EGMR rügt Haftbedingungen: Eine Woche nackt in der "Beru­hi­gungs­zelle"

von Prof. Johannes Feest

07.07.2011

Erstmals hat der EGMR Bedingungen im deutschen Strafvollzug für unvereinbar mit den Menschenrechten erklärt: So verstößt es gegen das Folter-Verbot, wenn ein Häftling über mehrere Tage ohne Kleidung in eine Sicherheitszelle gesperrt wird. Auf seine Rehabilitation musste der Betroffene allerdings geschlagene elf Jahre warten - ein unerträglicher Zustand, meint Johannes Feest.

Für Gefangene ist es oft nicht leicht, Rechtsschutz gegen rechtswidrige oder gar unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erlangen. Die gilt besonders dann, wenn sie von anderen Gefangenen abgesondert werden - sei es in Arrest, Einzelhaft oder in einer Sicherungszelle (vulgo: "Beruhigungszelle").

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun dreht sich um einen Fall, der bereits elf Jahre zurückliegt (Urt. v. 07.07.2011, Beschwerdenummer 20999/05). Die betreffende JVA im hessischen Butzbach war damals heillos überfüllt. Ein Strafgefangener sollte deshalb aus seinem Haftraum in eine Mehrpersonenzelle mit zwei anderen Gefangenen und ohne abgetrennte Toilette verlegt werden.

Als sich der Mann weigerte, freiwillig umzuziehen, kam es zwischen ihm und den Beamten zu einem Handgemenge. Letztlich verbrachte man ihn zwangsweise in einen "besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände". Der Häftling wurde entkleidet und verblieb in der Zelle in diesem Zustand für die nächsten sieben Tage. Anschließend wurde er in ein Krankenhaus verlegt.

Sicherheitszelle für längeren Aufenthalt ungeeignet

Seine Beschwerde gegen diese Behandlung wurde dann vier (!) Jahre später vom Landgericht Gießen zurückgewiesen. Die Richter entschieden damals, dass die geplante Verlegung in die Mehrpersonenzelle zwar rechtwidrig war. Allerdings sei die Verbringung in die Beruhigungszelle verhältnismäßig gewesen, da der Gefangene sich jedem Kompromiss verweigert habe und daher mit Gewalttätigkeiten von seiner Seite habe gerechnet werden müssen. Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt. Eine Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach den Feststellungen des EGMR war die Sicherheitszelle acht Quadratmeter groß und nur mit einer Matratze und einer Hocktoilette, das heißt mit einem Loch im Boden ausgestattet. Eine solche Ausstattung sei dürftig und für längere Aufenthalte ungeeignet, so die Straßburger Richter. Dabei beziehen sie sich auf die vom Europäischen Antifolter-Komitee (CPT) entwickelten Standards. Danach muss ein Ausgleich für die Isolation geschaffen werden, wenn diese Haftform nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung werden soll.

Allerdings sei diese Unterbringung nicht langfristig gedacht gewesen und auch nach einer Woche abgebrochen worden. Insoweit könne daher noch kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechts-Konvention (EMRK) festgestellt werden.

Entzug von Kleidung ist erniedrigend

Als eindeutigen Verstoß gegen Art. 3 EMRK wertete der EGMR nun hingegen die Tatsache, dass der Gefangene während der gesamten Zeit seines Aufenthaltes unbekleidet geblieben war. Der Entzug von Kleidung löse bei einem Häftling Gefühle der Angst und Minderwertigkeit aus und sei daher angetan, ihn zu erniedrigen.

Die Einlassung der Bundesregierung, wonach dies der üblichen Praxis entspreche, um Gefangene vor Selbstverletzungen zu schützen, wurde vom Gerichtshof nicht akzeptiert. Man könne sich andere, weniger stark in die Intimsphäre eingreifende Maßnahmen zur Vermeidung von Selbstverletzungen vorstellen, etwa den Einsatz reißfester Kleidung. Dies werde auch vom CPT empfohlen.

Der EGMR hat dem Beschwerdeführer jetzt 10.000 Euro als gerechte Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden zugesprochen. Ferner muss Deutschland ihm die entstandenen Kosten des Verfahrens bezahlen. Das ist weit mehr, als er in Deutschland heutzutage für eine menschenunwürdige Unterbringung erhalten würde: Für sieben Tage hätte er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eventuell gar nichts, maximal aber 20 Euro pro Tag erhalten.

Straßburg lässt Verletzung von Recht auf faires Verfahren außer Acht

Im Ergebnis ist es zu begrüßen, dass die Straßburger Richter den deutschen Vollzugsverwaltungen Grenzen aufgezeigt haben, die von der Menschenrechtskonvention vorgegeben werden. Es ist besonders zu begrüßen, dass die konkreten Standards des CPT dabei herangezogen wurden, die aus ihren Besuchen in europäischen Gefängnissen entwickelt wurden.

Allerdings ist es schwer verständlich, dass eine solche Entscheidung – die auch noch nicht rechtskräftig ist - elf Jahre hat auf sich warten lassen, wobei etwa die Hälfte dieses Zeitraums auf das Konto der deutschen Gerichte geht. Dies ist ein unerträglicher Zustand, der gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 des Grundgesetzes verstößt.

Leider hat das Straßburger Gericht diesen Punkt nicht aufgegriffen und nicht zusätzlich eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren festgestellt. Die gerichtliche Entscheidung "innerhalb einer angemessenen Frist" (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) beziehungsweise das Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) müsste in Fällen wie dem hier zugrunde liegenden bedeuten, dass ein Richter innerhalb von Stunden herbeigerufen werden kann.

Alles andere stellt in diesem Fall (wie in vielen anderen Fällen) die Verweigerung eines effektiven Rechtsschutzes dar.

Prof. Dr. Johannes Feest leitet das Strafvollzugsarchiv an der Universität Bremen. Er ist Professor i.R. für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht an dieser Universität.

 

Mehr auf LTO.de:

Grundsatzurteil zur Sicherungsverwahrung: Karlsruhe sucht Konsens mit Straßburg

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung erfolgreich

EGMR zur Sicherungsverwahrung: Straßburger Lob für das höchste deutsche Gericht

Zitiervorschlag

Johannes Feest, EGMR rügt Haftbedingungen: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3694 (abgerufen am: 08.12.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen