Die Beschneidungsdebatte hat ein neues Stadium erreicht: Am Dienstag versandte das BMJ ein Eckpunktepapier an die betroffenen Fachkreise und Verbände zur Vorbereitung einer Experten-Anhörung im Ministerium am kommenden Freitag. Der Vorschlag ist eine Grundlage für die weitere Debatte in der Öffentlichkeit wie im Parlament, kommentiert Ethikratsmitglied Wolfram Höfling.
Das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012 zur Strafbarkeit einer religiös motivierten Beschneidung eines vierjährigen Jungen erhitzte die Gemüter in Deutschland und zum Teil darüber hinaus. Die Debatte war nicht selten von einer irritierenden Heftigkeit. Zuweilen wurden Argumente mit einer rhetorischen Schneidigkeit vorgetragen, die ganz bewusst auf eine Parallelisierung zum realen Vorgang der Zirkumzision angelegt zu sein schienen.
Dies erklärt sich damit, dass die Auseinandersetzungen um das Urteil und die vor allem bei Juden und Muslimen praktizierte Beschneidung von Jungen auch Stellvertreterdebatten waren und sind. Es geht um ganz fundamentale Fragen "jenseits der Vorhaut" (H. Martenstein), nämlich um die Legitimität religiös motivierter Lebensweisen in einer säkularen Gesellschaft, aber auch um die Reichweite elterlicher Bestimmungsmacht und den Schutz der Rechtssubjektivität von Kindern.
Nun hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) ein Eckpunktepapier vorgelegt, das Grundlage der bald anstehenden parlamentarischen Beratungen sein wird. Die Vorschläge stimmen weitgehend mit den Überlegungen des Deutschen Ethikrates überein und schaffen eine gute Grundlage für den angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen.
Im Kindschaftsrecht angesiedelt
Die Regelung in das Personensorgerecht des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB) aufzunehmen, ist richtig. Ein neuer § 1631d BGB soll klarstellen, dass die Personensorge auch das Recht umfasst, "in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll". Diese rechtssystematische Einordnung des Problems verdient volle Zustimmung – auch und gerade vor dem Hintergrund alternativer Regelungsvorschläge, die etwa für ein strafrechtliches Sonderregime plädierten.
Der Entwurf bringt deutlich zum Ausdruck, dass der zentrale grundrechtliche Aspekt der Diskussion das in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verankerte Elternrecht ist. Dieses ist zwar ein treuhänderisches Grundrecht im Interesse des Kindes. Gleichwohl schützt Art. 6 Abs. 2 GG in seiner abwehrrechtlichen Dimension Eltern auch vor staatlicher Einmischung in den familiären Erziehungsprozess.
Die Eltern sind die primären Interpreten des Kindeswohls. Deshalb können Erziehungsstile und -maßnahmen, die auf ernsthaften Überzeugungen beruhen, auch dann vom Elternrecht geschützt sein, wenn sie einem pädagogischen Mainstream widersprechen. Der Staat darf erst einschreiten, wenn ein Missbrauch der elterlichen Sorge droht.
Anforderungen an Beschneidung fast schon selbstverständlich
Zu Recht beschränkt das BMJ die Regelung nicht auf religiös motivierte Beschneidungen. Auch andere Gründe können Eltern dazu bewegen, ihre Jungen in einem frühen Alter beschneiden zu lassen. Die Amerikanische Akademie der Kinderärzte hat in ihrer jüngsten Stellungnahme von August 2012 hervorgehoben, dass aus ihrer Sicht die gesundheitlichen Vorteile einer Beschneidung schwerer wögen als deren Risiken. Der Staat ist zu ethischer Neutralität verpflichtet. Dem wird er gerecht, indem er darauf verzichtet, unterschiedlich begründete elterliche Erziehungsstile inhaltlich zu bewerten.
Die Voraussetzungen, welche die Justizministerin formuliert, erscheinen inzwischen fast selbstverständlich. Zum einen muss die Zirkumzision nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen, was auch eine den medizinischen Standards entsprechende Schmerzbehandlung beinhaltet. Zum anderen müssen die Eltern umfassend über den Eingriff und seine Risiken aufgeklärt werden. Gefährdet die Beschneidung das Kindeswohl, sollen die Eltern aber nicht in den Eingriff einwilligen dürfen. Nach der Begründung des Eckpunktepapiers umfasst dieser Kindeswohlvorbehalt auch einen etwa entgegenstehenden Willen des Kindes. Damit greift das BMJ einen weiteren Vorschlag des Deutschen Ethikrats auf.
Vor allem für Eltern jüdischen Glaubens wird es schließlich von großer Bedeutung sein, dass in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes nicht nur Ärzte eine Zirkumzision durchführen dürfen. Auch eine von einer Religionsgesellschaft vorgesehene Person soll die Beschneidung vornehmen dürfen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Beschneidung vergleichbar befähigt ist. Damit dürfte eine Beschneidung durch den jüdischen Mohel weiterhin möglich bleiben.
Alles in allem bietet das Eckpunktepapier eine gute Grundlage für die öffentliche Diskussion ebenso wie für die parlamentarischen Beratungen.
Der Autor Prof. Dr. iur. Wolfram Höfling, M. A. ist Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrats.
BMJ-Eckpunkte für ein Beschneidungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 26.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7183 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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