Erstes Jubiläum des UrhDaG: Die Gewinner und Ver­lierer der Urhe­ber­rechts­re­form

von Prof. Dr. Christian-Henner Hentsch

01.08.2022

Seit einem Jahr ist das Gesetz in Kraft, das auch die von vielen gefürchteten Uploadfilter ins deutsche Recht gebracht hat. Die Probleme liegen in der Praxis aber woanders, zeigt Christian-Henner Hentsch in seiner Zwischenbilanz.

Ein Jahr Uploadfiltergesetz– am 1. August 2021 ist das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) mit den neuen Regelungen zur Haftung von Social-Media-Plattformen in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat damit insbesondere den politisch höchst umstrittene Art. 17 der DSM-Urheberrechtsrichtlinie umgesetzt. Ziel der Urheberrechtsreform war aber vor allem die Errichtung eines digitalen Binnenmarktes. Zudem sollte es auch endlich Rechtssicherheit dazu geben, ob Social-Media-Plattformen urheberrechtlich relevante Handlungen vornehmen und sie für das Hochladen von Inhalten durch ihre Nutzer, die nicht Inhaber der einschlägigen Rechte an den hochgeladenen Inhalten sind, die Erlaubnis der Rechteinhaber einholen müssen.

Der deutsche Gesetzgeber hat durch das UrhDaG die Vorgaben der EU-Richtlinie in einem eigenen Stammgesetz implementiert. Das Gesetz adressiert Diensteanbieter, deren Hauptzweck es ist, eine große Menge an von Dritten hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Inhalten zu speichern und öffentlich zugänglich zu machen. Ausgenommen sind Start-ups und kleine Diensteanbieter sowie die in § 3 UrhDaG aufgeführten Dienste wie beispielsweise Online-Marktplätze oder Online-Enzyklopädien.

Letztendlich richtet sich dieses Gesetz also an Social-Media-Plattformen wie YouTube, Facebook, TikTok oder Instagram. Diese sind verpflichtet, bestmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die vertraglichen Nutzungsrechte für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke zu erwerben. Hier wird also kein neues Verwertungsrecht geschaffen oder die öffentliche Zugänglichmachung nach § 19a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) ausgeweitet, es werden lediglich Verhaltenspflichten eingeführt. Social-Media-Plattformen greifen also nicht in Verwertungsrechte ein, sondern haften nur dann, wenn sie gegen die Verhaltenspflichten verstoßen.

Private Nutzer haften nicht

Sogar gänzlich befreit von der Haftung werden durch das UrhDaG die Nutzerinnen und Nutzer der Plattformen, indem die Erlaubnisse der Diensteanbieter über eine gesetzliche Fiktion auf private Nutzerinnen und Nutzer erstreckt werden. Für kommerzielle Influencer oder Let’s Player, die ihre Videos mit urheberrechtlich geschütztem Material Dritter über Werbung monetarisieren, gilt diese Regelung nicht. Sofern eine Plattform für einen urheberrechtlich geschützten Inhalt keine Erlaubnis für die Nutzung durch private Nutzer erhalten hat und auch keine gesetzliche Erlaubnis greift, muss bei einem entsprechenden Hinweis des Rechteinhabers der Upload von der Plattform entfernt werden.

Die in der Debatte gefürchteten Uploadfilter sind dabei nur unter engen Voraussetzungen zulässig. So gilt zum Schutz vor Overblocking eine widerlegbare Vermutung, dass nutzergenerierte Inhalte erlaubt sind, wenn sie weniger als die Hälfte eines Werkes enthalten, Werke kombinieren oder sie nur geringfügig genutzt werden. Zudem können Nutzungen als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet werden (trusted flagging). Auch ein Beschwerdeverfahren und Maßnahmen gegen Missbrauch sind im Gesetz vorgesehen.

Die Urheberinnen und Urheber sowie die Leistungsschutzberechtigten erhalten für die gesetzlich erlaubten Nutzungen nach § 51a UrhG (Karikaturen, Parodien und Pastiches) sowie für die beschriebenen geringfügigen und daher mutmaßlich erlaubten Nutzungen eine zusätzliche, nicht verzichtbare und über Verwertungsgesellschaften wahrnehmbare Vergütung. Darüber hinaus soll Urheberinnen und Urheber aber noch ein unverzichtbarer Direktvergütungsanspruch an den neu auszuhandelnden Lizenzzahlungen zwischen Plattformen und Verwertern zustehen. Da die Urheberinnen und Urheber in der Regel bereits von den Verwertern in der Regel schon angemessen vergütet werden, kommt es damit zu einer zusätzlichen Vergütung.

