2/2: Uneinheitliche Entscheidungen in Deutschland
Deutsche Gerichte hatten sich bereits mehrfach mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Italien zumutbare Bedingungen für Asylbewerber bietet. Eine einheitliche Linie gibt es dabei nicht.
Dem Bundesverfassungericht (BVerfG) lagen in diesem Jahr drei Fällen über Abschiebungen nach Italien zur Entscheidung vor, einer davon betraf eine somalische Familie mit drei minderjährigen Töchtern. Trotz Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit hatte das BVerfG tenoriert, dass "bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren … in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen [ist], dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält" (Beschl. v. 17.09.2014, Az. 2 BvR 991/14). Auch das oberste deutsche Gericht sah aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes Anhaltspunkte für Mängel im italienischen Asylsystem. Es verlangt daher eine Abstimmung der nationalen und italienischen Behörden, um zu gewährleisten, dass Abschiebungen nicht gegen die Rechte der Betroffenen auf den Schutz ihrer Familie und körperlichen Unversehrtheit verstoßen. Dabei seien die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Flüchtlings zu beachten, neben dem Alter insbesondere auch sein Gesundheitszustand.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hatte zuvor entschieden, dass die Bedingungen in Italien nicht menschenunwürdig seien. Auch das Verwaltungsgericht Osnabrück bestätigte Ende September die Abschiebung mehrerer somalischer Asylbewerber nach Italien.
EGMR-Urteil ohne unmittelbare Konsequenzen für Deutschland
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hingegen hatte 2012 in einem Eilverfahren anders entschieden und einer somalischen Asylbewerberin Recht gegeben, die sich darauf berief, dass in Italien die europäischen Mindeststandards zur Durchführung des Verfahrens und der Unterbringung nicht eingehalten würden.
Rechtsanwalt und LTO-Autor Dr. Rolf Gutmann, der sich auf das Ausländerrecht spezialisiert hat, folgert aus der europäischen Entscheidung keine unmittelbaren Konsequenzen für die deutsche Justiz und die bereits gefällten Urteile. Die Entscheidung des EGMR beträfe grundsätzlich nur den Einzelfall einer Großfamilie mit minderjährigen Kindern.
Umgekehrt bedeute dies aber auch nicht, dass Italien ansonsten ein generell sicherer Mitgliedsstaat sei. Auch deutsche Behörden sollten die Bedenken des EGMR und des BVerfG ernst nehmen und sich insbesondere bei Familien mit Kindern zuerst Garantien von Italien einholen, um eine menschenrechtskonforme Abschiebung zu gewährleisten.
Zu hoffen sei, dass die Entscheidung vor allem in Italien rezipiert werde – und dort zu einer Verbesserung der Aufnahmebedingungen für alle Asylanten führe.
Anne-Christine Herr, EGMR zweifelt an italienischem Asylsystem: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13719 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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