kündigte an, die Sozialhilfe zu streichen und forderte sie auf, sämtliche Einkommensunterlagen des Kindesvaters beizubringen. Nachdem die Klägerin dies ignorierte, stellte das Amt die Übernahme des Beitrages für den Kindergarten ein.
Auf den Widerspruch der Klägerin hob die Behörde ihren Bescheid jedoch wieder auf. Die Sozialhilfeempfängerin hatte glaubhaft vorgetragen, dass sie nicht mit dem Kindesvater in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebe. Dieser betreue und erziehe seine Töchter lediglich mit. Sie bekomme auch kein Geld von ihm.
Füchse auf der Richterbank
Mit der anschließend erhobenen Klage begehrte die Verdächtigte, festzustellen, dass die Ermittlungen rechtswidrig gewesen seien. Diese hätten in ihre grundrechtlich geschützte Privat- und Intimsphäre eingegriffen. Es habe an einer gesetzlichen Grundlage gefehlt. Ein konkreter Verdacht habe nicht bestanden. Schließlich sei der Eingriff unverhältnismäßig gewesen.
Das OVG gab der Sozialhilfeempfängerin nun Recht. Die beklagte Stadt könne die Datenerhebung nicht auf eine verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage stützen. Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Regelung des § 62 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII lägen nicht vor.
Es sei bereits fraglich, ob die Erhebung der Sozialdaten erforderlich gewesen wäre, denn die Häufigkeit der Kontakte zwischen der Klägerin und dem Kindesvater hätte nichts dafür hergegeben, eine eheähnliche Lebensgemeinschaft anzunehmen, da sie nicht zusammen wohnten. Die Ermittlungen hätten vielmehr in grob rechtswidriger Weise "hinter dem Rücken" der betroffenen Klägerin stattgefunden.
Eine solche "Fremderhebung" wegen Unmöglichkeit der Datenerhebung beim Betroffenen sei hier nicht zulässig gewesen. Es sei nicht klar gewesen, ob die Klägerin nicht doch bereit gewesen wäre, weitere Tatsachen zu offenbaren, wenn die Mitarbeiter der Beklagten insistiert oder konkrete Fragen gestellt hätten. Einer Information durch Dritte hätte es nicht bedurft.
Luchse für das Grundgesetz
Das OVG konnte schon aus tatsächlicher Sicht nicht anders entscheiden. Die Stadt ist mit dem kostspieligen Einsatz ihrer geduldigen Ermittler weit über das Ziel hinaus geschossen. Spätestens ab Juli 2001 mit dem Zuzug des Vaters der beiden Töchter nach Eisenach hätte das Sozial- und Jugendamt durch einfaches Befragen den maßgeblichen Sachverhalt klären können. So aber hatte die Klägerin gar keine Chance, ausreichend mitzuwirken.
Das Gericht, das sich für die Entscheidung über die Berufung der erstinstanzlich unterlegenen Sozialhilfeempfängerin immerhin vier Jahre Zeit gelassen hat, betont in seinem ausführlichen Urteil ferner zu Recht die wichtigen Grundsätze des besonderen Datenschutzes im Sozialrecht. § 35 SGB I schützt das Sozialgeheimnis. Hiernach hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten (§ 67 Abs. 1 SGB X) nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.
Diese grundlegenden Bestimmungen konkretisieren das durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. mit Art 1 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, welches das Bundesverfassungsgericht im berühmten Volkszählungsurteil 1983 aus der Taufe hob. Jeder darf grundsätzlich selbst entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Eingriffe in dieses Recht sind nur auf Grund eines Gesetzes zulässig, das die Zulässigkeit auf die konkrete aufgabenbezogene Erforderlichkeit begrenzt wie hier die Sondernorm des § 62 SGB VIII (oder die allgemeinen Vorschriften in §§ 67 ff. SGB X).
Kiebitze im Amt
Der Einsatz von Sozialdetektiven in diesem grundrechtlich sensiblen "normativen Minenfeld" ist umstritten. Die Ämter sind indes gelegentlich auf deren Einsatz angewiesen, um den Missbrauch von Sozialleistungen bei konkreten Verdachtslagen wirksam zu kontrollieren. Den Arbeitsagenturen ist es nach § 6 SGB II sogar ausdrücklich erlaubt, einen Außendienst zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch einzurichten.
Das Sozialverwaltungsverfahren hat zudem einen investigativen Kern. Die für die Verwaltungsentscheidungen erforderlichen Tatsachen sind von Amts wegen zu ermitteln (Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X). Die Behörde kann Auskünfte jeder Art einholen, Beteiligte anhören, Zeugen vernehmen, Urkunden beiziehen und Sachen und Orte in Augenschein nehmen, § 21 SGB X. Die Antragsteller haben mitzuwirken und müssen wesentliche Angaben machen. Weigern sie sich, kann die Leistung unter den Voraussetzungen des §§ 61 ff. SGB I bereits wegen fehlender Mitwirkung versagt werden.
Für längere Observationen beziehungsweise die gezielte Gewinnung von Informationen, die Rückschlüsse auf die Lebensführung des Betroffenen ermöglichen, sind die bekannten gesetzlichen Grundlagen aber wenig tragfähig.
Wie die eingangs erwähnten berüchtigten Privatdetektive bewegen sich die im Auftrag der Sozialleistungsträger weniger glamourös agierenden Sozialdetektive oft in einer rechtlichen Grauzone. Die Normen des Sozialrechts harren hier noch der verfassungsrechtlich adäquaten gesetzlichen Anpassung.
Der Autor Franz Dillmann ist Verwaltungsjurist und leitet die Rechtsabteilung eines überörtlichen Sozialhilfeträgers. Er publiziert regelmäßig zu sozialrechtlichen Themen.
Einsatz von Sozialdetektiven: . In: Legal Tribune Online, 05.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2271 (abgerufen am: 14.12.2024 )
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