Rechtsfrieden ist erreicht – kein Fall von Overblocking aufgetaucht

So ist letztendlich im Jahr seit dem Inkrafttreten des UrhDaG auch kein Fall von Overblocking in der Presse thematisiert worden - und auch das Angebot bei den Diensteanbietern hat nicht abgenommen. Damit scheint das oberste Ziel des deutschen Gesetzgebers, Rechtsfrieden zu schaffen und die Richtlinie mit möglichst wenig Kollateralschäden durch Uploadfilter umzusetzen, erreicht worden.

Allerdings könnte dies zu Lasten des Regulierungsziels der Europäischen Union gegangen sein, die schließlich einen digitalen Binnenmarkt schaffen wollte. Die Umsetzung ist in den Mitgliedstaaten tatsächlich höchst unterschiedlich erfolgt und in vielen Ländern wird noch daran gearbeitet. Das führt zu einer Fragmentierung im Bereich der Social-Media-Plattformen, die nur durch eigene Lösungen der Anbieter, die für alle Mitgliedstaaten funktionieren, beseitigt werden könnte.

Gewinner der Reform sind definitiv die privaten Nutzerinnen und Nutzer, die faktisch von jeglicher Haftung freigestellt wurden. Urheberinnen und Urheber werden außerdem sicherlich über die Verwertungsgesellschaften künftig mehr Einnahmen verzeichnen können. Es bleibt dabei aber abzuwarten, ob diese Mehreinnahmen durch die korrelierenden Mindereinnahmen bei den Verwertern auf die Lizenzzahlungen durchschlagen.

Die Verwerter wie Musiklabels, Hollywood-Studios oder die Fußballbundesliga, die sich von der Reform eine Stärkung ihrer Position erhofft hatten, drohen als Verlierer aus der Reform hervorzugehen, wenn tragfähige Lizenzmodelle wie mit TikTok künftig über Verwertungsgesellschaften pauschal vergütet werden und davon noch ein Anteil an die Urheberinnen und Urheber sowie an ausübende Künstlerinnen und Künstler abzuführen wäre. Vor diesem Hintergrund hat die Musikindustrie eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, die insbesondere den Direktvergütungsanspruch der Urheberinnen und Urheber überprüfen lässt.

DSA wird schärfere Verpflichtungen bringen

Insgesamt stellt das UrhDaG nach einer ersten Bewertung eine ausgewogene Lösung dar. Die Geschäftsmodelle und bereits implementierte Verfahren der existierenden Plattformen werden nicht infrage gestellt - allerdings schaffen die Regelungen nahezu unüberwindbare Markteintrittsbarrieren. So wird jedes Start-up einerseits versuchen, nicht in den Anwendungsbereich zu fallen. Andererseits werden mit dem Digital Services Act (DSA) ohnehin für alle Diensteanbieter neue Verpflichtungen geschaffen, die teils schärfer als die Regelungen des UrhDaG sind. Da das UrhDaG lex specialis ist, könnte sich so manche Plattform noch wünschen, doch unter das UrhDaG zu fallen.

Mit Blick auf die Nutzerinnen und Nutzer entwickelt sich das Urheberrecht mehr und mehr zu einem gewerblichen Schutzrecht, das zwischen gewerblichen und privaten Nutzungen differenziert und nicht mehr auf die Öffentlichkeit abstellt. Dieser Trend ist auch bei den vielen neuen Urheberrechtsschranken zu beobachten und soll wohl das Urheberrecht wieder „entpolitisieren“. Für Rechteinhaber bedeutet das UrhDaG weniger Vertragsfreiheit und mehr kollektive Rechtewahrnehmung. Verwertungsgesellschaften tragen dazu bei, eine kontinuierliche und angemessene Vergütung zu gewährleisten. Neue Geschäftsmodelle wie TikTok könnten durch diesen strikten Rahmen allerdings erstickt werden.

Der europäische Gesetzgeber hat mit der DSM-Richtlinie eine neue Erfahrung gemacht, wie sehr eine technische Gesetzesinitiative Massen mobilisieren kann und der Bedarf an weiteren Reformen im Urheberrecht scheint vorerst gedeckt. In den nächsten Jahren wird es also darum gehen, die neuen Regelungen europaweit einheitlich auszulegen und insbesondere die Umsetzung des Art. 17 DSM-Richtlinie zu vereinheitlichen. Die vielen damit verbundenen Fragestellungen machen allerdings absehbar eine weitere Harmonisierung unumgänglich. Gerade die differenzierte, aber weit über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehende Umsetzung in Deutschland durch das UrhDaG bahnt den Weg zu einer EU-Verordnung zur Plattformhaftung im Urheberrecht – so wie der DSA.

Prof. Dr. Christian-Henner Hentsch ist Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln und war Sachverständiger in der Bundestagsanhörung zum UrhDaG. Daneben ist er Leiter Recht & Regulierung beim game – Verband der deutschen Games-Branche.

Zitiervorschlag

Erstes Jubiläum des UrhDaG: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49195 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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