Am Dienstag hat die EU-Kommission den mit Spannung erwarteten Entwurf für ein einheitliches europäisches Kaufrecht vorgestellt. Der Einkauf in ausländischen Online-Shops soll einfacher werden. Christoph Busch über mehr Rechte für Verbraucher, nur noch zwei Rechtsordnungen für Unternehmer und neue Rechtsprobleme für Anwälte.
Der Europäische Binnenmarkt wird bald 20 Jahre alt. Jetzt wählt die Kommission einen neuen Weg, um ihn auf Touren zu bringen. Das Ziel ist nicht mehr wie bisher, die bestehenden nationalen Vorschriften mühsam zu vereinheitlichen. Einen Turbo für den Binnenmarkt soll künftig ein gemeinsames EU-Kaufrecht liefern, das die nationalen Vorschriften nicht ersetzt, sondern als Alternative neben die Rechtsordnungen der 27 Mitgliedstaaten treten soll.
Gelten werden die neuen Regeln nur dann, wenn die Vertragsparteien das vereinbaren. Die Wahl des EU-Kaufrechts soll möglich sein für den Einkauf von Waren und den Erwerb digitaler Produkte wie Musik, Filme und Smartphone-Apps.
Bislang läuft der Binnenmarkt, der oft als Motor der europäischen Integration beschrieben wird, nur stotternd. Die Möglichkeit zum grenzübergreifenden Online-Shopping nutzen nach einer aktuellen Studie nur 7 Prozent der Verbraucher. Und wer doch versucht, in einem ausländischen Webshop einzukaufen, erhält allzu oft die ernüchternde Nachricht: "In ihr Land liefern wir leider nicht." Auch viele Unternehmen scheuen sich, grenzübergreifende Verträge abzuschließen, nur 10 Prozent von ihnen liefern ihre Produkte ins Ausland.
Exportorientierte Unternehmen: Nur noch zwei Rechtsordnungen
Ein Grund hierfür sind die erheblichen rechtlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Ein Unternehmen, das Verbraucher im ganzen Binnenmarkt beliefern will, muss sich mit den zwingenden Verbraucherschutzregeln aus 27 Ländern auseinandersetzen.
Gerade für mittelständische Unternehmen sind die dadurch entstehenden Rechtsberatungskosten eine erhebliche Belastung. Nicht wenige deutsche Unternehmen verzichten daher lieber darauf, ihre Waren auch in Dänemark, Lettland oder Portugal anzubieten. Umgekehrt stehen deutschen Verbrauchern viele günstige Angebote aus dem Ausland nicht zur Verfügung.
Die Pläne der Kommission versprechen gerade für exportorientierte Unternehmen eine erhebliche Vereinfachung. Die Unternehmen müssen künftig nur noch zwei statt 27 Rechtsordnungen beachten: das Recht ihres Heimatlandes für Inlandsgeschäfte und das EU-Kaufrecht für den Export ins europäische Ausland. Sollten die Pläne der EU-Kommission, denen das EU-Parlament und der Ministerrat noch zustimmen müssen, Wirklichkeit werden, dürfte die Zahl der exportbereiten Unternehmen zunehmen. Für die europäischen Verbraucher bedeutet dies mehr Auswahl und bessere Qualität.
Verbraucher: Mehr Rechte
Die ersten Reaktionen der Verbraucherschutzverbände sind allerdings zurückhaltend. Sie fürchten, dass die Verbraucher durch das neue EU-Kaufrecht Nachteile erleiden, da die Rechtslage komplizierter werde. Die Sorge erscheint jedoch unbegründet. Das Nebeneinander von EU-Kaufrecht und deutschem Recht bedeutet zwar, dass die Verbraucher sich an einige neue Regeln gewöhnen müssen. Für smarte Shopper bietet das jedoch Vorteile: Sie können sich künftig das Angebot mit den günstigsten Vertragsbedingungen aussuchen.
Dabei dürfte nicht selten die Wahl auf das Produkt fallen, das nach EU-Kaufrecht angeboten wird. Denn in einigen Punkten ist das neue EU-Kaufrecht verbraucherfreundlicher als das geltende deutsche Recht.
Wer etwa ein fehlerhaftes Produkt kauft, muss nach deutschem Recht dem Verkäufer zunächst die Möglichkeit einräumen, den Mangel durch Nachlieferung oder Reparatur zu beseitigen. Erst wenn das fehlschlägt, kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten.
Das EU-Kaufrecht gibt dem Käufer hingegen das Recht, sofort sein Geld zurück zu verlangen, ohne sich auf langwierige Nachbesserungsversuche einzulassen. Für Unternehmen dürfte die leichte Anhebung des Verbraucherschutzniveaus zu verkraften sein. Immerhin gewinnen sie im Gegenzug Rechtssicherheit und sparen Rechtsberatungskosten.
Anwälte: Immer noch genug zu tun
Die Kommission beschränkt ihren Vorschlag nur auf Kaufverträge und die Lieferung digitaler Produkte. Dabei wären die Vorteile, die das neue Modell bietet, durchaus auf andere häufig grenzüberschreitend nachgefragte Leistungen wie etwa die Online-Bestellung eines Mietwagens oder Hotelbuchungen übertragbar.
Zu eng ist auch die Beschränkung der neuen Regeln auf grenzüberschreitende Verträge. Für Unternehmen wäre es noch praktischer, wenn sie das EU-Kaufrecht auch für Inlandsgeschäfte wählen könnten. Hier ist der deutsche Gesetzgeber gefragt. Der Vorschlag überlässt es den Mitgliedstaaten, ob sie die Wahl des EU-Kaufrechts auch im Inland zulassen.
Gefährlicher aber als die Beschränkung des Geltungsbereichs sind einige Lücken, die der Etnwurf enthält. So fehlen etwa Regeln über die Rechts- und Sittenwidrigkeit von Verträgen oder die Wirksamkeit einer Stellvertretung. Für diese Fragen wird also auch künftig zu ermitteln sein, welches nationale Recht Anwendung findet.
Ganz ohne Rechtsberatung finden sich Verbraucher und Unternehmer daher wohl auch in Zukunft nicht im Binnenmarkt zurecht. Die EU-Kommission sieht das nicht anders. Das Informationsblatt, das sie dem Verordnungsvorschlag beigefügt hat, schließt mit den Worten: "Im Streitfall ist eine rechtliche Beratung zu empfehlen." Die Anwälte dürfte es freuen.
Dr. Christoph Busch, Maître en Droit, ist Mitherausgeber des Journal of European Consumer and Market Law und arbeitet am European Legal Studies Institute der Universität Osnabrück.
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Einheitliches EU-Kaufrecht: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4532 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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